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bekomme lieber Angst. Keine Minute zu früh, wie sich nun zeigt: Unten ist eine lebhafte Schießerei im Gange, in deren Verlauf kurioserweise sogar die Besatzung des Großunternehmerkarrens zu Schaden kommt.
Vergeblich versuchen die Höhergestellten ihr Fahrzeug noch aus dem Dreck zu ziehen. Aber zu spät! Plötzlich eilt ihnen niemand mehr zu Hilfe. Die meisten Einheimischen gehören ja mittlerweile, genau wie die Immigranten, zu den Schlechterverdienenden und haben demnach keine Zeit, da sie ihrer höheren Ansprüche wegen, mehrere Jobs gleichzeitig ausfüllen müssen.
Und die Arbeitslosen lachen sich, zusammen mit den Alkoholikern, einen „Ast“. So ist natürlich auf keinen grünen Zweig zu kommen! Gegen Mittag eilt schließlich die Ordnungsmacht herbe,i um den Knäuel aus randalierenden anders Herumdenkenden und fehlorientierten Terroropfern zu trennen.
Ich glaube in so manchen, leger gekleideten Kämpfern Geheimpolizisten zu erkennen, frage mich aber, ob ich mich einmischen soll. Dann fällt mir plötzlich ein, daß ich wahrscheinlich gar nichts ausrichten könnte, da ich ja sogar der Geheimpolizei unbekannt bin. Ich bin überhaupt unbekannt – und was kann ein Unbekannter schon ausrichten?! … es sei denn, der Sinn stünde ihm nach einer medienintensiven Selbstaufopferung ohne erkennbare Langzeitwirkung.
Einige Augenblicke später wird mir klar, wie recht ich hatte: Panzer fahren auf! Schwerbewaffnete „Zivilisten“ eröffnen zusammen mit ihnen das Feuer. Leider geht der erste Schuss daneben. Es wird versehentlich der Klerus getroffen, gerade, als er das ganze Schlamassel segnen will. Ein paar Narren am Straßenrand rufen „Helau, alaaf“ (oder „Allah“?). Auch sie werden im Folgenden gleich mit liquidiert.
Ein heilloses Durcheinander ist entstanden. Durch die Vermengung der Terrordarsteller untereinander ist es schwer geworden „Freund“ und „Feind“ voneinander zu unterscheiden. Jeder schießt und schlägt was das Zeug hält, quasi wahllos auf einen ihm suspekt erscheinenden Umstehenden ein. Da nützt es auch nichts mehr, wenn einer versucht seinen Ausweis zu zücken, der ihn als Mitglied irgendeiner Vereinigung, Institution oder dergleichen legitimiert. „Aber das Leben muss weitergehen“, sagt ein Sprichwort.
Die nächsten Wagen drücken nach. Die dreidimensionalen Karikaturen darauf – gewaltige Pappmachéköpfe – haben ein ungeheures moralisches Gewicht. Sie schieben den Tumult vor sich her, in Richtung Vergangenheit, und machen Platz für neue Verwicklungen … Die Straße liegt inzwischen voller Geschichtsdokumente, die darauf warten, passend interpretiert zu werden.
Eigentlich möchte ich hinauslaufen, mir das Zeug näher ansehen und es in eine sinnvolle Reihenfolge bringen, um den Geschichtswissenschaftlern späterer Jahre umständliche Interpretationsakrobatik zu ersparen. Bevor ich gehe wird mir jedoch klar, daß dies eine arbeitsplatzvernichtende Maßnahme ist. Wie sollen schließlich Generationen von verantwortungsvollen Professoren ihre Familien ernähren?!
Dabei fällt mir mein Verhältnis zum Thema „Verantwortung“ wieder ein. Wie oft habe ich schon eine übernommen, die mir gar nicht gehört?! (= die man mir nicht zugewiesen hat). Ist es nicht besser, eine Aufgabe zu erfüllen, für die man nicht geschaffen ist (= aufgezwungen), als sich Gewissenskonflikten zu stellen, durch die man immer wieder wie fehl am Platz erscheint? (= Selbstfindung). Wie anstrengend ist es eigentlich, nur an „Das Gute“ zu glauben? Was ist demgegenüber „anständig“? Und wie groß ist die Rolle, die die Anbringung des eigenen Stempels dabei spielt?
Eigentlich müsste jeder Mensch einen Doppelgänger, einen Reservemenschen haben, der unliebsame Fremdaufgaben erfüllt. Wir könnten uns dann in uns selbst aufteilen und allen Anforderungen, den scheinbar gerechtfertigten, sowie den scheinbar ungerechtfertigten, gerecht werden. Wir müssten dann nur noch bei Gelegenheit in Erfahrung bringen können, wer am richtigsten liegt (lügt), wir oder wir. Seltsamerweise deuten einige psychische Erkrankungen (wie beispielsweise die Schizophrenie) auf etwa dieselben Symptome hin, während natürlich zugegeben werden muss, daß blindes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sehr stark an Debilität erinnert. Wo also sind die Grenzen? Ist hier bereits der Persönliche Weltuntergang vorprogrammiert?
Vielleicht sollte ich mal zum Arzt gehen? Ich sollte mich auf meinen Geisteszustand hin untersuchen lassen, oder auf Midlifecrisis, auf Gedächtnisüberschuss (falls es so etwas überhaupt offiziell gibt), auf Liebesentzug (entziehe ich sie mir selbst?), auf aufgestaute Aggressionen (habe ich die?), oder einfach auf fälschliches Vorhandensein meiner selbst. Da fällt mir ein: Ich habe etwas vergessen. Ich sollte mich am ehesten noch auf übersteigerte Neugierde hin untersuchen lassen. Das ist vermutlich mein Hauptproblem.
Warum kann ich mich nicht einfach mit einer propagierten Wahrheit abfinden? Muss ich solange darin herumstochern, bis ich alle Krücken, die sie stützen, herausgefischt habe und nichts weiter als der bloße Wunsch des Karrierepöbels zum Geldverdienen übrig geblieben ist? Mich macht das entsetzlich müde. Ich glaube, ich muss mich hinlegen. Danach sieht die Welt sicher wieder viel besser aus. Im Traum schwöre ich erneut auf mein Leben, während ich durch einen Irrgarten fliege, dessen frisch zugeschnittene Heckenwände immer ein Stückchen zu hoch sind. So hoch traue ich mich nicht hinauf in die Luft, weg von der Erde. Als ich es einmal dennoch versuche, bekomme ich, nicht nur der Flughöhe wegen, einen Schrecken, sondern auch deshalb, weil hinter jeder sorgsam gepflegten grünen Mauer ein Friedhof zu liegen scheint.
Schweißgebadet erwache ich. Zufällig geht in diesem Augenblick auch der Radiowecker an, den ich überhaupt nicht gestellt habe. Jemand singt ein Lied. In meinem Delirium verstehe ich jedoch den Text total falsch. Richtigerweise würde er folgendermaßen lauten: „Ich hol DIR keine Sterne mehr vom Himmel, die liegen nachher doch nur bei uns rum“, wie ich mir ca. eine Stunde später eingestehe, nachdem ich mir wieder einmal unnötigerweise einen Haufen Gedanken gemacht habe. Verstanden habe ich kurioserweise „Ich hol MIR keine Sterne mehr…“. Ist diese akustische Fehlleistung schon das erste Eingeständnis eines sich bereits an mir vollziehenden Weltuntergangs oder leide ich neuerdings an akutem Gedächtnisverlust?
Weiß ich nicht mehr wer/was ich bin – ein Bulle nämlich –, oder missachte ich alle meine wirklich selbst gemachten „wertvollen“ Lebenserfahrungen? Ich wäre kein verdeckter Ermittler, würde ich mir nicht auch noch Gedanken darüber machen, wie wichtig welche Lebenserfahrungen sind. Bestehen die wirklichen Lebenserfahrungen nun in der Hauptsache darin, wie man seine Buchführung erledigt, wie Messer und Gabel beim Essen gehalten werden sollten, oder sollten sie sich womöglich darauf erstrecken, wozu das Individuum Mensch an sich brauchbar ist?
Schließlich haben wir gelernt, es sei ein mit Vernunft begabtes Wesen, das nicht nur aufrecht gehen, sondern theoretisch auch aufrecht leben kann. Wieviel allerdings soll uns das
Kommentare
Ein bisschen Weltuntergang schadet doch kaum!
(So was schafft neuen Lebensraum …)
LG Axel
jaha, so könnte man durchaus sagen...
LG Alf
stimmt!
LG Alf
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