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jeden Fall hart werden, er kann gar nicht anders als hart werden, bei dieser Frau, bei dieser wunderschönen, göttlichen Frau. Sarah, ich liebe dich, jede Faser deines Körpers, deiner weiblichen Rundungen erregt mich so unendlich. Du machst mich so scharf. Sarah. Sarah. Denk nicht an den rosa Elefanten. Er wird, nein, er muss hart werden.
Er wurde nicht hart. Ich wurde nicht geil. Ich hatte mich immer stärker unter Druck gesetzt, je näher der Abend kam. Und egal, wie sehr ich mich auch dagegen wehrte, egal, wie ich mich selbst zu beruhigen versuchte, als sie kam, war all mein Mut beim Anblick ihrer Schönheit verflogen und an ihre Stelle traten die Selbstzweifel. Was will sie nur mit einem wie mir, was will sie mit einem Krüppel wie mir? Besser, ich lasse sie jetzt gehen, denn irgendwann verlässt sie mich, so oder so, da gibt es keine Zweifel. Am besten du gibst ihr den Laufpass. Jage sie davon, sonst wird der Schmerz nur stärker, wenn sie von selbst geht.
Als sie durch die Tür kam, empfand ich jedes Detail meiner minutiösen Planung wie einen Schritt in die Selbstzerstörung. Aber ich konnte nicht aufhören. Anstatt einfach zu sagen, dass ich den Abend verschieben möchte, gestaltete ich den Abend wie Kochen nach Rezept. Abgedunkeltes Licht, leise, jazzige Musik, warmes Essen im Ofen, frische Klamotten, ein Parfüm, ein frisch bezogenes Bett, Massageöl, Kerzen, das ganze Programm. Wie ein Roboter, unfähig zu menschlichen Reaktionen, spulte ich ein Programm ab, das ich wie ein Statist, aber nicht wie ein handelnder Akteur begleitete. Sarah merkte dies instinktiv, aber konnte selbst nicht sagen, was die angemessene Antwort gewesen wäre.
Nach dem Essen, auf der Couch, wir hörten Almost blue von Chet Baker, gab es den ersten Kuss. Ich lag ausgestreckt auf der Chaiselongue, Sarah saß rittlings auf mir. Sie trug eine weiße Bluse, darunter einen cremefarbenen Büstenhalter. Ihre Halskette und ihre blonden, geöffneten Haare schwebten zunächst verführerisch über mir, dann kam ihr Gesicht immer näher. Ihre und meine Lippen waren noch feucht vom Rotwein, der Geschmack versüßte uns diesen ersten, zaghaften Kuss. Sie kam wieder hoch und öffnete mein Hemd, zog es aus. Als sie zu einem zweiten Kuss ansetzte, fühlte ich das kalte Metall ihrer Halskette auf meiner Brust, ihre blonden Haarspitzen kitzelten auf meiner Haut. Es war schön. Die Atmosphäre stimmte. Als sie sich wieder zu mir bückte und mir einen fordernden, drängenden Kuss gab, öffnete ich meinen Mund und ließ ihre Zunge hinein. Gierig drang Sarah damit ein, ertastete meine Zunge, vereinte sich mit ihr. Ich fühlte den Hauch eines Rausches in meinem Kopf, fühlte, wie sich die Gedanken ausschalteten und ich auf reines Gefühl umschaltete. Ich wollte mich Sarah hingeben, wollte ihrem Versuch, mich vergessen zu machen, nachgeben. Aber meine rationalen Gedanken bäumten sich ein letztes Mal auf und fragten mitten im Liebesspiel, ob es schon Reaktionen von ‚da unten’ gäbe.
Werde endlich steif, dachte ich, und war verloren. Das eben noch einsetzende Rauschgefühl verschwand, und statt zu fühlen, nur zu fühlen, sah ich wieder. Ich sah die Tapete an der Wand, die Regler an der Stereoanlage und die brennenden Kerzen. Nun waren sie nicht mehr verschwommene Teile einer gefühlten Atmosphäre, sondern kalte, pragmatische Gegenstände in einer realen, lieblosen Welt.
Sarah bemerkte zunächst nichts. Fordernd küsste sie mich weiter, bewegte ihr Becken rhythmisch auf mir und flüsterte mir dann und wann etwas ins Ohr. Für eine Weile machte ich mit, gab mir alle Mühe, führte die tausend kleinen Handlungen aus, die zum Liebesspiel gehören. Aber ich handelte mechanisch, ich führte die einzelnen Schritte einer Betriebsanleitung aus, kalt und nüchtern, ohne mit dem Herzen dabei zu sein. Es war ein Gefühl wie bei einem schlechten Wettkampf früher. Ich kam nicht in den Flow. Irgendwann merkte dies auch Sarah und ihre Bewegungen erlahmten nach und nach.
„Was ist?“, fragte sie. „Mache ich etwas falsch?“
Allein diese Frage trieb mir die Tränen in die Augen. Ich liebte sie so sehr in diesem Moment, und wollte umso mehr Mann sein, wollte sie verführen, berauschen und erleben. Und konnte es doch nicht.
„Nein“, sagte ich, „du machst alles richtig. Ich bin es. Ich bin zu verkopft. Es tut mir leid.“
„Das muss es nicht“, erwiderte sie sogleich und gab mir einen versichernden Kuss. „Das wird schon. Wir haben doch alle Zeit der Welt.“
Wir verbrachten den restlichen Abend Arm in Arm, streichelten uns, liebkosten uns und versicherten uns unserer gegenseitigen, unerschöpflichen Liebe. Aber wir hingen auch unseren eigenen Gedanken nach, fühlten eine lähmende Unsicherheit, die zu fragen schien: Wie soll es jetzt weitergehen?
Im Hintergrund lief Lament von Chet Baker.
*
Dieser erste Versuch blockierte uns für lange Zeit. Tom ging mir in den Tagen danach aus dem Weg, war bei den wenigen Begegnungen ungehalten und sichtbar frustriert. Ich ließ ihn in Ruhe, ging mit Freundinnen aus und hielt den Kontakt mehr über das Handy als in Person. Ich setzte meine Hoffnungen in das Basketballturnier, an dem er mit seiner Mannschaft teilnahm. Hierfür hatte er den Ehrgeiz zurückgewonnen, der ihn früher so ausgezeichnet hatte. Er trainierte wahnsinnig viel, wahrscheinlich auch, um nicht an unseren missglückten Versuch zu denken.
Das Turnier verlief dann tatsächlich erwartungsgemäß. Tom holte mit seiner Mannschaft den ersten Platz, wurde zwar nicht als Most valuable Player des Turniers, aber immerhin einmal als Man of the Match nominiert. Aus der Distanz betrachtete ich sein fiebriges Spiel, seine Besessenheit, diesen unbedingten Siegeswillen. Wäre ich auf ihn zugegangen, hätte er seinen Erfolg wahrscheinlich kleingeredet, sich als Meister der Krüppel oder ähnliches tituliert. Ich spürte, ich musste ihm Zeit geben.
Langsam aber kehrte dann doch wieder so etwas wie Alltag ein. Wir verbrachten gemeinsam Abende vor dem Fernseher, erzählten uns von den Erlebnissen des Tages, streichelten und küssten uns. Ich machte keine Anstalten, darüber hinaus zu gehen, und ich glaube, er war mir dankbar dafür.
Ungefähr zwei Monate nach unserem ersten Versuch passierte es dann ganz unerwartet. Ich hatte einen anstrengenden Tag hinter mir, und Tom hatte seine Zwischenprüfung an der Uni geschrieben. Wir waren beide erschöpft und wollten nichts weiter, als gemeinsam auf der Couch vor dem Fernseher zu versacken. Ich trug meine Jogginghose und das Nachthemd, darunter hatte ich nur mein Höschen an. Tom trug eine Jeans und ein altes Sweatshirt. Erst saßen wir kontaktlos nebeneinander, dann ergriff ich seine Hand und streichelte sie, mehr mechanisch als liebevoll. Er lehnte sich erst an meine Schulter, dann ließ er seinen Kopf in meinen Schoß sacken, schaute aber immer noch in Richtung Fernseher. Ich ließ von seiner Hand ab und massierte stattdessen mit meiner Rechten seinen Kopf. Sanft übte ich Druck auf seine Stirn und seine Schläfen aus, fuhr ihm durchs Haar, zog sacht an seinen Ohrläppchen und zeichnete mit dem Zeigefinger die Konturen seines Gesichts nach. Er genoss meine Berührungen sichtlich, schaute zu mir hoch, lächelte zufrieden. Dann schloss er die Augen, atmete gleichmäßig und laut. Irgendwann ging sein Atem in ein sanftes Stöhnen über und ich merkte, wie ich kaum mehr auf den Fernseher schaute, sondern nur noch auf ihn. Plötzlich stützte Tom sich ein wenig von der Couch ab und zog mir das Nachthemd über den Busen. Mit seinen Lippen umspielte er den Vorhof meiner Brustwarzen, umkreiste sie dann mit seiner Zunge und begann sanft, daran zu saugen. Ich machte den Fernseher aus und genoss im Dunkeln den fordernden Druck seines Mundes. Ich spürte die Erregung zwischen meinen Beinen und in meiner Brust. Tom ließ von meinen Brüsten ab, zog mir das Nachthemd über den Kopf und küsste mich auf den Mund. Die Heftigkeit, mit der er seine Lippen auf meine drückte, überraschte und beseelte mich. Die Spontaneität unserer Handlungen schien uns eine erotische Kraft zu verleihen, die wir beide nicht mehr für möglich gehalten hätten. Seine Hände waren jetzt überall. Er setzte sich aufrecht hin, hielt mich und küsste mich leidenschaftlich. Er fuhr mir durchs Haar, fasste mir in den Nacken, ergriff mich und forderte mich ein. Ich gab ihm bereitwillig nach, fühlte durch den Kuss die Bestätigung unserer Verbundenheit, spürte die Liebe, die uns noch immer erfüllte. Das ganze Drama, das ganze Leiden, die ganzen Kämpfe, alles schüttelten wir nun von uns ab wie ein lästiges Insekt. Die Wärme unserer Haut, die Feuchtigkeit auf unseren Zungen, die Hitze unserer Gedanken ebneten den Weg in den Rausch, dem wir uns ergaben. Wir wollten uns, wir wollten einander, wir wollten uns spüren, berühren, fühlen und durchdringen. Wir wollten kraft unserer Liebe den Schmerz vernichten, wollten da sein, für uns und ineinander. Jede Bewegung ergab sich nun von selbst. Seine Hände an meinen Hüften, meine Hände an seiner Hose. Jedes Kleidungsstück war nun zu viel, erschien uns so sinnlos und störend. Und als ich schließlich nackt auf ihm lag, fühlte ich es. Seine Erektion. Sein hartes Glied, seinen steifen Schwanz. Und bevor er auch nur zu denken anfangen konnte, hob ich mein Becken an und griff im Dunkeln nach seinem Penis, spürte dieses zugleich unglaublich weiche und doch harte Ding in meiner Hand. Ich dirigierte es ohne Umschweife in mich hinein. Problemlos glitt der Schaft in mich, füllte mich aus und trübte meine Wahrnehmung. Rhythmisch bewegte ich mein Becken auf und ab, vorsichtig, aber doch voller Verlangen. Selbst in einem Rausch gefangen, vernahm ich sein lautes, immer wilder werdendes Stöhnen wie aus der Ferne. Ich warf meinen Kopf in den Nacken, stützte mich mit beiden Händen auf seiner Brust ab und ritt auf ihm.
Dann kam er. Er schrie all seinen Schmerz hinaus. Seine Beine zuckten wie bei einem Elektroschock und er drückte mich weg von sich. Ich sprang entsetzt auf, fürchtete, ihn verletzt zu haben. Aber sogleich ergriff er wieder meine Hand und zog mich zu sich hin. Ich kniete vor ihm auf die Couch, fuhr ihm durchs verschwitzte Haar und fragte erschrocken, was los sei.
„Alles gut“, erwiderte er keuchend. „Alles gut.“ Er japste nach Luft. „Es war wunderbar.“
Ich lachte so enthemmt wie schon lange nicht mehr. Ich war völlig euphorisiert vom plötzlichen Ausbruch unserer Begierde und konnte es nicht fassen. Dann stimmte auch Tom in mein Lachen ein und wir lagen uns bis tief in die Nacht glücklich in den Armen.
*
An diesem Abend löste sich eine Blockade in mir. Ich hatte das Gefühl, gemeinsam mit Sarah einen Berg erklommen und glücklich auf der anderen Seite angekommen zu sein. Das heißt nicht, dass unser Sexleben von da an wieder in Ordnung war, dass wir häufig miteinander schliefen, gemeinsam kamen und uns immerzu anziehend und erotisch fanden. Nein, ich hatte fortan Erektionsstörungen, selten einen Orgasmus und nicht immer Lust.
Ich war eben ein ganz normaler Mann.