Der Nebel (1)

Bild zeigt Michael Dahm
von Michael Dahm

Ich bin Herr meiner Sinne, auch wenn derjenige, der dieses liest, daran zweifeln möchte. Vielleicht aber wird es niemanden geben, der noch imstande ist zu lesen.

Vorgestern war Sonntag. Es war ein schöner Augustmorgen, der Hoffnung auf einen heißen Tag versprach. Die Sonne stand glühend rot über den Wipfeln des Waldes und lud mich förmlich ein, aus dem Haus zu gehen.
Mein Freund Porky, ein hübscher Dobermannrüde, stand bereits am Hoftor und wartete. Er hatte wohl Gleiches im Sinn.
Nichts ist sonntags entspannender, als mit seinem Hund eine große Runde zu spazieren. Und dazu noch dieses Wetter …
Es war herrlich, die Vögel sangen die Melodien ihrer Ahnen, über dem noch stehenden Getreide gaukelten schwarze Falter, und eine schwere Schwüle stieg vom Boden empor.
Frisches Heu lag am Wegesrand, duftete betörend und ich wusste, dieser war einer jener Tage, der sich in meinem Gedächtnis einbrennen und von dem ich ewig zehren würde.
Die Menschen, denen ich begegnete, waren freundlich und winkten. Die ganze Welt schien mit sich im Reinen zu sein.
Als ich die letzten Vorgärten des Städtchens hinter mir gelassen hatte, wanderten Porky und ich noch eine Weile in die Feldmark hinein, um uns dann ins weiche Gras zu legen. Bienen, Hummeln und Schmetterlinge flogen emsig umher und tatenwas sie immer taten, die Evolution in den Genen.
Ich beobachtete die Schäfchenwolken und lobte den lieben Gott als einen guten Mann. Porky lief hin und her, schnüffelte und hob hier und da sein Bein. Er war eben ein ganzer Kerl – seiner Art.
Plötzlich hielt er inne, legte die Ohren an, sträubte das Fell und sah in eine Richtung. Er fing an zu bellen und zu knurren.
Von fern sah ich eine dichte Nebelwolke heranziehen, die sich schnell näherte.
Etwas konnte nicht stimmen, Porky bellte, die Vögel sangen nicht mehr, und was noch seltsamer war, der Nebel zog gegen den Wind. Die Nebelwand war riesig groß, schwarzgrau und hatte eine elliptische Form mit strengen Grenzen. So etwas hatte ich noch nie gesehen.
Der Hund war wie von Sinnen. Als der Nebel heran war, er zog etwa einen Meter an mir vorüber, geräuschlos und gespenstisch, steckte mein Porky den Kopf hinein, vermutlich, um ihn zu beißen – und fiel tot um. Ich saß wie gelähmt am Rande des Schauspiels und wusste nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen sollte.
Nach etwa dreißig Minuten war der Nebel vorbeigezogen und ich wollte mich um meinen Hund kümmern, doch sein Kopf war sauber am Hals abgetrennt. Das Gras schien wie durchgekämmt.
Es existierten keine lebenden Organismen mehr darin.
Falter, Bienen, Hummeln oder Sonstiges gab es nicht mehr.
Es fehlten die Vögel in der Luft und auf den Bäumen.
Alles schien der Nebel mit sich genommen zu haben.
Aber etwas anderes machte mir jetzt Angst.

Prosa in Kategorie: 
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