Alles Diebe!

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von Monika Jarju

Ausgerechnet heute, wo Ida es eilig hat, ist der Taxisammelplatz am Bantaba-Markt gähnend leer. Fast zwanzig Minuten läuft sie bis zur befestigten Straße vor, winkt den Fahrern zu, überfüllt fahren die Buschtaxis an ihr vorüber. In ihren Schuhen sammeln sich Sand und Staub. Die Sonne steigt auf, langsam wird es heißer, die Sachen kleben auf ihrer Haut. Sie sieht sich staubig und verklebt zum Vorstellungsgespräch im Hotel eintreffen. Die Buschtaxis sind brechend voll mit Fahrgästen, die in die Hotelzone zur Arbeit fahren. Sie läuft weiter, hält sich am Straßenrand, schaut sich wieder und wieder suchend nach einem Taxi um. Heute scheint nicht ihr Glückstag zu sein. Die Zeit wird langsam knapp. Die Sonne brennt sengend herab, kein Wagen hält. Vor dem Baobab Hotel stehen grüne Taxis mit unverschämt hohen Preisen für Touristen. Sie hat keine Wahl. Da kommt schon einer der Fahrer strahlend auf sie zu.
„Brauchen Sie ein Taxi, Lady?“, ruft er ihr von weitem zu.
Ja, dringend, aber zu fairen Preisen, denkt Ida. An seinen Gesichtszügen erkennt sie, dass er ein Wolof ist, und begrüßt ihn in seiner Sprache. Sie ist keine Touristin, er soll es gleich merken. Er macht es ihr nicht leicht, verlangt das Fünfundzwanzigfache einer Fahrt mit dem Buschtaxi. Die Zeit läuft gegen sie. Er lächelt erwartungsvoll. Nur Geduld hilft hier, sie tauschen die endlosen Grußformeln aus. Endlich ist es soweit, sie schlägt ein, er gibt ihr einen einfachen towntrip. Mit wenig Verspätung erreicht sie das Hotel.

Die Einladung zum Vorstellungsgespräch erscheint ihr unwirklich, auch deshalb weil es plötzlich so einfach sein soll. Als sie das Büro betritt, sieht sie sich dem Hotelmanager gegenüber. Ein stattlicher Mann Mitte Dreißig, er trägt einen modisch geschnittenen dunkelgrauen Anzug, und stellt sich als Touray vor, ein Name, typisch für einen Mandinka. Er bietet ihr einen Stuhl an mitten im Zimmer, schweigend geht er um sie herum, er umkreist sie, was ihr affektiert vorkommt. In seinem jungenhaften Gesicht sitzt der Schalk. Sie tauschen belanglose Floskeln aus. Er war mehrmals in Deutschland gewesen, auf der Tourismusmesse, und spricht ein wenig deutsch.
„Kommen Sie“, sagt er freundlich, „ich werde Sie dem Chef vorstellen.“

Auf dem Weg zum Büro erfährt sie, dass der Hotelmanager, ein Europäer, genug von diesem Land hat, seine Tage sind gezählt. Mr Touray verrät ihr, dass er sein Nachfolger werden wird.
Der Hotelmanager, der sie zum Hereinkommen auffordert, sitzt am Schreibtisch über seine Papiere gebeugt. Mit einer Kopfbewegung bittet er sie, Platz zu nehmen, während er ein Dokument unterschreibt.
„Zwanzig Mitarbeiter erwarten Sie, alles Diebe!“, stößt er unvermittelt hervor. Sein Ton klingt verächtlich. Auf einmal ist es still im Raum.
Sie hört auf die Tippgeräusche der Sekretärin im Vorzimmer, während sie die Ungeheuerlichkeit seiner Anschuldigung zu begreifen versucht. Er schlägt die Akte zu und mustert sie eindringlich. Sie hält seinem Blick stand. Er scheint die Wirkung seiner Worte abzuwarten, bevor er fortfährt. Er redet nicht lange drum herum.
„Wir brauchen jemand, der sich verantwortungsvoll um die Wäscherei und die chemische Reinigung kümmert.“
Sein Blick schweift gelangweilt zum Fenster. Er sieht hinaus. Eine Pause entsteht, als wäre er seiner selbst überdrüssig geworden oder hätte dieses Einstellungsgespräch schon zu oft geführt.
Sie bemerkt, wie Touray sie aus den Augenwinkeln mit einer gewissen Neugier ansieht. Hotelangestellte laufen laut lachend am Fenster vorbei, einer vollführt ein paar schwungvolle Tanzschritte zu einer unhörbaren Musik, ein anderer winkt ihr scherzhaft zu. Die Szene erheitert sie. Sie verkneift sich das Lachen.
Abrupt, mit angewiderter Miene, wendet der Chef sich wieder ihr zu.
„Sie stehlen Waschpulver. Sie stehlen alles, was nicht niet- und nagelfest ist.“
Er sieht ihr direkt in die Augen.
„Sie müssen hart durchgreifen, wie ein Polizist beobachten. Der Verbrauch von Waschpulver und Diesel ist enorm gestiegen in der letzten Zeit. Wir können uns das nicht erklären“, sagt er und tauschte einen schnellen Blick mit Touray.
„Aber wir kennen unsere Leute. Sie stehlen alles.“ Resigniert winkt er ab und beugt sich zu ihr vor.
„Sie werden zuständig sein für die Qualität der Reinigung der Hotelwäsche und hausfremder Wäsche, für die Maschinen, die Senkung der Reparaturkosten, die Verhinderung von Diebstählen, die Zuverlässigkeit des Personals“, er bricht ab, erneut schweift sein Blick zum Fenster. Händlerinnen vom nahen Kunsthandwerkermarkt nähern sich dem Eingang des Hotels und verwickeln die Sicherheitsbeamten in ein lautstarkes Palaver. Irritiert fährt er fort: „Und überhaupt für dieses Chaos. Trauen Sie sich das zu?“
Das Gehalt, das sie ihr anbieten, ist geringer als das ihres Vorgängers. Als sie mehr verlangt, scheint sich der Chef über ihre Forderung zu amüsieren, dann schüttelt er entschieden den Kopf. Und ohne ihre Entscheidung abzuwarten, erhebt er sich.
„Lassen Sie uns hinübergehen in die Wäscherei, dann können Sie sich selbst ein Bild machen.“

(Auszug aus einer längeren Erzählung)

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