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Nicht nur ein Reisebericht
Im Dezember 1951, ich war acht Jahre alt, zog ich mit meiner Familie vom bayerischen Bauerndorf Segringen bei Dinkelsbühl - wo wir nach der Flucht aus Polen 1945 eine temporäre Bleibe bekommen hatten - nach Düsseldorf. Der Stadtteil Oberbilk wurde meine neue Heimat, die ich nach knapp 20 Jahren wieder verließ.
Seit 1975 lebe ich in Schweden. Hier heiratete ich, bildete Familie. Die Besuche bei den Eltern und Geschwistern in Düsseldorf und den zwei Schwestern in Salzgitter waren spärlich. Desto reger waren die Besuche in umgekehrter Richtung.
Die Jahre vergingen, die Eltern starben, die Kinder begannen ihr eigenes Leben, wir waren plötzlich Rentner und Großeltern, und das schon seit einiger Zeit. Seit vielen Jahren waren wir nicht mehr in Düsseldorf, in meinem Stadtteil Oberbilk, wo ich meine Jugend verbrachte. Wir beschlossen: "Nächstes Jahr machen wir eine Art Abschlusstournee, das Leben hat seine Unwägbarkeiten." Die nächsten Verwandten in den uns gut bekannten Städten Düsseldorf, Dinkelsbühl und Salzgitter sollten nicht mehr länger warten müssen. In Düsseldorf wollte ich außerdem Günter Kohnen treffen, einen guten Freund aus der Oberbilker Zeit. Er kämpft seit Jahren mit einer schweren Krankheit. (Anmerkung: Er verstarb einige Monate nach unserem Wiedersehen.)
Im nächsten Jahr also, am 12. September 2011, fuhren wir (meine Frau Gullan und ich) Richtung Kungsbacka. Hier, 30 km von Göteborg entfernt, wohnt bequemerweise die Tochter, bei der wir übernachteten. Vorher machten wir einen kurzen Stopp in einem Shoppingzentrum. Gullan brauchte unbedingt eine neue Jacke und was Passendes drunter und ich eine Hose und eine Jacke drüber. Wir mussten ja einigermaßen gekleidet sein im feinen Düsseldorf!
Düsseldorf
Dienstag 13. September
Es regnete und blies ziemlich heftig als wir am nächsten Morgen zum Flugplatz Göteborg-Landvetter fuhren. Das Auto blieb an einem Parkplatz und wir checkten ein, um die Kontrollprozedur schnell hinter uns zu bringen. Dass meine Tasche zur Hälfte mit getrockneten Pfifferlingen gefüllt war, resultierte nur in ein Schmunzeln der Kontrollantin. Meine selbst gepflückten Pilze sind ein Standardmitbringsel.
Beim Start zum Zwischenstopp in Kopenhagen informierte uns der Kapitän, dass wir mit einer gewissen Turbulenz rechnen müssen und deshalb angeschnallt bleiben sollten. Es wurde jedoch ein ziemlich ruhiger 45-Minuten-Flug. Wir hatten flugplanmäßig nur eine Stunde Wartezeit bis zum Weiterflug nach Düsseldorf, die sich aber unplanmäßig um ca. 20 Minuten verlängerte. Wir saßen bereits alle angeschnallt im Flugzeug und die routinemäßigen Durchsagen der Stewardess waren erfolgt aber das Flugzeug bewegte sich nicht. Da kam die Information vom Cockpit, dass ein Startmotor nicht funktioniert und etwas ausgetauscht werden musste. Das Unangenehmste bei so einem Zwischenfall ist, dass es sehr warm wird in der Kabine, da die Klimaanlage kaum Leistung hat, wenn die Triebwerke nicht laufen. So einen Zwischenfall durchlitten wir schon einmal in Singapur. Der vollbesetzte 500-Personen-Jumbo stand und stand ohne Kühlung und Ventilation bei einer Außentemperatur von über 30 Grad. Die Leute wurden unruhig und ich glaubte schon an eine Evakuierung. Da kam die erlösende Mitteilung: "Die defekte Batterie ist ausgetauscht, wir starten".
Kurz nach 13 Uhr waren wir in Düsseldorf, ca. 20 Minuten verspätet. Der Terminal sah schmuck und einladend aus. Alles neu gebaut nach dem großen Brand hier 1996. Seit meinen ersten Jahren in Schweden 1975-79 war ich nicht mehr hier. Damals kam ich öfter zu Konsultationen bei meinem deutschen Arbeitgeber Babcock in Oberhausen. Damals wie heute kam Bruder Helmut, um mich (heute uns) abzuholen.
Der Weg zu Helmuts Wohnung wurde für Gullan und mich gleichzeitig eine interessante Stadtrundfahrt. Es hatte sich einiges verändert in der Innenstadt seit unserem letzten Besuch vor ca. 15 Jahren. Die Rheinuferpromenade haben wir z. B. noch nicht gesehen, und die wurde 1997 eröffnet. Ihre Besichtigung, sowie auch der Altstadt, ist für morgen geplant.
Nach dem Mittagessen bei Helmut fuhren wir zum Grab meiner Eltern. An diesem Tag wäre mein Vater 97 geworden. Danach weitere Besuche bei Schwester und deren Tochter. Kurze Besuche in lockerer und positiver Atmosphäre.
Am frühen Abend kam Erich - ein Freund aus den Oberbilker Jahren - und holte uns ab. Die nächsten zwei Nächte werden wir bei ihm und Brigitte in Homberg, das zu Ratingen gehört, verbringen. Sie haben ein schmuckes Haus mit viel Platz.
Mittwoch 14. September
Dieser Tag war so geplant: Gullan und ich machen einen (für mich) nostalgischen Rundgang durch Oberbilk, dem "Arbeiterstadtteil", in dem ich meine Jugendzeit verbrachte. Fußmarsch durch die Kölner Straße bis zur Altstadt. Dort treffen wir Helmut. Zusammen gehen wir längs der Rheinuferpromenade und weiter bis zu Tante Marika in Bilk.
Erich stellte sich als Chauffeur nach Oberbilk zur Verfügung. Er nahm aber nicht den kürzesten Weg nach Düsseldorf, sondern zeigte uns erst die Innenstadt von Ratingen und dann auch noch Kaiserswerth, dessen Existenz ich schon fast vergessen hatte. Ich erinnere mich vage an einen Schulausflug dorthin. Wir machten einen interessanten Rundgang und sahen viele historische Gebäude. Kaiserswerth ist heute ein Stadtteil von Düsseldorf aber älter als dieses und war im Mittelalter eine wichtige kaiserliche Stätte (Pfalz).
Danach fuhren wir vorbei an der neuen Sportarena (Esprit-Arena) am Rhein. Viele Erinnerungen wurden wach aus den 1950er und 60er Jahren: Die Schwimmbadbesuche im Sommer (..ob SIE auch da sein wird?) und die Fußballspiele von Fortuna Düsseldorf im alten Rheinstadion. Nur der ”Speerwerfer” von diesem Stadion ist als Denkmal erhalten geblieben. Auf den Wiesenplätzen am Stadion haben Erich, Günter Kohnen, ich (Tormann) und die anderen unserer ”Thekenmannschaft” FC Total 62 trainiert, gespielt und anschließend Bier getrunken und Spaß gehabt.
Danach fuhren wir am Rhein entlang, durch die Düsseldorfer Innenstadt, in der große bauliche Veränderungen ihrer Vollendung zustrebten, und weiter nach Oberbilk. Hier wohnten Erich und ich seit Ende 1951 und bis einige Jahre nach unserer Schulzeit. Wir waren von Anfang an gute Freunde und treffen uns immer noch regelmäßig alle paar Jahre, meistens in Schweden. Im Dezember 1951 trafen sich unsere Familien zufällig auf der Zugfahrt nach Düsseldorf, wo unsere Väter ein Jahr vorher Arbeit bekommen hatten. Es stellte sich schnell heraus, dass wir einige verblüffende Gemeinsamkeiten haben:
Sie heißen Grieger, wir Grigor.
- Beide Familien sind Vertriebene Deutsche aus dem Osten.
- Beide Familien hatten bei der Flucht fünf Kinder.
- Beide Familien landeten nach dem Krieg 1945 in einem kleinen Dorf in Mittelfranken, Bayern (Raitenbuch
© Willi Grigor, 2012 (Rev. 2017)
Siehe auch:
literatpro.de/prosa/070916/ein-freund-uwe-seeler-heino-und-ich
literatpro.de/prosa/010317/de-1958-gefaehrlicher-spass-im-rhein
literatpro.de/prosa/120117/de-die-vier-dora-die-bierzeitung-und-deren-auswirkungen