Wohl dem ...

Bild zeigt Annelie Kelch
von Annelie Kelch

Nachts ist man weniger abgelenkt als am Tage. Ich stelle meinen Wecker jeden Abend auf 01:30 Uhr und reiße fünf Minuten später meinen Laptop aus dem Schlaf. Das nimmt er mir übel; er protestiert heftiger noch als die indischen Frauen auf Twitter (die haben wenigstens einen Grund).

Manchmal zeigt er mir auch „nur" die kalte Schulter. Obwohl ich dann sofort die Heizung anstelle, weigert er sich, warm zu werden (so richtig warm sind eh nie miteinander geworden). Mir bleibt dann nichts anderes übrig, als sein Verhalten aufs Schärfste zu verurteilen. Das ist ihm sowas von egal – gleichgültiger noch, als wenn die Welt wegen Trump „vor die Hunde ginge".

Neulich Abend saß ich in in Shorts und T-Shirt vor seinem Bildschirm. Prompt erschien diese Meldung:

„Ich sympathisiere mit den Saudis: Entweder, Li, du ziehst dir jetzt sofort was über die nackten Arme und Beine, oder unser Flug durch die virtuelle Welt wird umgehend storniert.“

Ich habe mich so sehr erschrocken, dass mir die Maus aus der Hand fiel. Das ist mir vorher noch nie passiert. Er erlaubt sich selten solche Späße mit mir. – Das war der Gipfel.

Am nächsten Tag las ich in der Zeitung, dass die saud.-arab. Fluggesellschaft „Saudia“ Passagiere „in T-Shirt und Shorts“ aus dem Flugzeug werfe und in der Pampa umherirren ließe.
Ich war echt schockiert: Er surft heimlich im Netz, während ich schlafe, daher die hohe Stromrechnung.

Um 04:30 Uhr surfe ich meistens in der Bibel: Auf der Suche nach ein paar Worten, die mich nicht gleich in Panik versetzen. Gestern fand ich zwei – bereits nach dreißig Minuten. Hier sind sie:

„Wohl dem ...“

Damit kann man eine Menge anfangen, finden Sie nicht?!

Wohl dem, der Zitronen im Hause hat …
Wohl dem, der zum Wohle der Bauern Milch kauft und sie danach verschenkt oder entsorgt …
Wohl denen, die ständig verliebt sind (ich hoffe, der Plural verwirrt sie nicht; man muss flexibel bleiben); sie gehen einem lediglich auf die Nerven, sind aber hochzufrieden und ungefährlich …

Wohl denen, die auf Schusters Rappen reisen: Sie verpesten die Umwelt nicht und bringen die Pferde auf Trab ...
Wohl denen, die keine Menschen (einschl. Polizisten) anspucken (Lamas ausgeschlossen) …

Wohl denen, die Realitäten sammeln (bitte nicht verwechseln mit uraltem Schrott); Träume erschrecken mich …

Das dürfte reichen. Falls Sie sich noch immer zu Tode langweilen sollten, sind Sie selber dran schuld (mein Mitleid hält sich in Grenzen).

Ich bin heute etwas in Eile. Mein Löschblatt hat Geburtstag (3).
Das gibt eine Sause! Wir saufen Tinte, bis wir blauer sind als der Enzian in Heinos Schnulze.
Mein Füller bringt danach keinen vernünftigen Gedanken mehr zu Papier. Das war zu erwarten und liegt einzig und allein an mir: Nüchtern schreibt es sich leichter.

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