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Am Tische sitzend las ich halblaut vor mich hin, irgendeinen Bericht aus irgendeinem Zeitungsartikel: „Die Bewohner des Hauses beklagten sich über die erneute Mieterhöhung.“ Ich saß alleine im Zimmer und mein leises Lesen wurde deshalb von niemandem wahrgenommen – dachte ich zumindest - da um mich herum ausnahmslos leblose Objekte anzutreffen waren, meinen Perserkater einmal ausgenommen, der wie üblich in seiner weit entfernten Katzentraumwelt zu verweilen pflegte.
Vielleicht war ich zu übermüdet gewesen, möglicherweise hätte ich auf den Genuss des zweiten Glases Rotwein besser verzichten sollen … jedenfalls war ich erschreckt und verwundert zugleich, als mir mein altvertrauter Tisch plötzlich nicht mehr so ganz leblos vorkam, denn ich hörte ihn fragen: „Nun, die Bewohner des Hauses beklagten sich, den Bewohnerinnen war die Mieterhöhung anscheinend egal?!“
Ich hatte mich bisher in meinem langen Leben geweigert, mit Gegenständen zu diskutieren, aber jetzt fühlte ich mich dazu herausgefordert: „Es handelt sich hier um das 'generische maskulinum', welches trotz häufiger Anfechtungen nicht abgeschafft ist. In diesem Falle ist zweifellos ganz klar, dass 'die Bewohner' auch 'die Bewohnerinnen' mit einschließt. Es liegt somit keine Vernachlässigung oder gar Diskriminierung des weiblichen Personenkreises vor.“
„Nein“, widersprach der Tisch, „ korrekter- und gerechterweise müsste es heißen: 'Die Bewohner/innen des Hauses beklagten sich u.s.w. … oder die BewohnerInnen oder die Bewohner_innen oder die Bewohner*innen, denn es könnten in dem Hause auch Personen wohnen, welche sich einem dritten Geschlechte zugehörig fühlten und sich natürlich gleichermaßen mit der Mieterhöhung unzufrieden zeigten!“
Ich wurde ungeduldig. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen? Ich versuchte ein Machtwort zu sprechen und zitierte POLENZ (Polenz, 1991, S.75): „Maskuline Personenbezeichnungen, die nicht durch den Kontext eindeutig als männlich ausgezeichnet sind, (sind) als 'generische' und somit geschlechtsneutrale 'Benennungen zu verstehen.' - Punktum!“
„Du bist gewalttätig, arrogant und ungerecht, typisch Menschen-Mann!“, fauchte mich der Tisch jetzt an, dem mein Zitat offensichtlich nicht imponiert hatte.
„Lass' dich doch von dem scheinheiligen Kameraden nicht ärgern“, mischte sich die Türe ein, „er, der 'Herr Ober-Frauenrechtler' pocht ja selbst auf seinen Artikel, denn 'er' ist ja 'der' starke Tisch, welcher auf 'seinen' vier Beinen fest im Leben auf 'seinem' Teppiche steht – glaubt 'er' zumindest in grenzenloser Er-Erhabenheit! Wie wäre es denn – nur der Gerechtigkeit halber – mit einer 'Tischin'? Hm!? Soll er doch einmal seine Abstammung in Betracht ziehen: Schließlich gab 'die' Eiche 'ihr' Holz für ihn her! Andererseits, warum nennt man mich nicht 'Tür_er' oder 'Tür_erich'? Bin ich nicht genauso wichtig? Müsste man ohne mich nicht mit dem Kopfe durch die Wand? Ohne meine Hilfe könnte man zum Tische ja gar nicht gelangen! Nur, was mich betrifft, ich sehe da kein Problem!“
„Mit einer 'Stuhl_in' oder 'Stühlin' könnte ich für meine Person leben“, warf ungefragt der Stuhl ein, „mein Holz stammt schließlich von einer Buche und nicht von einem 'Buche_r '– oder hieße es 'Buche_rich'?“
„Eure Sorgen möchte ich haben“, meldete sich die Kommode zu Wort, „wir sitzen doch alle im gleichen Boote, das heißt, wir stehen natürlich im gleichen Zimmer. In der Gesamtheit sind wir 'die Einrichtungsgegenstände'. Im Singular ist jeder von uns somit 'ein', also 'der' Einrichtungsgegenstand. Ich rege mich doch auch nicht auf, dass man mich nicht als 'Einrichtungsgegenständin' bezeichnet! Die deutsche Sprache hat sich über lange Zeiträume einfach so entwickelt. Sie ist gleichermaßen Kultur- und Zeitzeuge. Wenn man ein Haus aus den siebziger Jahren in aktuellen Trendfarben bepinselt, mit Kunststofffenstern und einer modernen Haustüre versieht, den hölzernen Balkon gegen eine Edelstahlkonstruktion tauscht u.s.w., dann bleibt es trotzdem ein Kind des letzten Jahrhunderts – möglicherweise jetzt sogar ein äußerst verunstaltetes. So ist es auch mit der gewachsenen deutschen Sprache, in welcher sich, entstehungsgemäß, logischerweise sprachliche Formulierungen befinden, welche ihre Ursprünge im patriarchalischen Denken einer jüdisch-christlichen-abendländischen Kultur haben. Aber sollte ich deshalb auf grammatikalische Gleichbehandlung klagen und aus gekränkten Selbstwertgefühlen heraus auf eine Verunstaltung der organisch gewachsenen Sprache drängen?“
„Dummes Gequatsche“, mischte sich das große Wandbild ein, „eure Diskussionen sind so unnütz wie ein Kropf. Ich verstehe eure hochgeschaukelten Scheinschwierigkeiten überhaupt nicht. Kein Wunder, denn
ich bin seit ewigen Zeiten 'das' Bild, ein Neutrum, nicht männlich, nicht weiblich, weder vom natürlichen Geschlechte noch von der Grammatik her betrachtet. Ändert euch einfach und eure Probleme sind Schnee von gestern, alter Hut sozusagen. Dann steht 'das Stuhl' auf 'das Boden', 'das Tisch' daneben ist hübsch geschmückt, denn 'das Tischdecke' und 'das Blumenvase' sind farblich fein aufeinander abgestimmt.“
„Dir gebe ich gleich 'das Blumenvase'!“, schrie die Vase dazwischen, „ich bin stolz auf mein 'die', denn dieser Artikel zeigt, dass ich zierlich, hübsch, elegant, eine Augenweide, eben eine Lady unter den Einrichtungsgegenständen bin! Deswegen muss aber 'der' Hausrat, unter den ich falle, meinetwegen nicht zu 'Hausrat_in' oder gar 'Hausrätin' werden. Soviel berechtigtes Selbstvertrauen besitze ich selbstredend schon!“
„In welchem Jahrhundert lebst du denn, meine liebe Vase?“, fragte die Türe, „ dein 'die' bedeutet doch nicht zwangsweise, dass du zart und zierlich bist. Du sollst einmal hören, wenn der Wind mich, 'die' Türe, zuschlägt. Da ist es aus mit 'zart und zierlich'! Als Sprachforscher vermuteten die Gebrüder Grimm zwar, dass der Artikel, also das grammatikalische Geschlecht fähig sei, Aussagen über das Wesen der Dinge zu verraten. Teilweise ist deren Auffassung durchaus nachvollziehbar: 'der Berg', 'der Donner', 'der Knall', 'der Baum' sind 'starke Erscheinungen', weshalb ihnen im Laufe der Entwicklung einer Sprache der männliche Artikel zuteil geworden sein mag … aber sind 'die Eiche', 'die Buche' nicht ebenbürtig?“
„Dann mache daraus halt 'eine_n Eiche_r' und 'eine_n Buche_r!", spottete das Wandbild, „mir jedenfalls gefiele – wenn man schon glaubt, eine gewachsene Sprache aus falsch verstandenem Gerechtigkeitsfimmel unbedingt so verunstalten zu müssen – 'das Berg', 'das Donner', 'das Knall', 'das Baum', 'das Eiche' und 'das Buche' am besten!“
„Herrschaft, wie dumm seid ihr eigentlich alle zusammen?“, rief das Fenster, „ich bin neutral, wie mein_e Kollege_in, das Bild. Deshalb hört euch meinen Vorschlag an: Man möge, sagen wir in 2-jährigem Rhythmus, die grammatikalischen Geschlechter einfach wechseln. In den ungeraden Jahren würde alles maskulin, also 'der Mensch' bliebe 'der Mensch', wobei 'die Vase' zu 'der Vaser' oder 'der Vaserich' würde, in den geraden würde
geschrieben vom 24. bis 26. November 2018