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des Häftlings eingebrannten, auf seine Videobänder aufgezeichneten Filme ist die Zeitdimension des erschlossenen Landes. Die Zeitdimension ist immer da, sie bestimmte ja auch den Weg des über die Film-Kuppel robbenden Häftlings. In der Sendereihenfolge der Filme innerhalb des Fernseh-Lagers ist ja auch der Weg aller Häftlinge und freien Menschen durch das erschlossene Land verschlüsselt. Die Videothek des Häftlings muß die Metabotschaft der Sendereihenfolge ihrer Filme für immer bewahren.
Wichtig zur nachfolgenden Bearbeitung der Film-Kuppel des Fernsehens und Zwischenergebnis sind die Kommentare des Häftlings zu den einzelnen Filmen. Diese Kommentare sind moduliert von den in unmittelbarer Folge davor gesehenen Filmen. Die Kommentare des Häftlings enthalten die Sendereihenfolge der Filme und damit die Kollektivität des Fernseh-Lagers und des Produktions-Systems. Die Zeit ist sogar die wichtigste Achse der Befreiungsarbeit im Fernseh-Lager. Geht sie verloren, wird den in die Häftlingsseele eingebrannten Filmen und seinen Kommentaren der Sinnfindungsrahmen entzogen.
Die aktuelle Fernsehsendung bezieht sich immer auf alles in allen Kanälen davor Gesendete. Alles seit Beginn der Menschheit Mitgeteilte ist in fünfter Dimension übereinandergelegt. Die Mauern des Fernseh-Lagers und des Produktions-Systems sind nicht nur durch den aktuellen Kultur-Horizont, sondern auch durch alle Ahnenreihen lückenlos verschlossen. Die Innenseite der Menschheit ist ebenso in sich geschlossen, wie das äußere All.
Das Bücher-Universum ist für den einzelnen Menschen materiell nicht realisierbar. Schon die jährlich neu erscheinenden hunderttausend Titel des aktuellen Bücher-Horizonts sind nur durch Fragmentierung in Genres organisierbar und müssen durch spezifische Kompetenzen zu einem vom Buchhandel und öffentlichen Bibliotheken handhabbaren Verteiler-Strom verdünnt werden. Dort wird nur der Umfang des Bücher-Universums zugänglich, dem die aktuelle Intellektuellen-Schickeria ausreichende Auflagen verschafft. Der sich aus dem Bücher-Lager befreiende Häftling ist den Kompetenzen und der Intellektuellen-Schickeria vollkommen ausgeliefert.
Das Bücher-Universum und insbesondere der aktuelle Bücher-Horizont ist an den Auflagen orientiert. Damit ist der freie Mensch mit seinem im Produktions-System erarbeiteten Lohn der Adressat. Ein Buch für diesen Adressaten wird vom Verleger in Auftrag gegeben mit der Bedingung, entsprechend dem Verlags-Programm bei vorgegebener Mindestauflage die Willigkeit des freien Menschen im Produktions-System zu erneuern und damit dessen Status als Buchkunden sicher zu stellen.
Das Bücher-Universum ist geprägt durch den Buchhandel der Intellektuellen-Schickeria des freien Menschen und durch die öffentlichen Bibliotheken zur Bildung seines noch nicht im Produktions-System arbeitenden Angehörigen. Dem Häftling mit seinem Mindest-Versorgungs-Satz ist aus ökonomischen Gründen im Bücher-Universum nur die Sauce der Heftchen-Romane, des durch Werbung gesponserten Tagesjournalismus und des von den Antiquariaten nicht mehr verwertbaren überholten Altmaterials zugänglich. Das Bildungsangebot der öffentlichen Bibliotheken zu nutzen liegt nicht im Sinne des sich in das Bücher-Universum einlagernden individualisierten Häftlings. Er definiert sich nicht mehr als noch nicht arbeitender Angehöriger des freien Menschen.
Eine Befreiung des Häftlings aus der Sauce des Bücher-Lagers ist nur dadurch möglich, daß er die Aufnahme in die Intellektuellen-Schickeria erreicht, um dort die Informationen der Sklavensprache zu finden, die in den vom Verleger dem produktions-system-orientierten Verlags-Programm entsprechenden und für die Auflagensicherung in Auftrag gegebenen Büchern stecken. Da aber das Bücher-Universum nicht, wie einst das mittelalterliche Tafelbild, an alle Menschen gerichtet, sondern vom Prinzip her nur am freien Menschen des Produktions-Systems orientiert ist, müssen für die neuen Informationen an der Intellektuellen-Schickeria vorbei eigene Verteilungs-Kanäle errichtet werden. So besteht letztlich kein Unterschied zwischen dem Bücher-Universum im erschlossenen und im unerschlossenen Land. So wie im unerschlossenen Land das Samisdat aus staatlichen Gründen den offiziellen Bücher-Horizont konterkariert, so im erschlossenen Land aus verlagsökonomischen Gründen - tausend gelesene Bücher bewirken eben mehr als hunderttausend vertriebene.
Das Fernsehen reißt das Tor zur demokratischen Kultur auf. Das ganze Kultur-Universum aus Gegenwart und Vergangenheit wird dem Häftling gleichsam 24 Stunden täglich parallel auf dreißig Bildschirme gekippt. Dabei muß der Häftling realisieren, daß die ihn überschwemmende Flut nicht mehr nur die Heftchen-Romane, den werbungs-gesponserten Tagesjournalismus und das überholte Altmaterial enthält, sondern auch den ganzen aktuellen Buchhandel, die öffentlichen Bildungsbibliotheken und auch den aktuellen Samisdat. Eine Kompetenz innerhalb dieser Flut gibt es nicht, ist auch gar nicht mehr möglich. Der Häftling zappt unschuldig durch die Fernsehkanäle. Der Häftling, der wie ein verlassenes Kind jedem Marktschreier ausgeliefert ist, muß die Kompetenz- und Buchhändler-Funktion ohne jede Ausbildung dazu in sich selbst realisieren. Er hat so aber auch die noch nie da gewesene Chance, die seiner individuellen Sinnfindung entsprechende Buchhandlung und Bibliothek, heute Videothek, einzurichten.
Die Kompetenz-Funktion des Bücher-Universums ist eine kollektive Filter-Funktion der schriftlichen Informationen an den freien Menschen. Dem Fernseh-Häftling steht für seine individuelle Kompetenz-Funktion nur die von ihm im Laufe seines Lebens individuell erworbene Filter-Funktion zur Verfügung – dabei ist es ein Diagnostikum seines Häftlingstums, daß er von seiner Herkunftsgruppe her darin fehl- oder schwach entwickelt ist. So kann er die Aufgabe seiner Befreiung nur mit technischen Hilfsmitteln, Fernseh-Programm-Zeitschriften, Video-Recordern, Videotheken und hoffentlich schließlich auch durch Vernetzung derselben mit dem anderen Häftling lösen. Er muß als Kulturmaschine das Fernseh-Universum durchpflügen, dessen Sinn in seine Seele einbrennend in seine individuelle Videothek herunterladen und hoffen, daß der andere Häftling ein Gleiches tut, auf daß sich aus der verschlingend dräuenden Film-Kuppel zunehmend eine Straße aus Leuchttürmen, ein Netz aus Inseln, ein festes Land erhebt.
Was ist neu am Fernseh-Lager? Schon immer überschwemmte den Häftling die religiöse, ideologische, kulturelle Flut eines Produktions-Systems, das ihn für seine Zwecke zurichten will. Sich nicht in die Kultur-Flut hineinzubegeben war nie die Lösung, denn nur so konnte sich der Häftling seinen Unterhalt sichern, wenn schon nicht durch Arbeit im Produktions-System, so doch wenigstens durch seinen Status als Häftling. Um in der Kultur-Flut nicht zu ertrinken, wandte sich der Häftling an die Priester und Philosophen als Kompetenzen. Das hatte auch materielle Gründe, da ihm nur über deren Verteiler-System die höheren Inhalte der Kultur überhaupt erst zugänglich wurden. Heute ist durch das Fernsehen die Verteilung vollkommen demokratisiert und der Häftling hat die Chance, seine Sinnfindung an den Kompetenzen vorbei zu realisieren. Er kann sein überlebensfähiges Verhaltensmuster selbst programmieren. Das ist grund-kreativ. Aber diese Kreativität soll nun ein Kind entwickeln, das ohne Eltern überleben muß. Das Fernsehen ist die Drahtmutter der Zeit. Der Häftling muß auf jeden Fall das Fernseh-Lager durchschreiten. Kein Bildschirm, kein PC, das hat keinen kreativen Sinn mehr.
Die vom Häftling aus dem Fernsehen heruntergeladene Videothek - wie auch aus anderem Anlaß die von ihm aus dem Bücher-Universum heruntergeladene