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erbarmungslos seinen Lauf. Es bleibt aber das Problem:
Wer kann denn schon wunschgemäß einen abseilen, wenn ihm gerade danach ist? Eben.
Daher tragen alle Vrannestiehner stets etwas frisches Darmendprodukt mit sich. In geruchssicherer, verschließbarer Plastikverpackung. Jeder. Man weiß ja nie. Ab 13 Jahren erst, natürlich. Sicher sind nur, wie schon erwähnt, die Ordnungshüter, der Friedens-Richter, der Bürgermeister und alle Stadträte. Touristen, die sich selten nach Vrannestiehn verirren, bekommen im Rathaus, falls nicht vorhanden, einen "Gäste-Hut". Denn die Hutpflicht gilt für alle! Auch für jeden einzelnen Besucher, Akquisiteure, Touristen, Durchreisende, Religionsvermittler und natürlich für die Postzusteller. Jeder muss einen Hut tragen. Man ist da nicht kleinlich. Base-Caps, Cowboy-Hüte, Holland Hauben, Party-Hüte, egal. Ob Fez, putzfideler Pepita-Hut, Zylinder oder Strickmütze, alles wird als Kopfbedeckung anerkannt, nur nicht die Krone. Wer mit einer Krone auf dem Haupt daher kommt, muss ins Rathaus, sich einen Gäste-Hut ausleihen.
Der Bürgermeister, er heißt übrigens Pfröpfchen (doch, wirklich!), ist ein direkter Nachfahre der sehr berühmten deutschbaltischen Familie Plater. Dieses Vrannestiehn liegt übrigens in Sēlija, dem östlichen Teil der Region Semgallen (auf Lettisch: Zemgale). Die nächst größere Stadt ist Subate (deutsch: Subbath). 2020 zählte Pfründenstein 312 Einwohner. 120 km westlich von Daugavpils (in Deutsch: Dünaburg) gelegen, nahe der Grenze zu Litauen, ist man sich mit den „Subate-Schädeln“ (Stadt-Jargon) nicht grün. Es gibt dort 964 Einwohner, für semgallische Verhältnisse eine Großstadt, in der es, so Pfröpfchen, „drunter und drüber geht, wo Sodom und Gomorrha herrschen, das Laster und die ärgste Vetternwirtschaft gar entsetzlich wuchern und so gut wie kein Internetzugang möglich ist, trotz WLAN.“
Daher bleibt man unter sich. Baut an, was man zum Leben braucht, hält Kleinvieh, (Schafe) hilft sich, so gut es geht, betreibt „Pfründen-Wirtschaft“. Die Rente ist das überhaupt wichtigste Thema hier, in der Sitzung an fast jedem Donnerstag. Das sogenannte Thing bietet exakt 333 Personen Platz, man ist also durchaus auf explodierende Geburtenzahlen eingestellt. Dort wird dann lange besprochen und bequackelt, warum z. B. Kaspar Kettler diese exorbitant hohe Altersrente zugesprochen bekam, wogegen Siem Raban Oger Rabanberghs nur eine bescheidene Rente zu beziehen gezwungen ist (wo doch nun wirklich jeder weiß, dass Siem in 17 Wochen mehr für diese Gemeinschaft getan hat als Kettler in seinem gesamten Leben!).
Es wird gemutmaßt und gemunkelt, dass hier die historische Figur Kettler im 16. Jahrhundert eine entscheidende Rolle spielt. Klüngel. Es gibt ihn nicht nur in Köln und Umgebung. Im Jahr 1570 übertrug Gotthard Kettler, der erste Herzog von Kurland und Semgallen, der deutsch-baltischen Familie Plater(-Sybergs), die als Adlige im nahezu ganzen südöstlichen Lettland herrschten, einen Herrschaftssitz am See von Subate. So entstand dann eben Alt-Subbath.
Da wird heiß diskutiert und wild gestritten, bis der Friedensrichter, Gahad Gorkan Cuke von Gerkan, ein harsches Machtwort zu sprechen sich schließlich veranlasst sieht und sofort vehement eingreift. Dann herrscht, in der Regel, Ruhe... Ab und an scheißt aber dann doch der eine oder andere in den einen oder anderen Hut. Ja, das kommt schon mal vor in Vrannestiehn (südöstliches Lettland). Wollten Sie dort leben?? Eher nicht. So spricht denn auch der Herr Bürgermeister, Dr. Traugott Jasper Emil Pfröpfchen, von einem "eher kaum bis nicht vorhandenen Tourismus in Vrannestiehn". Wenig verwunderlich, finde ich. Wer lässt sich schon gern in den, womöglich brandneuen, Hut scheißen? Sie wissen es doch: Nur ungern nimmt der Handelsmann statt Bargeld Stuhlgang an. Das ist überall auf der Welt so. Auch in Vrannestiehn. Und so ein Tourist oder Besucher, der seinen Hut vollgekotet in der Hand hält, hat es nicht leicht. Er ist verpflichtet, den Hut vollständig gereinigt und geruchsneutral zurück zum Rathaus zu bringen. Das ist oberste Pflicht.
Eine Reinigung für Hüte jedoch sucht man vergeblich in ganz Vrannestiehn. Die nächste ist in Riga.
Traugott J. Emil Pfröpfchen hat für den ihm liebsten Ort auf diesem Planeten eine sehr flotte Webpräsenz eingerichtet. Wenn Sie Zeit und Muße haben, riskieren Sie doch einmal einen Blick. Es lohnt sich sehr:
https://www.Tourist-Office.lv/Pašvaldības-Portāls/Information-Center/Vrannestiehn/Mērs-Birojs/Latvia/Tūrisma-Informācijas-Birojs/have-a-wonderful-stay-here-in-Benefice-Stone
Wichtig ist aber, dass Sie diesen Link (Sie können nicht direkt darauf klicken! Das ist seitens des Tourist Office nicht erlaubt worden, Sie werden sich schon die Mühe machen müssen, ihn zu übertragen!) exakt eingeben. Achten Sie demnach auf alle diakritischen Zeichen. Die müssen ganz genau stimmen, sonst funktioniert es nicht (und, glauben Sie mir, Sie verpassen etwas, wenn Sie die Seite nicht aufrufen!).
Einige nette Fakten über unser Vrannestiehn: Nicht in Riga stand 1510 der erste Weihnachtsbaum, sondern in Vrannestiehn, und zwar bereits im Jahre 1506, im späten Dezember. Das ist in der Stadtchronik vermerkt worden. Nun, Riga wehrt sich zwar bis heute vehement, aber ohne jeden erkennbaren Zweifel ist in Sachen „Weihnachtsbaum-Streit“ unser gutes, altes Pfründenstein klarer Sieger! Wenn es doch in der Stadt-Chronik steht... Doch, dort steht es, schwarz auf weiß!
Erste Erwähnung findet, damals noch Vrandesteyn, unser nettes Örtchen in der Chronik von Kookran Z. J. Baabel, „Das Gemetzel von Mazsalaca (Salisburg)“ („Kaušana Mazsalacas”), bekannt als „vecais ieraksts Kookran punktu J. Baabel Elder“ („Alte Niederschrift von Kookran Ziff J. Baabel dem Älteren“, im Jahre 1319 im Kloster zu Kandava erstellt; die Schlacht selbst fand im Jahre 1317 statt und wurde damals als Unabhängigkeitskrieg vom so verhassten Riga geführt. Sie wurde verloren, diese Schlacht, es gab leider mehr als 13 Tote, nämlich knapp 15).
Hässlichste Fluchworte: Wurstgesicht (Desa Sejas), Nudelkoffer (Makaronu Case), fetter Kackbatzen (Muļķības Batzen, auch: Batzen Tauku Crap) und Rüssel-Gump(en) (Trunk Gump, oder eben auch: Stumbrs Baseini). Ein „Batzen Tauku Crap“ reicht mehrfach aus, um einen Fremdhut mit Kot zu befüllen! Die Torfnase ist: "kūdras deguns". Das schlimmste Schimpfwort aber ist Jūs Gurķu (Du Gurke) oder, noch fürchterlicher, „Du Sohn einer Gurke“ (Tu Dēls Gurķis). Pfründensteindieb wird übersetzt mit: "labdarības akmens zaglis". Dachkalkstein-Kopf: jumta kaļķakmens galva. Nun aber genug der Beschimpfungen.
Vrannestiehnsche Einwohnerzahl: 312 im Oktober 2012, so auch im Oktober 2016, höchstwahrscheinlich ebenso im Oktober 2020, falls sich Jasper Jan und Notwinda Kukurutz nicht mal endlich dazu entschließen, die Familie zu vergrößern. Die sind schon 3 Jahre verheiratet. Aber Kinder? Fehlanzeige. So bleibt´s denn eben bei 312 Einwohnern. Was ist denn los im Bett der Eheleute Kukurutz? Muss Bürgermeister T. J. E. Pfröpfchen erst kommen, um Euch zu zeigen, wo der Bartel seinen Most zu holen gewillt ist? Nun kommt mal in die Hufe, J. und Notwinda Kukurutz! Zeugt! Legt Euch ins Zeug! Zeugt endlich! Legt Zeugnis ab, verflucht! Diese Ehe sollte doch nun endlich vollzogen werden, Jasper Jan, Trunk Gump!
Besonders häufig vorkommende Namen: Kettler, Pannekoken, Pommeranke, Pommerantz, Kukurutz, Mejer, Smitt, Baur und Muller, denn gute 80 % aller Namen in ganz Vrannestiehn sind auf deutsche, niederdeutsche und polnische Einflüsse (oder Vorfahren!) zurückzuführen.
Die meisten Vrannestiehner sind wahre Multilinguisten. T. J. E. Pfröpfchen z. B., er spricht Lettisch, Livisch und Litauisch, auch Ukrainisch, Russisch und daneben Englisch, der wenigen Touristen zuliebe, die sich nach Vrannestiehn verirrten, zudem einen seltenen niederdeutschen Dialekt. Nach einer statistischen Erhebung im Jahre 2012 sprachen 84 % aller Vrannestiehner mehr als 3 Sprachen und gute 81,6 % verstanden mehr als 4 Sprachen, nimmt man den niederdeutschen Dialekt noch hinzu.
Und noch heute sind diese aus dem Niederdeutschen übernommenen Begriffe fest in der alten Sprache verankert: Feudeln (nass wischen), Schlickern (Süßigkeiten naschen), mulschig (schlecht gelaunt), Bonschen (Bonbons), trutschig (bieder, konservativ), ´n büschen (= ein bisschen) und klönsnacken (plaudern). Wenn einem Vrannestiehner übel ist, dann sagt er, bis zum heutigen Tag: „Ik ben slekt“ („Ich bin schlecht“ – früher, einst in Norddeutschland durchaus eine recht übliche Redewendung dafür, dass hier eine Magenverstimmung vorliegt, „einem arg übel ist“).
Stolz ist man auf den berühmten Schriftsteller Viljams Šekspīrs, der im Jahr 1812 den in immerhin 28 Sprachen übersetzten Roman „Haoss“ (Chaos) schrieb, und der in Vrannestiehn geboren wurde (rund um 1757, hier gibt es Unstimmigkeiten) und der 1814 in Riga verstarb, völlig verarmt. Traugott Pfröpfchen sagte im Mai 2014, zum 200. Todestag Viljams Šekspīrs:
„Ja, warum ist denn der dumme Hund nach Riga gegangen? In Riga findet man nichts als den Tod. Den hatte er offensichtlich gesucht. Wäre er hier geblieben, in Gottes sicherem Schoße, hätte er 100 werden können. So aber… Tja, Pech gehabt, alter Freund. Friede deiner Asche! Let labi, Krusttēvs! (Das bedeutet, so in etwa: Gehab´ dich wohl, Gevatter!“) Man hat allgemein ein ambivalentes Verhältnis zum sicherlich berühmtesten Sohn der Stadt.
Noch heute wird Šekspīrs von fast allen Pfründensteinern für seine Abtrünnigkeit gehasst. Aber sicherlich auch für seinen genialen Roman "Haoss" geliebt. Lieben und Hassen, in einem Atemzug, das ist ein Phänomen in Vrannestiehn. Der wohl berühmteste Sohn der Stadt, Viljams Šekspīrs, steht als Denkmal auf dem Tirgur, das ist der große Marktplatz. Sein Erkennungszeichen, ein grauer Filzhut, der skandinavische Heckerhut, ist dabei in seiner Hand, Öffnung nach oben. Großer Fehler! Wie oft musste bereits die Reinigungs-Brigade anrücken, um den Šekspīrs-Hut zu säubern. Ach herrjeh, beinahe monatlich. Die Kosten sind immanent.
Einige können ihm wohl den Verrat niemals verzeihen. Aber in der Bibliothek zu Vrannestiehn finden sich alle 28 in internationalen Sprachen übersetzte Ausgaben des Meisterwerkes. Es gibt sogar eine Ausgabe in Jiddisch! Die Gesamtzahl aller Bücher in der Vrannestiehner Bücherei: 612. Da kann man den Stellenwert eines Viljams Šekspīrs sehr wohl ermessen!
„Mein lettischer Freund“ („Mans Latviešu Draugs“) war ebenfalls ein recht viel beachteter Roman Šekspīrs´, heute nicht mehr aufzufinden. Ein Exemplar soll, dem Vernehmen nach, bis zu 100.000 Lats einbringen, so es denn gefunden würde (1 Lats = 100 Santims, 100.000 Lats entsprechen ca. 136.500 €). Schauen Sie doch mal auf Ihrem Speicher nach, sollte da nicht noch eine uralte Bücherkiste stehen, nein?
Falls Sie einen wirklich exotischen Ort für Ihren nächsten Urlaub 2022 suchen, wenn wir denn alle wieder verreisen und ungestresst unterwegs sein dürfen, dann können Sie, wohl behütet, in Vrannestiehn einchecken. Das einzige Hotel am Ort, „vecais vidēja pelēks gulbis“ (>Der alte, mittelgraue Schwan<), hat IMMER freie Zimmer, sicherlich selbst in der Hochsaison. Gehen Sie zum Rathaus, dort erhalten Sie Ihren Gäste-Hut. Und übrigens: Wenn Sie zur Begrüßung von Traugott Emil Pfröpfchen, der Bürgermeister begrüßt die Touristen gerne noch selbst, eine sachte Ohrfeige erhalten, wundern Sie sich nicht. Das ist die dort stets übliche Begrüßung. Der Bürgermeister erwartet eine sanfte Ohrfeige zurück. Aus Respekt vor diesem hohen Herrn sollten Sie um Himmels Willen nicht heftig zurück schlagen. Dann könnte es sein, dass Ihr neuer Hut befüllt würde, vom Bürgermeister persönlich!
Ausdrücklich wird gewarnt: Für die an Kopfbedeckungs-Phobie oder "Hut-Wut" leidenden Menschen eignet sich so ein Urlaub in Vrannestiehn nicht. Und übrigens auch nicht für Türsteher, Mafiosi, Hell´s Angels und Choleriker. Und den Papst. Um Himmels Willen, ich habe doch tatsächlich den Papst vergessen. Mit seiner riesigen Tiara… Undenkbar. Da passen durchaus mehr als 12 Pfund Kot rein. Papst Franziskus (Jorge Mario Bergoglio SJ) sollte diese Stadt also besser nicht besuchen. Auf gar keinen Fall! Stellen Sie sich doch nur einmal vor, der Papst zupft energisch an seinem rechten Ohr. Nur mal so. Das mag man sich doch gar nicht ausmalen... Entsetzlich. Eine schreckliche Vorstellung, das.
Recht gute Erholung in der Stadt der Hüte! Diezgan laba atpūta cepuru pilsētā! Vrannestiehn!
PS: Sofern Sie an Kapélophobie leiden (Angst vor Hüten), meiden Sie diese Stadt unbedingt! Ansonsten aber rate ich dringend zu einem Besuch. Sehr schmuck ist es dort. Und die Bewohner sind (fast immer) sehr freundlich. Sehr nette Leute.
Ende (Beigas)