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Monate zuvor sein schriftliches Einverständnis hierzu gegeben hatte.
Es war viel geschehen in der Zwischenzeit: Erik hatte die vergangene Zeit für sich genutzt und ein Buch geschrieben, das zwar nicht in die Hitliste der Bestseller aufgerückt war, ihm jedoch das notwendige Geld zum Leben einbrachte. Bei einer seiner Lesungen lernte er Gerlind kennen, mit der er sich recht gut verstand. Sie war festangestellte Reporterin bei einer Tageszeitung – fast eine Kollegin. Gerlind liebte wie er die nordischen Länder, und sie hatten beschlossen, ihren nächsten Urlaub in Schweden zu verbringen.
Erik konnte bei Gerlind nicht die geringste Spur von Eifersucht entdecken, worüber er mehr als froh war. Es schien ihr nichts auszumachen, dass ihr Haar fast schwarz war. Sie ließ auch nie eine Bemerkung fallen, wenn bei ihren gemeinsamen langen Spaziergängen sein Blick zufällig auf eine blonde Frau fiel. Es schien ihr völlig egal zu sein; sie hatte Vertrauen zu ihm. Sogar seine Mutter kam mit Gerlind gut zurecht.
Obgleich er in späten Abendstunden, in denen er allein war, noch oft Ullas Abschiedsblick spürte, schüttelte er die Gefühle, die ihn in diesen Momenten immer wieder übermächtigen wollten, sofort wieder ab. - Nein, Ulla war nicht glücklich mit ihm gewesen – in seinem Land, das er nicht verlassen wollte.
Ulla schrieb ihm jetzt regelmäßig: dass es ihr gutginge, dass sie eine Arbeitsstelle gefunden, das Rauchen und Trinken eingestellt habe, dass …
Und sie schickte ihm Fotos – von Lizzy. Erik beantwortete ihre Briefe, schrieb, dass er eine neue Partnerin gefunden habe und freute sich darüber, wie kameradschaftlich sie miteinander korrespondierten.
Dann erreichte ihn wieder einmal ein Brief von Ulla, worin sie ihm mitteilte, dass ihre Verlobung mit einem jungen Amerikaner bevorstünde und dass sie sehr glücklich darüber sei.
Beim Lesen dieser Nachricht wurde Erik zumute, als treffe ihn eine Lanze ins Herz. Er fühlte sich plötzlich elend wie schon lange nicht mehr. Er hätte es niemals für möglich gehalten, dass eine harmlose Mitteilung wie diese ihn dermaßen treffen könnte.
Erik goss sich einen Cognac ein, was er sonst nur in Ausnahmefällen und wenn er abends nicht in den Schlaf finden konnte, tat, und leerte das Glas in einem Zug. Kaum dass er es auf dem Couchtisch abgestellt hatte, klingelte das Telefon. Es war Gerlind, die ihm erzählte, wie gut die Fotos geworden seien, die sie während ihres letzten Spaziergangs am Kanal geschossen hatten.
„Bist du krank, Liebling? Was ist passiert?“, fragte sie besorgt, als er kaum ein Wort hervorbrachte und keine Freude über die gelungenen Fotos zeigte.
„Ich bin nur etwas müde, Gerlind. Habe gestern noch bis nach Mitternacht an einer Buchkritik geschrieben“, sagte Erik schnell.
Als das Gespräch beendet war, legte er sich auf die Couch. Er fühlte sich mit einem Mal wirklich sehr, sehr müde.
Endlich nahte der erste Urlaubstag. Gerlind und Erik waren voller Vorfreude. Erik, weil er sich so sehr auf Schweden freute und Gerlind, weil Erik versprochen hatte, ihr die schönsten Plätze zu zeigen. Sie war noch nie in Schweden gewesen. Außerdem hatte Gerlind sich vorgenommen, endlich schwimmen zu lernen, schon allein deshalb, weil Erik ein hervorragender Schwimmer war und diesen Sport sehr genoss. Sie wollten deshalb ein paar Tage am Vänersee campieren.
An Gerlinds zweitem Urlaubstag fuhren sie nach Lübeck und von dort aus mit dem Schiff nach Trelleborg. Noch am selben Abend erreichten sie den Vänersee. Erik, der darin einige Übung hatte, errichtete im Handumdrehen das Zelt, wonach beide in einen tiefen Schlaf fielen, aus dem Gerlind zur gewohnte Stunde, zu der daheim ihr Wecker morgens klingelte, erwachte. Es dauerte ein Weilchen, bevor ihr in den Sinn kam, wo sie sich befand und dass sie Urlaub hatte.
Fröhlich kroch sie aus dem Schlafsack und warf einen Blick über den gut besuchten Campingplatz zum See hinunter, der ruhig und strahlend blau unter der frühen Morgensonne lag. Erik schlief noch fest.
„Ich werde ihn überraschen“, nahm sich Gerlind vor, streifte den neuen weißen Badeanzug über, den sie sich vor ihrer Abreise gekauft hatte, nahm ihre Badetasche und lief zum See. Es war ein herrlicher Morgen. Gerlind tauchte einen Fuß in den See, um zu prüfen, ob das Wasser schon warm sei. Sie fand, dass es genau die richtige Temperatur hatte, um schwimmen zu lernen. So schwierig konnte das doch nicht sein. Selbst kleine Kinder schafften das spielend. Ich werde das alleine zuwege bringen, dachte Gerlind.
Sie glitt ins Wasser und versuchte, die typischen Schwimmbewegungen nachzuahmen, die sie so oft bei Erik und anderen Schwimmern beobachtet hatte. Ein paar Meter trug sie das Wasser.
„Gewiss kann ich hier noch stehen“, dachte Gerlind und versuchte, mit den Füßen den Boden zu ertasten. Aber da war kein fester Grund mehr. Sie tauchte unter und schluckte Wasser. Voller Panik schlug sie mit den Armen in das Nass, das ihr mit einem Mal so kalt und fremd vorkam, versuchte, den Kopf über der Wasseroberfläche zu halten, schrie verzweifelt um Hilfe … bis zwei kräftige Hände sie an den Schultern packten und aus dem See zogen.
„What 's happend?“, fragte eine Männerstimme, als sie endlich auf dem Trockenen lag, auf dem Rasen des Campingplatzes.
„Ich habe, ich wollte doch nur", stammelte Gerlind.
„Sie Wasser geschluckt haben, ich beobachtet“, lächelte ihr Retter.
Er hatte dunkelblaue Augen und blondes Haar; in seinem tief gebräunten Gesicht, das von kleinen Fältchen durchzogen war, blitzten strahlend weiße Zähne.
Er sieht gut aus - und hat mir das Leben gerettet, dachte Gerlind, die sich langsam von ihrem Schreck erholte.
Erik hatte sich unterdessen auf die Suche nach Gerlind gemacht. Er gab sich Mühe, die vielen Zelte in gebührendem Abstand zu umwandern. Wo mochte Gerlind nur stecken?! Die Camper waren gerade wach geworden, und ein verlockender Kaffeeduft lag über dem Zeltplatz.
Erik schaute angestrengt in alle Richtungen. Dann fiel sein Blick auf etwas Schwarzes, ein kleines Fell, das eingerollt im hohen Gras lag. Er sah genauer hin und stellte fest, dass es sich um eine schlafende kleine Katze handelte. Erik, der Katzenfan, ging leise auf sie zu, hockte sich ins Gras und betrachtete das kleine Geschöpf. Fast wäre ihm das Herz stehengeblieben. Das musste Lizzy sein! Keine andere Katze auf der Welt hatte einen derart markanten Fleck auf dem Näschen. -
Es war Lizzy! Erik nahm sie auf den Arm. Lizzy wehrte sich nicht, im Gegenteil: Sie sah Erik aufmerksam an und schien ihn gleich wiedererkannt zu haben.
Wo Lizzy ist, müsste doch auch …, schoss es Erik durch den Kopf. Er kam mit seinen Gedanken nicht zu Ende, denn neben dem kleinen Imbissstand hatte er endlich Gerlind entdeckt – mit einem fremden Mann. Beide unterhielten sich, als wären sie seit Jahren miteinander bekannt. Langsam ging Erik auf die beiden zu.
„Lizzy, where have you been?“ rief Gerlinds Begleiter, als Erik neben ihm stand.
„Sorry, Mister, well, das ist unsre cat“, sagte der Fremde und nahm Erik das Kätzchen vom Arm.
„Falsch, das ist meine ...", wollte Erik sagen, ließ es dann aber doch zu, dass Lizzy ihm fortgenommen wurde.
„Och, ist die süß!“, rief Gerlind und wandte sich an den Fremden, der Lizzy liebevoll streichelte. „Gehört ihnen das Kätzchen, Harry?“
Sie schien Erik überhaupt nicht zu bemerken.
„Yes, und Sie, Gerlind, you belong to this man, who found Lizzy?“, fragte Harry und sah Gerlind dabei aufmerksam an.
„Ach, ja“, sagte Gerlind und stellte Erik als ihren Reisebegleiter vor.
Erik kam aus dem Staunen nicht heraus. Was war bloß in Gerlind gefahren? Schon am ersten Urlaubstag in der Fremde ließ sie sich von einem Schönling beeindrucken.
„Bitte, kommt zum Frühstück with me. My darling, meine Verlobte, und ich uns very freuen“, bat Harry schließlich.
Unterwegs erzählte Gerlind, was sich am See zugetragen hatte, und dass sie dem freundlichen Fremden, Harry, ihr Leben verdanke. Das stimmte Erik etwas milder. Je näher sie jedoch dem Zelt des Retters kamen, desto mehr beschlich Erik ein Gefühl, das er gut kannte. Wenn dieser Mann nun der Verlobte von … nein, das konnte nicht sein. Das war zu weit hergeholt.
„Darling, ich bringe dir Besuch mit“, rief Harry und blieb vor einem der Zelte stehen, das sich von den anderen ringsumher durch sein stattliches Volumen und seinen Komfort unterschied.
Ziemlich großkotzig, dachte Erik, und wollte schon umkehren, als eine junge Frau aus dem Innenraum trat und verwundert von einem zum anderen blickte. Als ihr Blick Eriks Augen traf, verzauberte ein warmes Lächeln ihr ernstes Gesicht.
Erik hatte sie fort erkannt. Es war tatsächlich Ulla, seine Ulla, und sie war viel schöner, als er sie in Erinnerung hatte.
„Ich habe gespürt, dass wir uns wiedersehen würden“, sagte sie zärtlich – mit dem aufregenden Akzent in ihrer hellen Stimme, die Erik schon damals betört hatte.
Ulla ging auf Erik zu, der nicht wusste, ob er lachen oder weinen sollte. Es war genauso wie an jenem Tag, als er Ulla das erste Mal gegenüberstand: Liebe auf den ersten Blick – nach mehr als zweieinhalb Jahren!
„Schönen Tag noch euch beiden“, brachte Erik schließlich hervor, nahm Ullas Arm und zog sie mit sich fort.
Lizzy, die sich noch immer auf Harrys Arm saß, sprang hinunter und tigerte im gebührlichen Abstand hinter ihnen her.