Die Welt besteht aus Traumgestalten, welche uns meistens verborgen sind.
Jeder Mensch hat seinen eigenen Symbolismus, den nur er versteht.
Wir können einander nur sehen, wenn wir uns ineinander einfühlen.
Jedoch müssten wir uns dazu zuerst einmal erlauben, überhaupt etwas zu fühlen.
Würdest du es versuchen?
Es ist okay, sich zu fürchten.
Fühl
mich.
Eine kleine Gestalt steht vor einem Käfig und blickt mit großen Augen hinter die Gitterstäbe. Die Iriden, wie aus Bernstein sehen zurück in seine Richtung.
Diese Augen spiegeln sich nicht, sondern werfen einen Schatten auf das Gegenüber.
Der kleine Mensch kann nicht verstehen, was hinter diesen Blicken steckt.
Was sich auch hinter dieser Dunkelheit verbirgt, ist Angst vor dem Stillstand.
Es ist eine Furcht, welche am liebsten laut schreien würde.
Daher ist das Tier unruhig, hetzt von der einen Seite des Käfigs zur anderen, während die Schnauze immer wieder gegen die Stäbe des engen Gefängnisses stößt.
Vielleicht kennst du, werter Leser, die Geschichte von Sisyphus? Es ist jene Gestalt aus der griechischen Mythologie, die in die Unterwelt verbannt wurde, um dort für ewig einen Stein auf einen Berg rollen muss.
Immer wenn er oben angelangt ist, erscheint der Stein wieder am Fuße des Berges.
Es ist eine fruchtlose, endlose und peinigende Aufgabe.
Ich denke, dass seine Bestrafung mehr eine innere, als eine äußere ist.
Man könnte ihn seiner Arme, seiner Beine berauben, aber er würde immer noch den Stein schieben müssen.
Gibt es Wächter, dort in der Unterwelt?
Sind es seine eigenen Dämonen, die ihn antreiben niemals damit aufzuhören?
Was bedeutet Schuld und wie macht sie sich in unserem Sein bemerkbar?
Ich bemerke, dass sich das Tier im Käfig zwar nicht in dem kleinen Jungen spiegelt, aber es besteht eine Verbindung zu Sisyphus.
Ein Herz ist im Takt mit dem anderen verbunden, wenn es den Rhythmus des anderen adaptieren kann.
Es empfängt die Wellenlänge des Anderen und anstatt davor zu erstarren, schwingt es mit.
Wenn das passiert, beginnen wir Emotionen zu fühlen.
Aus dem Grund weinen wir Glückstränen, wenn wir uns mit anderen freuen,
oder uns schießt das Wasser ins Gesicht, wenn wir ein Baby lachen hören.
Aus ein und demselben Grund kommt es uns vor, als ob unser Herz brechen würde, wenn wir Schmerz und Leid bei anderen Menschen sehen.
Aber nicht jedes Herz hat denselben Takt.
Genauso reagieren Menschen individuell auf unterschiedliche Situationen.
Zu fühlen ist ein universelles Recht, aber es hat keine universellen Normen.
Manche Herzen scheinen sogar ohne Taktgefühl geboren zu sein.
Aber gebt nicht auf, denn auch für euch gibt es Hoffnung.
Takt kann man erlernen.
Der Junge spürt das Wesen des Tieres nicht, weil er versucht, es aus einem rein intellektuellen Standpunkt aus betrachtet.
Er weiß von seinen Eltern, dass Tiere in die Freiheit gehören, aber er weiß auch, dass dieses Tier krank ist und daher noch eine Weile eingesperrt bleiben muss.
Es versteht, dass es heilen muss und das nicht geht, wenn es im Wald herumläuft und die Wunden aufreißen.
Er fragt sich, warum sich das Tier so wehrt.
Immerhin wollen alle nur das Beste für es.
„Verstehen Sie?”, fragt der Doktor die zusammengesunkene junge Frau vor ihm.
„Ich soll die Hand also schonen, sagen sie. Aber kann ich wirklich gar nichts machen?”, fragt sie angespannt und blickt ihn mit Augen an, die für ihn aus Schatten bestehen.
Er kann sich selbst nicht daran spiegeln.
“Sie können schon, aber ich kann Ihnen nicht garantieren, dass es das nicht schlimmer macht. Ich verstehe ja, dass ihnen der Sport wichtig ist, aber Gesundheit ist wichtiger. Meinen Sie nicht?”, antwortete er sachlich und betrachtete die junge Frau skeptisch.
Beide schlagen in einem unterschiedlichen Takt.
Er sieht den Menschen, aber er sieht nicht die Geschichte hinter den Worten.
Er ist nie ein Sisyphus gewesen und wird daher nie verstehen, wie es sich anfühlt, wenn man einen Stein hinaufrollen muss, obwohl man keine Arme hat.
Nein, das ist falsch.
Er könnte es verstehen, aber dazu müsste er den Takt der jungen Frau zulassen.
Alles ist ein Geben und Nehmen.