Fernsehen am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts - Page 8

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Mensch in seinem Kampf gegen das Böse nachläßt. Die Plot-Kuppel lehrt den freien Menschen, daß er seine humane Zartheit verstecken muß vor dem Bösen, das ihn sonst an dieser Schwachstelle aufreißt. Der lebenslange Kampf gegen den Feind des Produktions-Systems zermürbt den freien Menschen. Er sehnt sich danach, nach dem Leben im Produktions-System außerhalb desselben der Humanität zu leben.

[Der freie Mensch erzieht seinen angehörigen Häftling zur Härte, weil er will, daß dieser für den Kampf gegen das Böse zum Erhalt des Produktions-System besser gerüstet ist, als er selbst. Er begründet das dem Angehörigen mit dem Ziel, die Humanität zu schützen. Die Plot-Kuppel des Film-Universums repräsentiert die Härte-Erziehung des freien Menschen. Es kann aber sein, daß der Angehörige die Humanität in den hinter der brutalen Plot-Kuppel verborgenen Filmen als eigenständige Information erkennt und daraus schließt, daß der freie Mensch das Produktions-System nicht zum Zwecke der Aufrechterhaltung der Humanität gegen die bösen Mächte verteidigt, sondern in Wahrheit den Kampf gegen die bösen Mächte nur vorschiebt zur Aufrechterhaltung des Produktions-Systems zwecks Sicherung seiner Versorgung. Der Angehörige erkennt nämlich den Zusammenhang von Humanität und gesicherter Versorgung nicht.

Solange der individualisierte Häftling die Notwendigkeit der Versorgung durch das Produktions-System nicht am eigenen Leib erleiden muß, glaubt er, es gehe in Wahrheit darum, die Humanität zur Macht zu bringen und daß der freie Mensch ihn nur deshalb zur Verteidigung des Produktions-System hart machen will, weil der freie Mensch den Angehörigen nicht wirklich liebt, sondern ihn nur als einen von ihm zu Versorgenden los haben und in das Produktions-System abschieben wollen wird. Andererseits kann der freie Mensch auch befürchten, durch den Verlust der Versorgungshoheit über den nicht im Produktions-System arbeitenden Häftling seine eigene, an den Häftling delegierte, humane Zartheit zu verraten.

In der Zeit außerhalb des abendlichen Fernsehprogramms des freien Menschen wird dem Häftling bestätigt, daß es nicht um den Erhalt des Produktions-Systems, sondern um den Sieg der Humanität geht. Das bringt den Häftling schließlich auf die Idee, sich der als Humanitäts-Partei gerierenden Häftlings-Gemeinschaft des Fernseh-Lagers gegen das nun als den Feind der Humanität phantasierte Produktions-System anzuschließen. Dieser Schritt heftet ihn endgültig an den Bildschirm, denn sein im Produktions-System arbeitende angehörige freie Mensch ist ab da ein Agent der feindlichen Mächte, die drohen, dem nicht im Produktions-System arbeitenden Angehörigen die zustehende Versorgung abzustellen.]

Der Häftling muß die Sklavensprache der Plots lernen. Er darf sich beim Robben durch die Plot-Kuppel nicht von der durch das Produktions-System bewusst zur Zerstörung des im Film-Universum versteckten Sinns durchgeführten Fragmentierung der Film-Kuppel in die Irre leiten lassen. Die Fragmentierung der Film-Kuppel in Genres darf den Häftling nicht dazu verleiten, den für seine aktuelle Sinnfindung notwendigen nächsten Film zu übersehen. Er muß lernen, daß ihn bei der Sinnfindung nur der Plot-Text leiten darf und nicht das Genre.

Die Sinnsuche jedes Häftlings innerhalb der Film-Kuppel des Fernsehens ist seine ganz und gar individuelle. Jeder Bericht aus dem Fernseh-Lager ist subjektiv, nur ein Guckloch aus den Augen gerade dieses individuellen Häftlings in die grausame Wirklichkeit des Fernseh-Lagers. Jeder dieser Berichte steht aber auch für die Vielen, die keine Lebenszeit dafür haben. Die Summe solcher Arbeiten an der Film-Kuppel des Fernsehens erst kann die Oberfläche des Fernseh-Lagers und, da jeder Film für den individualisierten Häftling eine Information über den freien Menschen enthält, schließlich auch des erschlossenen Landes draußen erhellen.

Eine Zeile eines Gedichtes repräsentiert einen dahinterliegenden Film, sie indiziert einen Titel oder einen Plot der Film-Kuppel. Die Abfolge der Gedichtzeilen realisiert einen Metafilm zur zeitlich gerafften Kommunikation zwischen Gehirnen, die die abgerufenen Filme bereits jenseits des kargen Plot-Textes in ihre Seelen eingebrannt haben. Gedichtzeilen sind eine Makrosprache in der symbolischen Dimension menschlicher Beziehung. Filmtitel sind in die Seele des Häftlings eingebrannte Informationen über die Welt. Der Häftling kann mit ihnen dichten und versuchen, sein Gedicht als Geistfilm ins Land zu senden. Dabei können nur in Verbindung treten, die derselben Sinnsuche in der Film-Kuppel des Fernsehens entstammen.

Dem sinnsuchenden Häftling steht neben dem Video-Recorder auch die Fernseh-Programm-Zeitschrift als Arbeitsmittel zur Verfügung. Die Film-Kuppel des Fernsehens ist fünfstufig, von null bis vier Punkten, skaliert. Da die freiwillige Mitarbeit des Häftlings zu seiner individualisierten Lagerung erforderlich ist, muß die Fernseh-Programm-Zeitschrift ihn objektiv, entsprechend dem Stand seiner Sinnsuche, mit den für ihn in jedem Augenblick richtigen Filmen versorgen, denn die Fernsehkanäle dürfen keinen Häftling aus dem Fernseh-Lager verlieren, sie müssen sich durch ihre Einschaltquoten rechtfertigen. Einschaltquoten können nur dann gehalten werden, wenn die Filmskalierung mit dem Stand der kollektiven Problemkategorisierung übereinstimmt. Die Film-Kuppel aller zweipunkte- und höher skalierten Filme kann als Scheidegrat zur wachsenden Sinnarbeit im Fernseh-Lager gelten. Der zur Sinnarbeit entschlossene Häftling robbt gleichsam durch die Zweipunkte-Film-Kuppel. Er darf dabei nicht dadurch verärgert werden, daß er seine Anstrengung vergebens an irreführenden Schund vergeudet. Das ist zur Aufrechterhaltung seiner Mitarbeit im individualisierten Fernseh-Lager unbedingt erforderlich.

Die Zweipunkte-Film-Kuppel erhebt sich über dem Film-Universum, wie das Film-Universum selbst sich über der Serien-, Aktualitäts- und Showberieselungs-Sauce erhebt. Innerhalb der Zweipunkte-Film-Kuppel erhebt sich seinerseits der Kontinent der vom Kollektiv der Fernseh-Programm-Zeitschriften definierten Spitzen- und Tages-Bestfilme. Innerhalb des Kontinents der Spitzen- und Tages-Bestfilme ist der Häftling bestrebt, das Land seiner total persönlichen Videothek zu errichten, über dessen Tor die Sentenz seiner individuellen Sinnfindung prangt. Dabei darf der Häftling die Hoffnung nie verlieren, eines Tages mit der Videothek eines anderen Häftlings zu einer gemeinsamen Sinnabsicherung zu kommen.

Das Ziel ist die Ausleuchtung des Landes, das der Häftling in der Zweipunkte-Film-Kuppel des Fernseh-Lagers begründet. Jeder Häftling des Fernseh-Lagers ist ein Leuchtturm, der sich über der Serien-, Aktualitäts- und Showberieselungs-Sauce ins erschlossene Land erhebt.

Der Bildschirm ist eine molekül-dünne Sonde in das Film-Universum. Mit dieser Sonde kartographiert der Häftling gewissenhaft das Land außerhalb seiner Bildschirm-Zelle. Er schafft sich eine zweidimensionale Landkarte als eine ihm passende Haut innerhalb des Fernseh-Lagers, in die er die humane Zartheit auch des freien Menschen gegen den rüden Zynismus der Häftlingsgemeinschaft und des Produktions-Systems einschließt. Als dritte Dimension über dieser Landkarte erheben sich die in seine Seele eingebrannten Filme, materialisiert in den Videobändern seiner Videothek. So wie der Häftling seinem angehörigen freien Menschen zur Sinnfindung seine Videothek, so stellt er ihm zum Leben seine eingebrannte Seele zur Verfügung. Die zeitliche Sendereihenfolge der der Seele

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