Bizarres Brauchtum in aller Welt

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Bizarres Brauchtum, kuriose Rituale aus aller Welt

PFRÜNDENSTEIN

WAS GEHT in…? Folge 917, heute: …Vrannestiehn („Die Stadt der Hüte“), Lettland
WHAT´S UP in…? Episode 917, now: … Benefice Stone („The City of Hats“), Latvia

In Pfründenstein (Vrannestiehn), im südöstlichen Teil Lettlands gelegen, geht es etwas anders zu als an allen anderen Orten dieses Planeten. Eine urwüchsige, feste Gemeinschaft bilden die Einwohner, sie halten stets zusammen, was auch immer kommt. Im Jahre 1953 hatte man die Hutpflicht eingeführt. Bis heute ist sie in der Stadtverordnung vorgeschrieben. Sie gilt für Mann, Frau und Heranwachsende (ab 13 Jahren), nicht jedoch für die vielen Ordnungshüter, den Friedensrichter, den Bürgermeister und alle Stadträte. Zur Begrüßung gibt man sich sachte, aber dennoch spürbare Ohrfeigen. Frauen, die ihre Männer verdächtigen, fremd zu gehen, sollen, dem Vernehmen nach, schon mal heftiger zuschlagen, wenn der Göttergatte von der Arbeit müde nach Hause kommt. Diese Form der Backpfeifen wachsen sich oft zu regelrechten Faustschlägen aus. Gu-ten A-bend, mein lie-ber Ehe-mann! Das sind 9 heftige Maulschellen zur Begrüßung. Da überlegt man es sich doch besser zweimal, der Frau mit solch einer Handschrift untreu zu werden.

Und Pfründenstein heißt nicht umsonst so. Wann immer eine gemeinnützige Arbeit verrichtet worden ist, ist ein solcher Stein an denjenigen zu übergeben, der diesen sozialen Dienst geleistet hat. Pfründe kann jeder erwerben, der etwas für einen anderen verrichtet, das jener nicht pekuniär vergelten kann oder mag. Ist dann der Pfründenstein-Besitzer im Rentenalter, weist er die Steine vor und erhält von der "Stadtkass" (die heißt dort wirklich so, doch doch, googeln Sie das meinetwegen!) eine entsprechende monatliche Rente zugewiesen.

Das ist sehr praktisch. Wer viel für die Gemeinschaft macht, bekommt im Alter viel Geld. Wer wenig einbringt, der erhält eine schmale Rente. So sind alle bestrebt, wenn möglich, altruistisch zu leben, dem lieben Nachbarn so viel wie nur möglich behilflich zu sein, allerlei soziale Dienste zu verrichten, immer fein raus zu sein, was diese Pfründen-Steine angeht. Es liegt im Ermessen desjenigen, für den die Arbeiten verrichtet wurden, einen Pfründenstein vor die Tür des, im Stadtjargon, „sozialen, guten Menschen“ zu legen. Tut er dies nicht, kann der „Pfründenstein Erwartende“ nicht klagen. Seine Steine lagert man entweder im "Pfründe-Keller" oder, wie es die besser Betuchten machen, in der "Vranne-Bank". Es gibt jedoch keine Zinsen auf Pfründen-Steine. Das ist einfach nicht machbar. Die Pfründen- Steine sind übrigens ganz besondere Exemplare. Sie können bei der Vrannebank erworben werden und sind aus Dachsteinkalk. Jeder Haushalt wird aufgefordert, mindestens 3 dieser Pfründen-Steine vorrätig zu haben.

Aber natürlich entstehen so, der lieben Rente wegen, ab und an auch Querelen und Zwistigkeiten aller Art. Diese schlichtet immer der Herr Friedensrichter. Seinem Spruch müssen sich die streitenden Parteien stets unterwerfen - und schlussendlich auch beugen. Meist murrend. Na ja, so gut wie immer murrend.

Es gibt noch mehr Merkwürdigkeiten in Vrannestiehn. Trifft man sich von weitem, nimmt man diesen obligatorischen Hut ab und streicht sich kurz übers Haar (oder auch über die Glatze). Verwunderung: Leichter Druck auf die eigene Nasenspitze, dies wird auch zum Test bei Verdacht auf Fahrt im Auto unter Alkoholeinfluss genutzt. Stark verdutzt? Mittelstarker Druck. Richtig heftig verwirrt? In dem Fall hinterlässt der Druck auf die eigene Nasenspitze sogar eine starke rote Druckstelle.

Knappes Zwinkern bedeutet "Ich mag dich". Doppel-Zwinkern: "Ich liebe dich". Mehrfaches, wiederholt ausgeführtes Stakkato-Zwinkern: "Wir sollten jetzt sofort und auf der Stelle den Geschlechtsverkehr ausüben! Now! Stante pede, pronto und ad hoc!!" In der Regel entledigt man sich schon während des Stakkato-Zwinkerns seines Beinkleides.

Ist man ungehalten, in irgendeiner Weise erzürnt über ein Verhalten, dann zupft man sich energisch am rechten Ohr. Es sieht oft reichlich belämmert aus, wenn ein Linkshänder sich am rechten Ohr zupft. Ist man von einem Wortspiel sehr angetan, zupft man sich sacht am linken Ohrläppchen. Ist kein Läppchen vorhanden, zupft man einfach am Ohr. Wenn einer sich mal irrt, statt links eben rechts zupft, dann hat das oftmals schreckliche Auswirkungen. Zu denen kommen wir jetzt. Wappnen Sie sich, geneigter Leser, jetzt wird es fäkal. Doch, Sie haben richtig gelesen. Da steht nicht "fatal", da steht fäkal! Tja, ist eben so.

Die wohl seltsamste Geschichte nämlich ist die, dass man sich, nur bei höchstem Unwillen und immenser Wut, gegenseitig in den Hut scheißt. Ja, tatsächlich. Das stimmt. Eine Unsitte seit etwa 1888, da wurde es offiziell in den Chroniken erwähnt (senamiesčio kronika = litauisch; vecpilsētas hronika = lettisch).

In Pfründenstein (südöstlicher Teil Lettlands) scheißt man sich in den Hut, wenn man die größten Ressentiments, einen heftigen Argwohn, die wohl allerschlimmste Apathie oder auch die grässlichsten aller Verdachtsmomente (Ein Pfründen-Steine-Diebstahl, Übervorteilung, Lüge, Betrug oder Hinterziehung, Verwechslung von rechten und linken Ohr-Signalen) hegt. In der Regel geht es jedoch beinahe immer und permanent um den Diebstahl von Pfründen-Steinen. Man defäkiert auch dann den Fremdhut, wenn es lediglich ausreichende Verdachtsmomente vorzuweisen gibt. Dies allein scheint mir bereits ausreichend Zündstoff für allerlei Unbilden zu sein. Denn der Verdächtigungen in Pfründenstein gibt es viele...

Doch zurück zu jenem sehr befremdlichen Brauch, sich gegenseitig in die Hüte zu kacken. Ein Brauchtum, wie es sonst in ganz Europa und der übrigen Welt nicht zu beobachten ist. Es wurde lange recherchiert, aber einen ähnlich gelagerten Fall gibt es einfach nicht. Vrannestiehn ist in dieser Hinsicht einzigartig.

Es kann auch auf offener Straße geschehen. Bisweilen bietet das schon einen recht bizarren Anblick, wenn eine jüngere Frau auf einen älteren Mann zugeht, ihm den Hut vom Kopf reißt, den Rock lüpft, und heftig in diesen Hut kotet. Klar, nicht jeder kann immer, wenn er gerade möchte, hart einen in den Bottich, respektive Hut, Zylinder, Bowler oder Stetson wirbeln. Nicht jeder kann immer, wenn er nun gerade will und muss, angesichts des Feindes, der da, Hut tragend, naht. Ja, manch einer bemerkt die Absicht und ist verstimmt, will schnell seinen Hut verschwinden lassen, wirft ihn einfach über die nächste Mauer. Aber siehe da: Sofort ist eine der Exekutiv-Kräfte des Städtchens vor Ort und verdonnert den armen Menschen, weil er keinen Hut auf dem Kopf hat. Viele behaupten auch, über 20 Jahre und länger, noch immer 12 Jahre alt zu sein. All das hilft nichts. Demjenigen wird aufgelauert, und das Schicksal nimmt

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