In einem kleinen Dorf, irgendwo in Deutschland, lebte ein alter, einsamer Mann. Seine Frau starb vor einigen Jahren bei einem Verkehrsunfall. Er hatte eine Tochter, die aber zu seinem Bedauern vor ein paar Monaten in die USA gezogen war, weil ihr Ehemann dort eine gute Arbeitsstelle bekommen hatte, die um einiges besser Bezahlt wurde als die hier in Deutschland. Der alte Mann selbst arbeitete früher einmal als Lehrer. Zu seiner Zeit wurde er noch mit dem Stock getadelt, wenn er seine Hausaufgaben nicht erledigt hatte, oder unartig gewesen war. Er lehnte als Lehrer solche Erziehungsmethoden jedoch ab. Er sah darin wenig Sinn und hielt es für unmoralisch Kinder so zu züchtigen. Er liebte es hingegen zu sehen wie sich junge Geister, unter den richtigen Umständen, entwickelten. Jetzt aber war er alt und ohne junge Geister um sich. Die Geister die er jetzt um sich hatte, waren die Geister der Zeit. Sie plagten ihn. Er hatte zwei Bandscheibenvorfälle, Arthrose in den Füßen und Diabetes. Außerdem war er einsam, sehr einsam. Er hatte keinen mit dem er reden konnte. Die Nachbarn waren stets bei der Arbeit und die Kinder waren ihm zu laut. Sie waren nicht so wissbegierig wie die Kinder die er einst Unterrichtete. Einmal fragte er eines der Kinder, ob es denn wisse, warum die Sonne Morgens aufgehe und Abends untergehe. Die Antwort „ist mir doch egal“ gab ihm klar zu verstehen, dass diese Kinder kein Interesse an Wissen hatten, keine Begeisterung für die Geschehnisse die er als alter Lehrer und weiser Mann zu erklären vermochte. Er verlor sein Lachen an die Zeit und die Einsamkeit. Er konnte nichts weiter als zu bilden und zu lehren. Nach einiger Zeit in der der alte Mann immer trauriger wurde, zog eine junge Familie in das Haus neben ihm. Der Vater arbeitete als Vertreter bei einer Firma die Rasenmäher herstellte und die Mutter war Verkäuferin bei einem Laden der Sportartikel vertrieb. Die Tochter war die meiste Zeit allein und ging in die erste Klasse der Dorfschule. Der alte Mann sah, wie das kleine Mädchen über die Felder lief und mit einem strahlenden Lachen den Schmetterlingen hinter herjagte. Einmal schaffte sie es einen zu fangen, mit einem Glas und einem Bierfilzer, sie freute sich sehr, lies den Schmetterling aber wieder frei. Jeden Tag war das Mädchen draußen, sie war nicht laut wie die anderen und erfreute sich an der Natur während die anderen Kinder Krieg spielten. Die anderen Kinder nannten das Mädchen unnormal und sonderbar. Auch als die Blätter an den Bäumen die Farben wechselten, von grün zu rot, zu gelb und schließlich ihren Lebensbaum verließen, war das kleine Mädchen begeistert. Sie sammelte die Blätter vom Boden auf und legte sie in ihr Schulheft. Als es Winter wurde, tollte das Mädchen durch den Schnee, machte Schneeengel und versuchte einen Schneemann zu bauen. Eines Tages jedoch war das Mädchen nicht mehr fröhlich. Der alte Mann sah durch das Fenster, wie sie in der Hofeinfahrt saß, schluchzend den Kopf in die Hände gestützt. Der alte Mann wagte es nach draußen zu gehen und zu fragen was los sei. Sie hatte in der Schule zu schlechte Noten und könne nur in die nächste Klasse kommen, wenn sie am nächsten Tag eine Frage richtig beantworten konnte. Warum geht die Sonne am Morgen auf und am Abend unter? Der alte Mann erklärte ihr tröstend, dass die Erde sich um sich selbst und um die Sonne dreht und wenn der Fleck Erde auf dem wir sind sich von der Sonne weg dreht, wird es dunkel, dafür wird es aber an dem gegenüberliegenden Ort wieder Hell. Das Mädchen bedankte sich bei dem alten Mann. Am nächsten Tag tollte das Mädchen wieder durch die Felder. Der alte Mann saß einsam mit einer Tasse Tee am Küchentisch als es an der Tür klopfte. Es war das kleine Mädchen mit der Frage warum alle Blätter und Wiesen grün wären. An diesem Tag hatte der alte Mann zum ersten Mal seit langem wieder ein Lachen auf den Lippen. Das kleine Mädchen war seit her fast jeden Tag bei ihm und er erklärte ihr alles was sie wissen wollte und sogar noch mehr. Später als aus dem kleinen sonderbaren Mädchen, das einst schlechte Noten schrieb, eine Frau wurde, schrieb sie ein Buch über Biologie, das weltweite Bekanntheit erlangte. Auf der ersten Seite stand „Danke für all die Lehrreichen Stunden“ mit dem Namen des alten Mannes darunter.
Das sonderbare Mädchen
von Magnus Deweil
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Interne Verweise
- Autorin/Autor: Magnus Deweil
- Prosa von Magnus Deweil
- Prosakategorie und Thema: Kinder- und Jugendliteratur, Gesellschafts- & Entwicklungsinhalte
Kommentare
Toller Text !
Olaf
Danke Olaf! Ich als, Käseliebhaber, habe mich sehr an deinen Gedichten erfreut!
L.G
Magnus