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Kultur-Flut mittels des Fernsehens gegen den Teil des Produktions-Systems zu wenden, der davon profitiert, ihn in Haft zu halten. Er muß den Sinn, den seine physische Lagerung im Fernsehen für das Produktions-System draußen im entwickelten Land hat, analysieren. Der den Häftling in physischer Haft haltende Teil des Produktions-Systems will ihm aufoktruieren, daß der Sinn im entwickelten Land nur noch ein geistiger sei, dass es unsinnig sei, draußen körperlich real präsent zu sein, daß der wahre Platz des Häftlings am Bildschirm sei.
Der Häftling ist die Kulturmaschine des erschlossenen Landes.
Der Häftling muß die Film-Kuppel des Fernsehens strukturieren und eine Videothek aufbauen, so wie nach dem Aufkommen des Buchdrucks erst einmal rein nach Masse strebende Bibliotheken eingerichtet wurden, um zu erkennen, was eigentlich vor sich geht. Immer geht es zunächst darum, mit unvoreingenommenem Geist Kategorien zu finden und die Flut zu strukturieren. Neu ist, daß heute in der Film-Kuppel des Fernsehens der Häftling machen kann, was im Bücher-Universum nur dem ökonomisch potenten freien Menschen möglich war.
Der Häftling muß das Potential der täglichen Programmgestaltung aller dreißig Kanäle für sich nutzen. Die Gesamtheit eines mit immensem Arbeits- und Geldaufwand gestalteten Tagesprogramms ist voll zeitbezogenem Kontext, und das über Jahre hinweg daraus gezogene Exzerpt des Häftlings ist der erstmals in der Menschheitsgeschichte mögliche individuelle Fingerabdruck eines völlig aus sich heraus existierenden Menschen. Das über Jahre hinweg aus der Programmgestaltung aller dreißig Kanäle gezogene Exzerpt des Häftlings macht ihn vom Verwaltungsobjekt des Fernseh-Lagers zur realen Person.
Der Häftling muß ohne Voreingenommenheit die Arbeit der Fernseh-Programmzeitschrifts-Redaktion zur Strukturierung des vierundzwanzig-stündigen Dreißig-Kanäle-Stroms wie eine Programmiersprache zur Codierung seines Forschungs-Projekts benutzen. Er soll keinen falschen Ehrgeiz entwickeln, die Film-Kuppel auf der Arbeits-Ebene neu zu strukturieren. Der aus der Serien-, Aktualitäts- und Showberieselungs-Sauce aufsteigende Nebel kommt nämlich nicht aus einer verwirrenden Programm-Gestaltung durch die Fernseh-Anstalten, sondern aus der den Einzelmenschen vollkommen überschwemmenden Kultur-Flut. Die Programm-Gestaltung des Fernsehens ist im Gegenteil ausgesprochen sinnvoll strukturiert, weil das für die Logistik des den Alltag im Fernseh-Lager verwaltenden Personals selbst unumgänglich notwendig ist. Das Problem des Häftlings im Fernseh-Lager ist nicht, die Programm-Gestaltung neu zu strukturieren, sondern Mittel der Korrelationsanalyse zur Destillation der für ihn relevanten Informationen aus der Kultur-Flut zu entwickeln.
Die Gewinnung der für den individualisierten Häftling relevanten Information aus der Kultur-Flut durch Analyse der Korrelationen, die zwischen den sinnträchtigen Elementen insbesondere der Film-Kuppel des Fernsehens bestehen, stellt ein Mengen- und Zeitproblem dar, das zu seiner Lösung zusätzlicher technischer Mittel, vorzugsweise eines PC’s, bedarf. Über eine Datenbank aus den Titeln und Plots der Fernseh-Programm-Zeitschrift und aus den Geistfilmen und Kommentaren des Häftlings können tiefer liegende Strukturen entdeckt werden, aus denen durch die Kreativität des Häftlings neue, völlig eigenständige Filme gebaut werden können - das entspricht dem Verfahren automatischer Lyrik - und die gegebenenfalls zur Zwischenergebniskontrolle des Forschungs-Projekts privat videotechnisch realisiert werden können. Die Datenbank ist gleichsam der Brainstorming-Konferenz-Tisch, an dem sich die durch den individualisierten Häftling hintereinander realisierten Gruppenfunktionen integrieren. Korrelationsanalyse ist technisch simulierte Gruppenanalyse.
Der Häftling muß als erstes eine ökonomische Technik entwickeln, die Werbung, die seine Sinnfindungsarbeit verhindern will, auszuschalten. Die Werbung strukturiert alle Sendungen und auch die Filme des Fernseh-Lagers. Die Filmindustrie verlängert zusehends die Filme zum Beispiel von der klassischen achtzig Minuten Zeitdauer auf hundertzehn Minuten deshalb, damit sie statt einmal dreimal durch Werbeblöcke unterbrechbar sind. Wahrscheinlich wird allein schon durch die Filmverlängerung die biologische Sinnfindung des Films geschwächt.
Wie das mittelalterliche Tafelbild die Aufgabe hatte, für die bestehende Gesellschaftsordnung Propaganda zu machen, so hat die zeitgenössische Filmindustrie die Aufgabe, die Werbung an den Filmseher zu bringen. Die humanen Informationen selbst wurden noch nie in dem den Plot illustrierenden Werk, sondern immer nur durch die in Sklavensprache formulierten Bezüge übermittelt.
Das Produktions-System macht aus einem Film durch Einfügung der Werbebotschaften ein neues Produkt. Die Film-Unterbrechung erzeugt eine besondere Aufmerksamkeit - Achtung, wir unterbrechen für eine wichtige Mitteilung. Ein Kind oder ein Besucher aus dem All denkt ja tatsächlich, daß jetzt eine besonders wichtige Information ausgestrahlt wird - es ist die Werbebotschaft. Wenn das Kind oder der Besucher aus dem All aus dem Fernsehen die Sinngebung beziehen würde, wäre der Sinn die Summe aller Werbebotschaften. In diesem Kontext bedeutet die Herstellung einer Videothek aus Filmen, aus denen die Werbung herausgefiltert ist, Subversion gegen das Produktions-System. Der Häftling kehrt mit seiner Videothek die Botschaft des Film-Werbe-Produkts um, nämlich auf den Film hin. Erst jetzt kann die Sklavensprache der humanen Informationen sich artikulieren. Die durch den Häftling dem Produktions-System entwundene Videothek ist der Untergrund-Kanal im Fernseh-Lager. Es zeigt sich übrigens auch, daß gerade die Filmklassiker, die heute in der Verfügungsgewalt der Medienmogule sind, nicht einfach so über den Ladentisch in öffentlichen Videotheken verfügbar sind. Sie existieren eigentlich nur noch als den aktuellen Bedürfnissen des Produktions-Systems angepasste Film-Werbeblock-Produkte.
Seit eh und je hat der freie Mensch einen ungeheueren Bedarf an Hör- und Seh-Geschichten, um sein Sinnloch in den arbeitsfreien Zeiten außerhalb des Produktions-Systems zu füllen. Dem freien Menschen zeigen die in den arbeitsfreien Zeiten vom Fernsehen gesendeten Filme, daß die Welt außerhalb des Produktions-Systems voll Horror ist, sodaß ihn ein Grausen vor dem Chaos außerhalb des Produktions-Systems erfasst. Der freie Mensch sieht sich in diesen Filmen als engagierter Anwalt des guten Produktions-Systems, während er dem Häftling umgekehrt als umweltzerstörender, infantiler und damit erbarmungsloser Naivling erscheint, den die Werbung einerseits in einen splendablen Käufer und die Talkshows andererseits in einen knauserigen Lagerfinanzier zerlegt. Kreative Aufgabe des Häftlings ist, durch seine Videothek das Weltbild des freien Menschen sowohl über sich selbst, als auch über die Existenz außerhalb des Produktions-Systems zurecht zu rücken.
Aufgabe des Schriftstellers ist, den freien Menschen mit immer neuen Geschichten und Fantasien zu fesseln, um sein infantil-destruktives Agieren zu sublimieren. Das Fernsehen manipuliert durch Fragmentierung der Filme diese schriftstellerische Kraft, indem sie den Kauf der von der Werbung propagierten umweltzerstörenden Produkte als Sublimation des infantilen Agierens mißbraucht. Der Häftling kann insofern seinen Beitrag zur Sublimation des umweltzerstörerischen Infantilismus leisten, als er aus dem Fernsehen die ursprünglichen schriftstellerischen Wirkungselemente herausdestilliert und wieder zu einem konsumierbaren Ganzen integriert.
Die im täglich vierundzwanzig-stündigen Dreißig-Kanäle-Strom verborgenen sinnmachenden Filme sind in der Film-Kuppel vergraben wie die Werke des Aristoteles in der Eco’schen Klosterbibliothek. Der Häftling