„Liebe Leute, seid doch bitte nicht so traurig, könnt ihr denn eure Henker nicht lieben?!“, tönt es im Todestrakt von Swing-Sing. „Wisst ihr was?! – wir singen jetzt ein Lied. Bitte alle mitmachen! Der Tod ist aufgegangen, die gold‘nen Schwertlein prangen, über den Köpfchen, hell und klar … Warum macht ihr denn nicht mit?“
Nicht alle Insassen lächeln, oder wollen heute Morgen unbedingt ein Lied singen. Viele starren ernüchtert auf die sogenannte „Green Mile“ – den Weg zum Exekutionszimmer, der mit einem grünen Läufer ausgelegt ist – vor den Gitterstäben, aber die Anstaltsleitung möchte Trübsinn erst gar nicht aufkommen lassen. „Die Henker sind doch DIE Bereicherung in eurem Leben! Bedenkt aber auch: Ihr könnt sie euch gar nicht leisten, wenn ihr nicht brav seid!“
„Ja, ja“, sagt einer der Verurteilten, „wir arbeiten ja schon!“ „Na also", antwortet der Lautsprecher, „geht zurück an eure Plätze und wartet darauf, aufgerufen zu werden – jeder kommt dran! Aber seid bitte nicht ungeduldig … es wird nichts passieren." Das nun einsetzende Raunen ist ein wenig bedrückend, aber die Häftlinge müssen aufpassen: Kein unüberlegtes Wort soll über ihre Lippen kommen … man könnte es falsch auslegen.
„Seid euch über eines klar“, verkündet das Anstaltsorgan, „jeder von euch ist schuldig, weil er zu essen und zu trinken im Überfluss hatte, während andere Menschen ihre Kinder nicht mehr ernähren konnten – das ist verabscheuungswürdig … nein, dafür gibt es keine Entschuldigung … auch euer Fleiß taugt dafür nicht!“ Dann ist wieder betretenes Schweigen in den Zellen.
Gelegentlich kommt aber auch der Gefängnisdirektor vorbei, um die Todgeweihten zu motivieren: „Nun seid nicht immer so pessimistisch“, rät er dann, „es ist doch nicht nur wunderschön zu leben, es ist auch ausgesprochen kurzweilig zu sterben!“ Wenn daraufhin heulendes Gelächter ertönt mahnt er zu Ordnung und Disziplin: „Denkt daran, was in eurem Glaubensbuch steht … ‚Liebet eure Übernächsten mehr als euch selbst und euer wird die Hölle auf Erden sein‘ … oder so."
Den meisten bleibt dann, vor lauter Überraschung, die Spucke weg und die meisten denken daran, sich gleich in der Zelle vorbeugend aufzuhängen. Aber das ist schon gar nicht erlaubt, denn die Verwaltung war stets akribisch bestrebt, den Insassen alles wegzunehmen, was auch nur im Entferntesten nach einem Selbst- oder Mordwerkzeug aussah. Es waren grundsätzlich nur technische Hilfsmittel am Arbeitsplatz erlaubt.
Immer hieß es „Wir müssen sparen“ und „Wir müssen darauf achten, daß sich niemand selbst verletzt, denn dadurch käme die Gefängniskasse zu Schaden – und die wird ja noch gebraucht, wie ihr wisst, denn morden will gekonnt sein … dafür brauchen wir extra ausgebildete Hilfskräfte, und wie ihr ebenfalls wissen solltet (wir haben euch das schließlich gründlich eingebläut), herrscht hierzulande ein eklatanter Fachkräftemangel."
Zum guten Schluss, oder auch zu allem Überfluss, kommen ja auch noch regelmäßig die Gefängnisgeistlichen vorbei, um allen Delinquenten ihren Trost und Gottes Segen zu spenden. Eindringliche Ermahnungen sind da natürlich inbegriffen … „Seid nicht dauernd so gierig! Nehmt den anderen nicht die Luft zum Atmen weg! Warum wollt ihr weiterhin essen?" Und „Es gibt keinen Grund sich zu beklagen – man braucht euch ab dem baldmöglichsten Zeitpunkt nicht mehr!“
Wenn dann aus so manchen Ecken ein leises Schluchzen ertönt, kommt das Wachpersonal zum Nachsehen vorbei. Wer dabei ertappt wird traurig zu sein, der muss sich entweder 3 Stunden lange Reden im Parlament, mittels Direktübertragung, im Fernsehen anschauen, oder er bekommt einen Selbstvertrauensentzug durch einen Hypnosespezialisten verordnet. Das geht dann genau so oft vonstatten, bis sogar Wahrheitsdrogen bei dem derartig Behandelten versagen und er nur noch den eingetrichterten Senf wiederholen kann.
Ewig wird es diese Anstalt jedoch nicht geben. Ihr Ende ist vorausprogrammiert: Wenn der letzte Verurteilte hingerichtet ist, wird sie geschlossen. Dann leben nur noch Fachkräfte und Henkerskinder auf dem Terrain, wo einmal eine große Anzahl zum Aussterben bestimmter Inhaftierter ihr Dasein gefristet und schwer dafür gearbeitet hat, damit es anderen Geschöpfen als sie es selbst waren, einmal besser haben werden … also nicht gut, aber immerhin besser, als sie es vorher hatten. Nein, nicht für alle Zeit, nur solange, bis die Ersparnisse der Hingerichteten aufgebraucht sind!
Kommentare
Ich weiß gar nicht, was Du hast:
Prima ent- äh - VERSorgt wird man – im Knast …
LG Axel