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Fernsehen am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts
I. Das Lager - II. Die Filmkuppel des Fernsehens - III. Das Talkshow-Flat
I. Das Lager
Der vom Lagerkommandanten als Arbeiter im Produktions-System eines erschlossenen Landes ausgewählte und damit für die Freiheit wert befundene Häftling verläßt des Morgens das Lager, geht auf dem Weg des willig freien Menschen zur Arbeit und kehrt des Abends auf dem Weg des freien Menschen in das Lager zurück. Der freie Mensch in seiner durchgestalteten Kleidung erkennt den Häftling auf dem Weg von und zur Arbeit an dessen Lagerkleidung und freut sich gutmeinend an der Erziehung des Häftlings vom Arbeitsbehinderten zum freien Menschen. Wieder im Lager, wird der Häftling vom freien Menschen draußen isoliert, als hätte er für diesen oder als hätte dieser für ihn eine ansteckende Krankheit. Das Lager behält den Arbeitslohn des Häftlings ein, um ihn damit zu versorgen und zur Arbeit zu erziehen. Aber schließlich muß oft eingesehen werden, daß die Arbeitsbehinderung des Häftlings eine Arbeitsunfähigkeit ist, sodaß nur noch dessen Verwaltung und Verwahrung bleibt. Wenn die Arbeitsbehinderung den Häftling so weit beherrscht, dass er nicht mehr im Produktions-System verwendbar ist, wird dieser zum puren Kostenfaktor. Der nicht im Produktions-System verwendbare Häftling erkennt sich schließlich selbst als außerhalb der freien Menschheit, er erkennt, dass er nur noch ein rein ökonomisches Problem darstellt.
Im unerschlossenen Land gibt es noch kein Produktions-System und also keine Möglichkeit für den Häftling, durch Arbeit in diesem zu überleben. Der Häftling im unerschlossenen Land muß dort ein Produktions-System erst selbst errichten. Ein Produktions-System braucht eine Infrastruktur, also Rohstoffe, Zulieferprodukte, Märkte. Diese Infrastruktur wird im erschlossenen Land vom Produktions-System implizit gestellt. Zur Realisierung einer tragfähigen Infrastruktur müssen sich im unerschlossenen Land die Produktions-Systeme der einzelnen Lager und damit die Lager selbst vernetzen, sie bilden einen Lager-Staat innerhalb des unerschlossenen Landes. Das unerschlossene Land wird dem Häftling des Lager-Staates zum Ausland, der Warenabsatz des Lager-Staates wird zum Export. Das erzeugt im Häftling einen Stolz auf den Lager-Staat und auf den Wert seiner Arbeit, wenn auch der Markterfolg aus der geringen Entlohnung des Häftlings kommt.
Eine Isolation des Häftlings vom freien Menschen ist im unerschlossenen Land nicht nötig, der Lager-Staat ist weit und breit des Häftlings einzige Lebensmöglichkeit. Der Häftling im unerschlossenen Land ist kein arbeitsbehinderter Kranker, sondern Einwohner des Lager-Staates zum Wohle desselben. Beziehungen zu anderen Staaten gibt es nur soweit, als sie zur Sicherung des Exports notwendig sind. Das unerschlossene Land lernt den Lager-Staat nur über seine Delegierten kennen.
Ein Häftling, der nicht im Produktions-System des Lager-Staates mitarbeitet, ist Feind des Lager-Staates. Staatsfeinde müssen gezwungen, umerzogen oder unschädlich gemacht werden. Der nicht im Produktions-System des Lager-Staates mitarbeitende Häftling bekennt sich schließlich willentlich zur Staatsfeindschaft, denn sein Arbeitswiderstand kommt daher, daß er sich als Mitinhaber des Produktions-Systems des Lager-Staates fühlt, das der Lagerkommandant für seinen persönlichen Vorteil mißbraucht. Staatsfeind sein ist ihm eine Möglichkeit, trotz seines Arbeitswiderstandes dadurch zu überleben, daß er den Lagerkommandanten dazu anstachelt, dem Häftling durch Umerziehung zu beweisen, dass dieser unrecht hat. Der Häftling des Lager-Staates lehnt es ab, Kranker zu sein, also als ein rein ökonomisches Problem behandelt zu werden.
Es geht letztlich immer darum, seine Arbeitskraft dem Produktions-System nach dessen Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Das funktioniert nur dadurch, dass niemand, der das verweigert, existieren kann.
Im erschlossenen Land sind die Lager von einander isolierte Inseln. Das Produktions-System des erschlossenen Landes ist der Vernetzer der Lager. Weigerung, im erschlossenen Land zu arbeiten, ist Krankheit, denn eine Staatsfeindschaft innerhalb des Lagers eines erschlossenen Landes kann nichts bewirken, da dort das Produktions-System nicht in der Hand des Häftlings ist. Wenn das ökonomische Problem der Krankheit zu groß ist, wird es als Kostenfaktor beseitigt. Die Lager im erschlossenen Land brechen aus ökonomischen Gründen zusammen und das Produktions-System bleibt als einzige Funktionseinheit und Lebensmöglichkeit des Häftlings zurück. Die Seele des Häftlings im erschlossenen Land lebt nur noch von einer idealisierten Erinnerung an die Versorgung im untergegangenen Lager.
Im unerschlossenen Land sind die Lager selbst zu einem Produktions-System vernetzt, das seine Produkte an den freien Menschen, der das unerschlossene Land besitzt, exportiert. Wer sich weigert, im Produktions-System des Lager-Staates zu arbeiten, ist Staatsfeind. Wenn zu viele Häftlinge zu Staatsfeinden werden, bricht das Produktions-System des Lager-Staates zusammen. Das geschieht regelmäßig dann, wenn das unerschlossene Land so weit erschlossen ist, dass es sein eigenes Produktions-System hat, das nach dem Zusammenbruch des Lager-Staates als einzige Funktionseinheit und Lebensmöglichkeit des Häftlings zurück bleibt. Der Häftling des unerschlossenen Landes verliert sein Selbstbewusstsein, da seine Produkte nicht mehr gebraucht werden. Nach Auflösung des Lager-Staates ist der ehemalige Häftling willig, ein freier Mensch zu sein. Er wird dabei mannigfachen Problemen begegnen, denn das siegreiche Produktions-System des erschlossenen Landes ist ihm von Grund auf fremd.
[Der Staatsfeind des zusammengebrochenen Lagerstaates ist dabei besonders gefährdet, denn er beansprucht vom siegreichen Produktions-System als Lohn für seine Staatsfeindschaft im zusammengebrochenen Lager-Staat die Erfüllung seiner Phantasien eines vom Produktions-System des einst bekämpften Lager-Staates ideal unterschiedlichen Produktions-Systems. Seine daraus folgende Kritik am nunmehr einzigen Produktions-System des erschlossenen Landes machen ihn schnell zum Arbeitsbehinderten und damit Kranken im erschlossenen Land. Der Häftling des einst unerschlossenen Landes wird zum Staatsfeindromantiker, seine Seele lebt nur noch von einer romantischen Erinnerung an die frühere Staatsfeindschaft gegen den untergegangenen Lager-Staat und vom Gefühl, vom siegreichen Produktions-System des erschlossenen Landes um die Lebenszeit seiner Staatsfeindschaft im Lager-Staat betrogen worden zu sein. Der Staatsfeindromantiker verherrlicht schließlich den untergegangenen Lager-Staat, damit ihm die in diesem verbrachte Lebenszeit nicht amputiert wird. Er wird zum Intellektuellen im erschlossenen Land.]
[Das unerschlossene Land muß schnell erschlossen werden, um von der erschlossenen Umgebung nicht usurpiert zu werden. Die dabei nicht mitmachen werden dadurch zur Mitarbeit gezwungen, indem sie den unerschlossenen Landesteil des Lagers erschließen, wenn sie nicht verhungern wollen.
Der Mensch, der sich nicht am Aufbau des Produktions-Systems beteiligt und im Lager sein eigenes Produktions-System errichtet, gewinnt damit nichts. Er wird nach Zusammenbruch des Lager-Staates in einem Produktions-System arbeiten müssen, dessen Aufbau ganz und gar ohne seinen Einfluß geschah.
Wenn umgekehrt das Produktions-System des Lager-Staates das unerschlossene Land erobert, wird das unerschlossene Land zum Lager-Staat innerhalb der Gemeinschaft der erschlossenen Länder, wenn es seine Häftlinge nicht frei gibt. Und so wird schließlich