„Würdest du bitte mein Taschengeld erhöhen, Li?“, fragt Zäg, der älteste meiner fünf Tibeter, der zurück aus Myanmar ist, nachdem San Suu Kyi ihn des Landes verwiesen hat, weil er lästig wurde.
Bereits seit Tagen fällt mir auf, dass ihn irgendetwas bedrückt: Er schwänzelt um mich herum wie ein Kater um den heißen Brei; sein Verhalten wird von Tag zu Tag zoologischer.
„Nenn mir bitte einen vernünftigen Grund, der d a f ü r sprechen könnte“, sage ich und löse mich schweren Herzens von einem Zeitungsartikel, der mir nahebringen will, wie sehr die Meere unter Lärm und Plastikmüll leiden. (Nicht allein die Meere, denke ich und seufze).
Zäg schweigt beharrlich, und ich sehe mich gezwungen, von der Zeitung aufzuschauen – geradewegs in seine dunkelblauen Augen. Er senkt mal wieder den Blick. Seit er aus Myanmar zurück ist, erkenne ich ihn nicht wieder: Sanft und demütig ist mein ältester Tibeter seither. Möglicherweise hielt man ihn dort für einen Angehörigen der Rohingya (eine muslimische Minderheit) und hat ihn gefoltert. Wer weiß, in welch absurden Klamotten man ihn dort aufgegriffen hat, fällt mir in letzter Zeit immer häufiger zu diesem Thema ein. Oder aber Suu Kyi hat ihn gefühlsmäßig respektive sexuell gedemütigt; aber das kann ich mir am allerwenigsten vorstellen: die schöne sanfte Suu Kyi. Nein, nie und nimmer!
Was auch immer: In Myanmar muss ihm etwas Gravierendes zugestoßen sein.
„Nun, Zäg, mein Freund?“, reiße ich ihn aus seiner Demut, die möglicherweise nur vorgetäuscht ist, ins raue Leben zurück.
„Macron“, wirft Zäg mir mit leidender Miene übern Frühstückstisch zu, der dringend abgeräumt werden müsste.
„Und?“, frage ich und wehre mich entschieden gegen drei Steilfalten, die sich auf meiner Stirn breitmachen wollen.
„Er gab in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit 26.000,00 Euro allein für sein Make-up aus“, berichtet Zäg mit weinerlicher Stimme. „Und ich kann mir noch nicht mal Lidschatten leisten.“ Jetzt zittern seine Lippen gar vor Empörung.
„Trage ich etwa Lidschatten?“, frage ich und schiebe nach: „So hässlich ist dieser Macron doch gar nicht, dass der dermaßen viel Pampe auf der Visage nötig hätte. Der sieht doch deutlich besser aus als sein Vorgänger, dieser ...“
„Hollande“, fällt Zäg mir ins Wort. „Der hat jeden Monat um die 10.000,00 Euro fürs Make-up ausgegeben.“
„Das fiel überhaupt nicht auf“, wundere ich mich. „Jedenfalls hat die Summe nicht das Geringste gebracht, nichts als rausgeschmissenes Geld, dafür hätten gut fünf Familien einen Monat lang über die Runden kommen können, und für "unsere Angie" war der allemal hübsch genug.“
„Bitte, Li“, bettelt Zäg, „nur zehn Euro mehr im Monat für Wimperntusche. Das ist modern und macht hübsche Augen.“
„Du willst doch nicht etwa behaupten, dass dieser Macron sich die Wimpern tuschen lässt?“, frage ich. „Wie affig ist das denn?
Hast du mich jemals mit getuschten Wimpern gesehen, Zäg?“
„Nein“, sagt Zäg und senkt abermals den Kopf vor meinem Blick, als sei er wer weiß wie beschämt und schüchtern. Das macht mich langsam aber sicher meschugge. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was dieses sonderbare Benehmen zu bedeuten hat; aber ich bekomme es irgendwann heraus, darauf könnt ihr euch verlassen. Möglicherweise plagt ihn auch "nur" ein schlechtes Gewissen.
„Meine sind aber nicht so lang und schwarz wie deine. Meine sind kurz und blond“, winselt er.
„Das ist doch schön“, tröste ich ihn. „Dann können sie dich nicht piesacken, wenn sie ins Auge fallen. Du weißt doch ganz genau, welche Schwierigkeiten diese doofen Dinger mir mitunter bereiten.“
„Du magst mich nicht mehr, seit ich aus Myanmar zurück bin“, sagt er plötzlich und blickt mich lauernd von der Seite an.
Jetzt wird es spannend, denke ich. Er findet zu seinem wahren Charakter zurück und der ist nicht immer nett. Meine Augen wandern verstohlen zum Brotmesser, das neben meinem Teller liegt. Damit könnte man sich im Notfall gegen Handgreiflichkeiten seinerseits wehren.
„Selbstverständlich mag ich dich noch, Zäg“, sage ich mit sanfter Stimme und meine es (fast) ehrlich. „Jeder kann sich täuschen. Suu Kyi war eben nicht die Richtige für dich. So etwas kommt vor im Leben.“
„Aber du liebst mich nicht mehr. Nur, weil ich e i n m a l einen Fehler begangen habe. Ich finde das richtig fies von dir, Li.“
„Zäg“, sage ich mit verhaltener Stimme. „Darf ich dich an die Jolie, Prinzessin Anne, Erika Pluhar, Gitte, Vicky Leandros, Janis Joplin und Mireille Mathieu erinnern? Von jeder warst du felsenfest überzeugt, dass sie nicht nur die Richtige für dich sei, sondern auch deine große Liebe. Ich mache dieses Theater nicht länger mit. Darüber kann ich nur noch lachen.“
„Und was ist mit dem Taschengeld. Ich will morgen nach ...“
„Genehmigt“, falle ich ihm ins Wort. (Ich will gar nicht wissen, wohin es ihn neuerdings zieht.)
Eifrig zücke ich mein Portemonnaie und lege feierlich einen Zehn-Euro-Schein neben sein angebissenes Käsebrötchen.
„Das reicht garantiert für Lidschatten u n d Wimperntusche“, sage ich.
Zäg lässt das Scheinchen in seine Hosentasche gleiten, erhebt sich vom Küchenstuhl, und verschwindet ohne ein Wort aus der Küche.
Ich atme auf und packe das Brotmesser weg. Das ist grad noch mal gutgegangen, denke ich. Vielleicht nimmt er jetzt endlich Vernunft an und Zuflucht zu Buddha, fastet vierundzwanzig Stunden lang bei Vollmond und gesteht seine Fehler: Er lügt wie gedruckt, säuft, lacht laut, hängt an seiner roten Seidenhose wie ein Säugling an der Mutterbrust und gibt mit vollen Händen fremdes Geld aus: Mein Geld.
Darüber hinaus habe ich ihn und seine vier Brüder in Verdacht, dass sie, in wohltemperierten Abständen, gewisse Etablissements auf Sankt Pauli besuchen. Das ist im Buddhismus streng untersagt und schlösse eine gute Wiedergeburt aus.
Zumindest Zäg, denke ich, würde nach dieser ominösen Wiedergeburt einen schlechten Beruf ergreifen: Soldat, Schlachter oder Verkäufer von Produkten, die den Geist trüben. Ich bin ernsthaft besorgt um ihn. Sicher, er könnte auch dem Kreislauf der Wiedergeburten entgehen; aber dazu ist er meines Erachtens zu schwach. Den „edlen achtfachen Weg“ zu beschreiten, schaffen nur wenige.
Sehr weit wird er mit den paar Kröten jedenfalls nicht kommen, fällt mir ein, während ich den Frühstückstisch abräume, um ihn gleich darauf neu zu decken; meine restlichen vier Tibeter (Zag, Zug, Zog und Züg) kommen gleich vom Hantel-Training zurück. (Zumindest wollten sie dorthin; mir können die ja viel erzählen, wenn der Tag lang ist.)