Mein persönlicher Weltuntergang

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von Alf Glocker

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Heute ist der Elfte Elfte, elf Uhr elf eines beliebigen Jahres auf einem Planeten mit dem Namen „Erde“: Karnevalsbeginn! Die Sonne lacht manchmal zwischen den Wolken hervor bzw. sich ins Fäustchen, denn sie verbrennt nur, sie muss nichts verstehen.

Ich verbrenne ebenfalls! Mein Flämmchen flackert mehr oder weniger lustig vor sich hin und ich frage mich, wofür ich hier verbrenne. Trotzdem versuche ich meiner Arbeit gerecht zu werden, denn darauf habe ich meinen Eid geschworen. Ich bin ein akribischer Beobachter, behaupte jedoch, ein Hauptdarsteller zu sein. Niemand ahnt, daß ich in Wirklichkeit ein Bulle bin! (Und wenn, dann würde sich das keiner eingestehen wollen ...) Ein verdeckter Ermittler – der verdeckteste Ermittler, den man sich überhaupt vorstellen kann, bin ich. Sogar ich selbst habe immer wieder daran gezweifelt, ein Ermittler zu sein.

Was mein WirkEN betrifft, ist das zwar ein Vorteil, was meine WirkUNG angeht, ist es selbstverständlich ein eklatanter Nachteil, denn ich möchte etwas bewirken. Dafür glaube ich einen Auftrag zu haben, aber ich habe leider keine offizielle Befugnis. Andersherum wäre es sicherlich vorteilhafter. Denn niemand wird sich für die Erfindung der Vernunft opfern wollen, schon eher für deren Vernichtung, vor allem, wenn er durch gut bezahlte „Märtyrer“ dazu veranlasst wird, möchte ich meinen.

Schließlich sind weithin leuchtende Vorbilder die Grundlage jedes Gemeinwesens. Vorbilder, die vor allem den Instinkt ansprechen, müssen es natürlich sein. Nicht umsonst gibt es solche Bauernregeln wie: Ein Spatz in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach. Oder anders formuliert: Ein Milliönchen auf meinem eigenen Konto ist mir wichtiger als die Bekämpfung der Armut auf der Welt.

Vielleicht habe ich deshalb, von Anfang an, an mir gezweifelt, weil meine Vorgesetzten meinen Job als „Ehrenamt“ verstanden haben und mich aus diesem Grund so gut wie unbezahlt ließen?
Meine Frau hatte jedenfalls auch die größten Schwierigkeiten damit. Das allein wäre schon ein Grund gewesen, mich der Karawane des kollektiven Wahnsinns anzuschließen … Ich jedoch beschloss, mich meinem eigenen Wahnsinn hinzugeben, meinem „eigenen“, oder wer ihn sich auch immer ausgedacht haben mochte.

Natürlich strebte ich, wie alle anderen, bis vor kurzem nach irdischer Pracht, auch wenn sich, aus meiner Sicht, nie etwas geändert hat, seit ich lebe.

Heute regnet es, am 11. 11. Die ganzen Narrenmützen auf der Straße werden nass und der Karnevalsumzug sieht für mich aus, als bestritten ihn eine Unzahl lackierter Affen. „Der Ball ist rund, der Rasen ist grün und ein Jahr dauert 365 Tage“, höre ich sie rufen. Dazwischen „Hellau, Alaaf, Lachlach“ usw. Der Vorsitzende des Elferrates und seine Elfen, pardon, Funkenmariechen, werfen, von einem Wagen aus, der gerade vorüberfährt, knallrote Bonbons in die Menge, auf deren Einwickelpapier „Wir sind nützlich!“ geschrieben steht.

Ich kann es bis hierher lesen, obwohl ich mich nicht einmal zum Fenster begebe – und mein Dasein kommt mir wie eine sich selbst potenzierende Nutzlosigkeit vor. Ob es das ist? Das ist eigentlich die Kernfrage meines Lebens!

Es knallt! Ein terroristischer Anschlag? Notgedrungen sehe ich nach. Nein, es war eine Konfetti-Kanone. Ein Teil der Straße sieht grade aus wie der Times-Square in New York bei einem Heldenbesuch: Ich kann vor lauter Konfetti nichts mehr erkennen.

Die „Wahrnehmung des Ganzen“, wie Laotse schreibt, ist momentan getrübt. Aber nicht nur bei mir hier oben, hinter meinem Fenster zur Welt. Nein, auch auf der Straße werden Stimmen laut, wie ich höre, daß angeblich alle keinen Schimmer hätten, weshalb geraten werde, erst einmal den Ehrlichen und den Kreativen zu misstrauen, da sie sich am allermeisten von der überwiegenden Mehrheit unterschieden und deshalb schon unberechenbarer seien als der Durchschnitt. Für den Instinkt der Massen sei das gleichbedeutend mit suspekt!

Schließlich habe ein Erwachsener genug Lebenserfahrung, um niemandem wirklich vertrauen zu müssen. Ich frage mich, ob er sich damit nur schützen will, oder vielleicht gleichzeitig einen Freibrief erworben zu haben glaubt, andere ganz zwanglos übervorteilen zu dürfen. Oder sind solche Überlegungen schon der 1. Anwartschein auf eine kostenlose Hinrichtung?

Drunten fährt gerade der Politikerwagen vorbei. Er ist riesengroß! Mindestens 1000 gestylte Kartoffelköpfe jubeln gekonnt in die Menge. Während sie anscheinend unausgesetzt, fleißig über sogenannte „Grundsatzfragen“ diskutieren, verteilen sie bunte Deckmäntelchen unter der Bevölkerung. Die Deckmäntelchen haben kleine Täschchen, aus denen weiße Zettelchen ragen. Ich kann mir lebhaft vorstellen, was draufsteht: Bleibt wie ihr seid und haltet still, denn wir alle haben ganz viel Verantwortung!

Ich muss lachen! Gut, daß mich jetzt niemand sehen kann. Zwar habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich durch meine Arbeit quasi schamlos rebelliere, aber andererseits weiß ich, daß dieses Verantwortungsgelaber die reine Ausrede ist. Ungeachtet der eigenen Unfähigkeit, pflege ich meinen schlechten Charakter und bin nicht zu bremsen – ich lache mich fast kaputt.

Leider konnte ich selbst eventuelle Verantwortungen nie ausfüllen. Ich erkannte nur ihre Gesetzmäßigkeit. Das war schlichtweg verkehrt! „Der Erwachsene ist ein in seiner Augenblickssituation lebendes Tier“, hat einmal ein sehr dummer Mensch gesagt, der wie ich nicht wahrhaben wollte, daß die Realität (= die Geschichte) ihre eigenen Gesetze hat, denen die Mehrheit einfach zu folgen hat – wenn nötig hirnlos.

Wahrscheinlich würde sich sonst nichts abspielen, oder die echte Verantwortung für alles würde tatsächlich auf die Menschen übertragen, die bislang, Gott sei’s gedankt, dem Schicksal obliegt. Stellen wir uns doch einmal vor, wir wären wirklich unseres „Glückes Schmied“ und all unsere Träume würden wahr werden … Um Himmels Willen! Sind wir, im Vertrauen gesagt, nicht etwas zu plump dafür?

Ich glaube, da unten ist grade wirklich etwas passiert. Der Politikerwagen ist mit dem Wagen des Bischöflichen Ordinariats kollidiert und hat dazwischen einen Pulk Narren eingezwängt. Einige scheinen zerquetscht worden zu sein! Es fließt Blut! Angehörige anderer Welt- und sonstiger Religionen strömen herbei, um die Reste aufzusammeln. Dafür gibt es schließlich Gastarbeiter, damit wir einheimischen Damen- und Herrenmenschen keine schlecht bezahlte Drecksarbeit machen müssen. Die Manager, auf dem Großunternehmerkarren, der dem Wagen des Bischöflichen Ordinariats folgt, klatschen und grölen lautstark Beifall.

Als sich die Vertreter der anderen Weltanschauungen nicht einigen können, in wessen Verantwortungsbereich die verunfallten Reste noch nicht konvertierter Narren fallen, kommt es zum Streit. Ich habe es geahnt, möchte ich sagen, doch dann besinne ich mich zur Bescheidenheit und

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