Die freundliche Übergabe

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von Alf Glocker

Nachdem im Atomstromland die Uhren stehengeblieben sind, pfeifen es die Geier von den Dächern: „Es ist so weit!“ Der Käse ist gegessen, das letzte Dezemberfest ist gefeiert und die Altenheime für Quatschköpfe schließen heute Nacht. Die Stammeskrieger haben sich versammelt zum letzten Akt in der Geschichte der sogenannten „Endverbraucher“, die allesamt ausgestorben wurden. Die Stille der tosenden Gebrechlichkeiten herrscht in den Städten am (des früher als ewig betrachteten und als unablässig apostrophierten) Stromes erfrischender Teilchen, die einmal die Welt bedeutet hatten. Der Jubel kennt keine Grenzen – sogar die Klageweiber in den unterirdischen Katakomben haben aufgehört zu beten. Die ganze Welt sonnt sich in der neuen Freiheit des Umbruchs.

Professor Krtfrox übergibt, unter donnerndem Applaus, den Schlüssel zum Atomkraftwerk an den Häuptling der Höhlenmenschen, Krawallus Bombus. Er, der Professor, trägt ein Baströckchen, eine Menge Piercings und er ist tätowiert, damit man ihn für einen Bewohner der Folgezeit halten könnte, obwohl er nie einer war. Aber ihm lag stets daran, die Unterschiede zu den dominierenden Urzeitlichen zu verwischen. Bombus und seine Stammeskrieger sind dagegen im feinen Zwirn angetreten! Viele tun ja auch schon so, als würden sie in der Nationalbank arbeiten, oder an den Universitäten, den nun allerorts verbreiteten „Stunk“ lehren. Das ist die Unwissenschaft der Überreligion absoluter Modernität, im unpassenden Umfeld … das jetzt jedoch schleunigst passend gemacht wird. Es ist ein wolkenverhangener Tag, aber das stört hier niemanden.

Noch rauchen die Schornsteine, noch befahren die Kreuzfahrtschiffe, die neuerdings „Moonboots“ heißen, und noch florieren die Fließbänder in den Fabriken, wo Roboter mit der Herstellung von Robotern beschäftigt sind. Programmiert wurden sie für 30 Jahre im Voraus. Vielen Dank im Voraus, an die, nunmehr überkommenen, Konstrukteure und Informatiker, die Entwickler und Aufroller, die Schrift- und Beinsteller, die Planer und Verunstalter aus der alten Zeit. Ihre Arbeiten sind getan, ihre Steuern gezahlt und ihre Kinder ungeboren – man hat sie noch nie vermisst! Sie waren der Mehrheit der Erdenbewohner immer ein Dorn im Auge gewesen. Doch damit ist Schluss! Ihre Aufgaben werden jetzt von untätowierten Höhlenmenschen im feinen Zwirn übernommen.

Sie haben umfangreiche Trainingsprogramme durchlaufen, sie wurden geschult und gewissenlos darauf vorbereitet, neben ihrem Gott „Scherbenhaufen“ auch noch die moderne Technik anzubeten, die sie für ein Geschenk von Scherbenhaufen halten und nicht für ein Gesamtkunstwerk der ausgestorbenen Endverbraucher. Aber diese Quatschköpfe waren hochintelligent! Bevor sie sich tätowierten und piercten, trugen auch sie, eigentlich NUR sie feinen Zwirn, fuhren in selbstgebauten Karossen und versorgten sich mit einer ausgeklügelten Landwirtschaft, die hauptsächlich auf der Reduzierung von Artgenossen basierte … die leider trotzdem immer mehr Platz brauchten, um zu hausen wie die Axt im Walde, der Bock im Garten, oder ein Kastrat im Lyzeum.

Sie besaßen eine ausgefeilte Mathematik und sie lehrten, gegen Ende ihrer Epoche, sogar die Quadratur des Kreises, ohne Einspruchsmöglichkeit, und/oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Ihre Beweisführung gegen sich selbst war so bestechend klar und nachvollziehbar, daß viele von ihnen dazu übergingen, sich zuerst zu sterilisieren, zu kastrieren, dann zu amputieren, um schließlich die tödlichen Drogen aus der Münchhausen-Apotheke zu schlucken, deren Filialen sich im Land ausbreiteten wie die Kakerlakenpest, oder die Spinner-Cholera. Sie hatten die Wahl! Sie pflegten die allseits beliebte „Frauenquote“, die besagte, daß eigentlich auch Männer, oder vielleicht NUR Männer Kinder kriegen sollten, wobei die weiblichen Individuen Bassstimmen einübten.

Das kam so sehr in Mode, daß die meisten Quatschkopf-Endverbraucher die Lust daran verloren, überhaupt irgendetwas zu sein oder eine Zukunft zu planen. Viele von ihnen, um nicht zu sagen „alle“, bewunderten die nun massenweise auftretenden Höhlenmenschen, die in immer größerer Anzahl von den Quatschköpfen adoptiert, angestellt, durchgefüttert wurden, damit das Straßenbild wieder etwas Farbe bekam. Die Quotenfrauen bekamen auf einmal wieder Lust, Kinder zu bekommen, glaubten aber plötzlich – nicht ganz zu Unrecht – daß dies vor allem und hinter keinem nur mit Silberrückengorillas möglich sei, die sich 1. wesentlich besser als Machos benehmen konnten und 2. natürlich, triebhaft und unkontrollierbar waren, vor allem was ihre hochgeschätzte Sexualität anging. An eine geistige Verwirrung dachten sie dabei zu keinem Zeitpunkt. Ihnen gefiel das Wesentliche.

Professor Krtfrox‘ Kollegen, deren IQ gewöhnlich die Zimmerdecke durchschlug, machten hingegen einen eher bescheidenen Eindruck. Sie glaubten an keinen Gott, hatten nicht die, vom Leben an sich erwünschte Höhlenmenschenurkraft und sie unterschätzten ihre Bescheidenheit manchmal so dramatisch, daß ihnen, während des Denkens, das Gehirn eintrocknete. Sobald sie in diesen Zustand verfielen, baten sie einen der am nächsten herumstehenden Höhlenmenschen im Zwirn, sie mit seinem Brotzeitmesser hin- und herzurichten, damit ihr guter Eindruck, den sie zu hinterlassen gedachten, nicht völlig aus der Geschichtsschreibung verschwände. Dann lächelten sie, mit der erwünschten Wohltat zwischen den Rippen und freuten sich auf ihre Wiedergeburt, denn sie hatten ein ausgezeichnetes „Karma“ erworben. Damit würden sie überall eine Anstellung finden.

Was die so reich bestückte Erde angeht, wird sich zeigen – wenn die Roboter neu programmiert werden müssen, oder die Atomkraftwerke überprüft. Auch die Abschussrampen der Kontinentalraketen dämmern noch im Dornröschenschlaf zu Ende gehender, ewiger Unschuld. Wie die Höhlenmenschen damit umgehen werden, wird vermutlich nicht mehr überliefert werden können, da neue, wesentlich wichtigere Aufgaben – wie beispielsweise die Verehrung des supermodernen Überreligionsgottes „Scherbenhaufen“ – anstehen, die vorrangig, nein nahezu ausschließlich, befriedigt werden müssen … wenn man von einer Befriedigung überhaupt sprechen kann. Denn dafür stehen ja, von nun an, die originalverpackten Fleischbündel zur Verfügung, die in früheren Zeiten einmal für die freundliche Übernahme gebetet hatten. Quatschilliorum – perfekt!

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