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Tafelläden gibt es überall. Berliner Tafel, Schwäbische Tafel, Rheinische Tafel und so weiter. Läden, bei denen alle Lebensmittel billiger sind, man allerdings nicht bedient wird, wenn man keinen Ausweis vorzuweisen hat, den nur haben kann, wer seine Bedürftigkeit mit Dokumenten belegen kann.
„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“
In Deutschland ist dieser Satz abgenickt gewesen, als die Bundestagsabgeordneten von SPD und Grünen es 2004 ihrerseits auch noch taten und Stufe IV der Hartz-Gesetze in Kraft treten ließen.
Im 18. Jahrhundert, zur Zeit der Aufklärung und Menschenrechte, waren die „Arbeitshäuser“ der letzte Schrei auf dem Feld der Armenfürsorge. Konnte einer aus eigener Kraft sich nicht nähren oder war er obdachlos, wurde er ins Arbeitshaus, ein großes Gehäuse am Rande der Stadt, eingewiesen. Im Tausch gegen kostenlose Speisung und kostenfreies Wohnen waren darin einfache Arbeiten zu verrichten, Bürstenbinden zum Beispiel. Und es war dort nach den Gesetzen der Einrichtung zu leben. Insassen durften nach Sonnenuntergang draußen nicht herumstromern. Sie sollten nicht trinken und sich gar zu einem Mob versammeln. Von solchen Häusern her kann die Linie bis zu den 1933 eingerichteten Konzentrationslagern der Nationalsozialisten gezogen werden. In jenen frühen Jahren der neuen Ära war die Arbeit ja noch nicht dazu da, die Leute zu vernichten, sondern vor allem, politisch gegnerisches Gesindel gründlich einzuschüchtern.
Wer Tätigkeiten, die für ihn vom jeweiligen Jobcenter-Mitarbeiter für angemessen erachtet werden, heutzutage ablehnt, für den gilt nun wieder: „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“. Über mehrere Stufen wird er so lange herunter sanktioniert, die finanzielle Unterstützung nach gestaffelter Dauer ihm weggenommen, bis er sich nicht mehr richtig ernähren kann. Der deutsche Wähler-Bürger findet es gut. Wahrscheinlich.
Oder sagen wir, die seinen Willen repräsentieren, die Abgeordneten des deutschen Bundestags, fanden es gut, 2004. Und seither haben sie sich keines anderen besonnen, wenn auch mal so und mal so argumentiert wird. Es kam zu Fällen wie jenem eines Berliners im Hungerstreik, den, nachdem er die ihm unterbreiteten Jobs in Call-Centern mehrfach verweigert hatte, seinem Werdegang wären diese nicht entsprechend, sein Jobcenter auf 27 Euro monatlich kürzte. (Wer nicht glaubt, dass solche Dinge in unserer Mitte sich zutragen, möge zu googeln anfangen.)
Aber es gibt auch, ebenfalls weit in die Geschichte zurück reichend, andere Traditionslinien. Die Sozialfürsorge der Kirchen, man sieht es heute wieder in der Frage der Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten, war der Ansicht, es wäre Hilfe zu leisten, wann immer ein Mensch in Not ist und nicht menschenwürdig existieren kann. Armenspeisung in Klöstern gab es, von Nonnen geführte Spitäler für Kranke und Alte, Hospize für die an unheilbaren Krankheiten Sterbenden.
Bürgerliches Wirtschaften rechnet so etwas vorher allerdings durch. „Was hätte dieser Ausgehaltene uns an Wohlstand erzeugen können, wenn er in derselben Zeit gearbeitet hätte? Was hat es gekostet, ihn vorm Hungertod zu bewahren?“ Im 19. Jahrhundert traten auch Priester auf, oft evangelische, die forderten, wer ohne Verschulden in Not gekommen wäre, dem müsse auch geholfen werden, wer seine Lage jedoch selber verschuldet hätte, dem schicke Gott nur seine verdiente Strafe, wenn man ihn hungern lasse.
„Wer nicht arbeitet, soll nicht essen.“
In unseren heutigen Agenturen für Arbeit lebt die Tradition der Schulduntersuchung vor Menschlichkeit weiter. Drei Monate zahlen sie keine Hilfe, wenn einer das Arbeitsverhältnis selbst gekündigt hat. Wen der Unternehmer nicht länger beschäftigen wollte, bekommt sein Geld vom ersten Tag an. Die Schuld ist in diesem Fall nicht schlechtes Arbeiten, sondern Aufgeben einer Stelle, wenn man überhaupt eine hat.
Nachdem die von bürgerlichen Geschäftsleuten beherrschte Welt die des Adels und der Geistlichkeit abgelöst hatte, musste das kirchliche Sozialsystem in sich zusammenfallen, denn zum Einen flossen der Kirche weniger Einnahmen zu, zum Anderen gab es jetzt für viele Menschen, die in der Landwirtschaft nicht überleben konnten, die neue Alternative, bezahlte Arbeit in Fabriken zu finden. Sie mussten sich nicht als Helfer für die Kirche hergeben. Wo seit der Aufhebung der Klöster keine Mönche mehr existierten, konnten sie auch keine Klostersuppe mehr ausgeben.
An diese Stelle mussten privatwirtschaftlich organisierte, „gemeinnützige Unternehmen“ treten. Sowohl die Kirchen wie Organisationen der Zivilgesellschaft unterhalten solche Wohlfahrts-Firmen. Ihnen allen ist das Abschöpfen eines Profits verboten, denn sie alle warten auf staatliche Zuschüsse, Subventionen durch die Steuerzahler. Ein in allen Diskussionen über die Freiheit des Marktes als best-steuernde Hand wenig beachteter Aspekt: Wo der Umsatzanteil des öffentlichen Sektors vermindert werden soll, wo Steuern gesenkt und Schulden abgebaut werden müssen, wo möglichst alles in private Trägerschaft überführt und durch das Preis-Leistungs-System des Konkurrenz-Marktes gesteuert werden soll, müssten sowohl die sozialen, pflegerischen und pädagogischen Einrichtungen kirchennaher Verbände und alle damit verbundenen Arbeitsstellen Stellen wegfallen wie auch flächendeckendes Profitprinzip eingeführt und also die Hilfe künftig nach Kaufkraft den einen optimal gegeben werden, den anderen verweigert.
Wen seine Agentur für Arbeit auf 27 Euro gekürzt hat, der muss nicht Hungers sterben. Es gibt immer noch die Tafel-Läden!
Die Tafel-Läden verkaufen Nahrung zum winzigen Preis. Schuld und Versagen der Kunden schnüffeln sie nicht nach. Hierin ähneln sie irgendwo sogar Blau & Laddel, dem uns allen bekannten Handelsriesen. Da ist wirklich jeder gern gesehen, ob er viel Geld hat oder sehr wenig. Wenn einer 27 Euro pro Monat hat, schenken ihm die Tafel-Läden sein Essen sogar. Nicht einfach so, aber nach Prüfung der Umstände versorgt man ihn mit Einkaufbons. (Blau & Laddel geht so nicht vor, geht nicht, solange es Konkurrenten gibt, die auf Wettbewerbsverzerrung klagen könnten.)
Um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Es trifft nicht zu, dass man Hartz-IV-Empfänger sein müsste, um ein Kunde von den Tafeln werden zu dürfen. (Die allermeisten sind’s jedoch.) Man muss einfach ein geringes Einkommen beziehen und dies nachweisen können. Unter Tafel-Kunden sind Rentner, Behinderte, Frührentner, Schüler, Minijobber, allein erziehende Mütter. Hunderttausende, wenn nicht Millionen, ernähren sich mit Lebensmitteln, die Blau & Laddel und andere bekannte Lebensmittelmärkte den Tafel-Läden kostenlos überlassen haben. Entsprechend dezente Hinweise auf die eigene Herzensgüte haben Sie bei Ihrem Blau & Laddel vielleicht hängen sehen.
Einst gehörte ich zur Tafel-Kundschaft.
Auf Jahre hinaus.
Warum stehen vor den Türen der Tafelläden lange Warteschlangen (meist Mütter mit schreienden Kindern, miesepetrige Alte, Ausländer)?
Tafeln sind längst nicht so lange geöffnet wie Ihr Blau & Laddel. Meiner hatte fünf Stunden auf an Werktagen. Drei vor der Mittagspause, am Nachmittag weitere zwei Stunden.