Pullover
Die Bäcker- und Konditorfamilie bediente sich ausgiebig meiner noch ungebrochenen Arbeitskraft, und da ich gewohnt war, immer mein Bestes zu geben und erst dann zufrieden zu sein, kam es mir wie eine Win-Win-Situation vor.
Ich wurde auch mit Ungewöhnlichem gefordert. Meinem Stolz in Erinnerung geblieben ist, dass die Bäckersfrau (um 15 Jahre jünger als ihr schon etwas müder Mann), mir voller Entrüstung einen hellblauen Pullover präsentierte, ein wohl sehr teures Geschenk an ihren Mann zu seinem gerade gehabten Geburtstag: „Einen Tag getragen! Einen Tag! Und was macht er? Ich hab' noch gesagt: 'Wenn du unbedingt rauchen musst – pass' auf mit der Asche!' Und? Schauen Sie mal: Ein Brandloch! Genau hier auf der Brust, wo man es immer sehen wird. Hier! Den kann ich wegwerfen, den kann man doch nicht mehr nehmen!"
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie die als Fest geplante Einladung am Vorabend abgelaufen sein musste und hatte mich nicht erst da gefragt, ob er seinen Entschluss, so spät im Leben noch die Partnerin zu wechseln, nicht schon heftigst bereut haben musste.
Zu dem Zeitpunkt hatte ich ein Faible für Petit-Point-Stickerei und sah mir das weiche Gestrick einmal genauer an. Wenn man vielleicht vom Stickgarn nur einen der aufgedröselten Fäden nehmen würde...? Ich bat sie, einmal mein Geschick versuchen zu dürfen. Ich durfte, die Hoffnung, das teure Stück vielleicht doch noch nicht direkt nach Erwerb entsorgen zu müssen, gab mir freie Hand.
Ich probierte es mit einem einzigen Fädchen in hellblau. Verstickt wirkte es dunkler als das umgebende Gestrick. Schade. Aber mein Ehrgeiz war geweckt und ich suchte nach einer Lösung.
Schnell gefunden. Ich nahm eines meiner – damals – langen blonden Haare (ich hatte immer ein sehr feines Haargespinst) und ein einziges Fädchen von dem blauen Garn. Beides zusammen verstickte ich auf das Gekonnteste in dem kleinen Brandlöchlein auf der linken Brustseite des kostbaren Stückes.
Und siehe da: Die Mischung machte es. Das Löchlein war verschwunden und nur, wenn man wusste, worauf man zu achten hatte, konnte man die Stelle überhaupt ausmachen.
Die Bäckersfrau war sehr angetan von meinem Können und riet mir, Kunststopferin zu werden.
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