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im Produktions-System und der Angst vor der drohenden Einsamkeit bei der Rückkehr zu seinem Angehörigen. Der freie Mensch ist schicksalhaft verhaftet ins Produktions-System wie der Häftling ins Fernseh-Lager. Der ins Fernseh-Lager verstoßene freie Mensch wird zum Katalysator im erschlossenen Land.
Aus dem vom Talkshow-Flat geschürten Haß auf sein einst geliebtes Produktions-System folgt die Amputation des bisher gelebten Lebens des Verstoßenen und seine resignierte Regression im Talkshow-Flat.
Das Fernsehen ist das Fegefeuer im erschlossenen Land. Die Nagelprobe darauf ist das gemeinsame Fernsehen des freien Menschen und des Häftlings am arbeitsfreien Tag. Was kann der freie Mensch und der Häftling gemeinsam mit gleichem Gewinn konsumieren? Wenn die Sinnfindungs-Interessen des freien Menschen und des Häftlings zu sehr auseinander klaffen, kochen die Feiertagsemotionen blutig hoch oder alles Leben wird unter kilometerdickem Eis bedeckt.
In aufs Äußerste angespannter Anstrengung vollführen der freie Mensch und der Häftling einen Eiertanz zur Realisierung gemeinsamer Freizeit. Der Häftling muß dem freien Menschen den Haß des Talkshow-Flats auf diesen verheimlichen, der freie Mensch muß seinen Haß auf die durch ihn finanzierte Lagerung des Häftlings ins Fernsehen unterdrücken. Der Haß des freien Menschen auf den Häftling ist schwerwiegend und vielschichtig. Denn für den freien Menschen ist die Lagerung des Häftlings eine Aufgabe des Produktions-Systems und der Haß des freien Menschen gegen den Häftling richtet sich darauf, daß dieser sein Angehöriger ist und ihn mit der individuellen Einlagerung ins Fernsehen belastet. Der Haß des freien Menschen auf den Häftling ist sein Haß auf das Produktions-System, nämlich darauf, daß es seinen nicht arbeitsfähigen Angehörigen nicht liquidiert.
Aufgabe der Freizeitindustrie des Produktions-Systems ist, die wechselseitigen Bemühungen für eine gemeinsame Freizeit von freiem Mensch und Häftling sicherzustellen. Das Fernsehen trägt dabei die Hauptlast, denn dem Häftling steht aus ökonomischen Gründen auch für die Freizeit nur das Fernsehen zur Verfügung.
[Wie der Häftling mit den Mithäftlingen im Talkshow-Flat nur virtuell verkehrt, so verkehrt er mit dem im Produktions-System arbeitenden freien Menschen nur virtuell, und zwar im Film-Universum. In der Freizeit steigt der freie Mensch aus dem Film-Universum zum Häftling ins individualisierte Lager hinab. Aber der freie Mensch verbringt nicht nur seine Arbeitszeit, sondern auch seine Freizeit im Grunde außerhalb des Fernsehens. Das Fernsehen ist ihm nichts als allabendliche Unterhaltung von achtzehn bis dreiundzwanzig Uhr. Dem Häftling steht auch in der Freizeit aus ökonomischen Gründen nur das Fernsehen zur Verfügung. Deshalb muß der freie Mensch mit dem Häftling auch in der Freizeit virtuell verkehren. Eine Freizeittherapie des persönlichen Umgangs des freien Menschen und des Häftlings in einer beide fördernd einfassenden Umgebung ist nötig. Das würde aber schließlich die Spaltung zwischen Häftling und freiem Menschen am Montag aufheben.]
Häftling und freier Mensch müssen in einem von beiden getragenen Existenzzusammenhang gehalten werden. In der freien Welt kann das nur durch Freiwilligkeit geschehen, die Arbeit des freien Menschen im Produktions-System, die Einlagerung des Häftlings in das Fernsehen und auch ihrer beider Zusammenleben in der Freizeit. Die Arbeit im Produktions-System und die Einlagerung im Fernsehen bieten aus sich heraus schon ihre jeweiligen Sinngebungen. Religion und Philosophie brauchen deshalb heute keinen globalen Existenzzusammenhang mehr zu stiften. Es geht heute nur noch darum, für die Freizeit von Häftling und freiem Menschen einen Existenzzusammenhang herzustellen. Der Existenzzusammenhang von Häftling und freiem Menschen geschieht im erschlossenen Land innerhalb der Freizeit selbst. Er wird durch die kontinuierliche Produktion von Bestsellern konstituiert. [Es ist der Kern der aktuellen Sinnkrise, daß der Existenzzusammenhang des Menschen fragmentiert ist.]
Bestseller vereinigen in einem fantastischen Spagat Pennerideologien, Sexkult, Kriminal- und Agentenkitzel, Weltraumpomp, Westernbiedermeier und alternativ esoterische Selbstverwirklichung. Alles passt mit allem zusammen. Das Produktions-System ist im Bestseller auf das Bedienen der Scheckkarte reduziert. Die Freizeit-Szene ist das Wochenend-Zuhause, wie das Talkshow-Flat und das Produktions-System das Wochentags-Zuhause ist. Der Talkmaster ist die Mutter, der Firmen-Chef ist der Vater, der Animateur ist der lustige Freizeit-Onkel. Die Kinder sind lieb und für Problemfälle ist der Fachmann zuständig.
Der Bestseller verklärt dem freien Menschen das Talkshow-Flat und verekelt dem Häftling das Produktions-System. Der freie Mensch macht mit, bewundert den Häftling als Fun-Spezialist und beruhigt so sein Schuldgefühl, den Häftling während der Woche ins Fernsehen zulagern. Der freie Mensch stilisiert sich seinerseits somit vor dem Häftling als Held, der sich unter der Woche zum Zwecke der Finanzierung des Fernseh-Lagers dem ekligen Produktions-System aussetzt. Der freie Mensch macht sich selbst und sein Produktions-System vor dem Häftling in der gemeinsamen Freizeit zum Idioten. Denn in Wirklichkeit hält der freie Mensch seine Freizeit vor dem Häftling genau so geheim, wie der Häftling dem freien Menschen seine Wochentage im Talkshow-Flat geheim hält. Dem Häftling ist die Arbeitszeit des freien Menschen Freizeit und die Freizeit des freien Menschen Arbeit.
Fernsehen von acht bis achtzehn Uhr für den Häftling, von achtzehn bist dreiundzwanzig Uhr für den freien Menschen und von dreiundzwanzig Uhr bis zwei Uhr früh für den unzufriedenen Intellektuellen, das ist das rüde Manifest im Fegefeuer des erschlossenen Landes. Die arbeitsfreie Zeit des freien Menschen bringen ihn und den Häftling zusammen. Die Freizeitindustrie hat das Kunststück zu vollbringen, die beiden gemeinsame freie Zeit zu organisieren und dabei zusätzlich dem freien Menschen eine vor dem Häftling geheim gehaltene Freizeit zu bieten. Dafür konstituiert die Freizeit-Industrie neben dem Fernsehen eine Freizeit-Schickeria, die dem Häftling aus ökonomischen Gründen nicht zugänglich ist und die ihm, wie alles, was außerhalb des Fernseh-Lagers liegt, Angst macht. Fernseh-Serien dienen dazu, dem Häftling Verhaltens-Vorbilder zum Umgang mit der Freizeit-Schickeria des freien Menschen zu zeigen.
So wie das Fernsehen dem individualisierten Häftling Verhaltens-Vorbilder des Umgangs mit dem freien Menschen zur Nutzung von dessen Versorgungs-Institutionen gibt, so gibt es ihn auch Verhaltens-Vorbilder zum Umgang mit seinem Angehörigen in der Freizeit. Dabei soll der Häftling als durch die Fernseh-Serien ausgebildeter Fun-Spezialist den freien Menschen zur Erhöhung seines Konsums in der Freizeitindustrie anregen und diesen damit indirekt zur Weiterarbeit im Produktions-System motivieren. [Es geht dem Produktions-System darum, daß der freie Mensch seinen ganzen Lohn in der Freizeit ausgibt und keine Mittel anspart, am Produktions-System vorbei ein eigenes, die Abhängigkeit von der Willigkeit des Menschen konterkarierendes und damit ihn und den Häftling integrierendes System zu errichten. Wenn der freie Mensch sich aber, letztlich aus Geiz, in seiner Freizeit in seine vier Wände zurückzieht, wird