DE 2011 Nostalgisches Wiedersehen mit Düsseldorf - Page 2

Bild zeigt Willi Grigor
von Willi Grigor

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bzw. Segringen, 70 km voneinander entfernt).
- Beide Väter waren von Beruf Schmied.
- Beide bekamen 1950 Arbeit bei der gleichen Firma, Hein Lehmann in Düsseldorf.
- Beide Familien fuhren zufällig am gleichen Tag im Dezember 1951 mit dem Zug zu der neuen Wohnung in Düsseldorf. Bei dieser Zugfahrt begegneten wir uns bei einem Aufenthalt im Nürnberger Bahnhof und lernten uns kennen.
- Wir hatten das gleiche Ziel: Düsseldorf, Flügelstraße 54.
- Erich wohnte im 4. Stock, ich über ihm.

Es war ein wahrlich großes Gefühl, nach vielen Jahren wieder an den Stätten der frühen Jugend zu sein. Ich war acht Jahre alt als wir hierherkamen und zwanzig als ich mit dem ersten beruflichen Auftrag in Hamburg im Prinzip mein ”Oberbilker Leben” beendete. Der Stadtteil Oberbilk war seit seiner Entstehung ein Arbeiterviertel. Hier gab es wichtige Stahlindustrien, die im Krieg Bombenziele waren. Als wir 1951 hier einzogen, gab es viele Ruinen, die unsere Spielplätze wurden. Die Häuser wurden nach und nach mit einem einheitlich grauen Putz wieder aufgebaut. Heute haben sie einen freundlichen, farbenfrohen Anstrich. Die Bäume auf den Bürgersteinen, an deren Anpflanzung ich mich gut erinnere, sind jetzt genauso hoch wie die Mietshäuser. Das triste Aussehen der Straßen hat sich positiv verändert.
Im Eckhaus Flügel-/Linienstraße war früher ein Tabakladen. Der heutige (2011) Ladenbesitzer Ökkes Yildirim ist gleichzeitig Künstler. Er hat im März 2011 um die 200 Gitarren an die kahlen Bäume gehängt, und damit nicht wenig Aufsehen erregt, was man heute noch im Internet mit einer gewissen Freude nachempfinden kann.
Siehe http://www.bilderbuch-duesseldorf.de/bilder/d%C3%BCsseldorf_oberbilk_als_der_himmel_voller_gitarren_hing_album_b%C3%A4ume_fr%C3%BChling_strasse_schilder_5646285309_978x1304xin.jpeg
(Im jetzt gelben Haus wohnten wir.)

Erich und ich standen am Gangelplatz Ecke Flügel-/Linienstraße und schwelgten in Erinnerungen und machten Fotos.
Gleich hier am Gangelplatz und den nächstliegenden Straßen spielte sich unser Leben in den 1950er Jahren ab. Mit 15 Jahren standen Erich und ich in der Eckkneipe "Gangelstübchen" zum ersten Mal an einer Theke und tranken Altbier aus 0,2 l "Düssel"-Gläsern und fühlten uns wie Männer. Hier wohnte der bekannteste Oberbilker (heute einer der bekanntesten Deutschen): HEINO (Heinz-Georg Kramm). Er auf der Kirchstraße, wir auf der Flügelstraße. Vielleicht 100 Meter weiter, auf der Linienstraße, machte Heino seine Lehre beim beliebten Bäckermeister Voss. Erich lieferte mit dem Fahrrad frische Brötchen zu den Kunden.
Beliebt bei uns war auch seine Tochter, sie war außerdem unsere Klassenkameradin. Ich "durfte" eine Zeit lang zusammen mit ihr spazierengehen und Sonntags die katholische Messe besuchen. Sie war das erste Mädchen, das in mir besondere Gefühle weckte. Dabei blieb es, wir waren wohl beide etwas schüchtern. Mein Weg führte mich bald weit weg von Oberbilk. Wohl auch deshalb ist die Erinnerung daran sehr lebhaft.
Wir sprachen über unsere gefährlichen Spiele in den Ruinenkellern und das Erklettern stehengebliebener Treppen, die Fahrradrennen auf den fast autolosen Straßen, das Durchstreifen des Volksgartens gleich hinter dem Bahndamm, die Spiele auf der angrenzenden "Ballonwiese" und die Kirmes auf dieser, sowie unsere Schwimmausflüge zum damals noch im Betrieb befindlichen Baggerloch, wo Schwimmen verboten war, weil gefährlich. Ich erinnere mich an einen tödlichen Unfall, den ich mit eigenen Augen miterlebte: Nach dem Sprung von einer Kieshalde kam der Junge, etwas älter als wir, erst nach einiger Zeit nach oben, leblos. Er hatte sich das Genick gebrochen, die Wassertiefe falsch eingeschätzt. Er wohnte bei uns auf der Flügelstraße.
Wir erinnerten uns an das dummdreiste Anschwimmen und Entern von flussaufwärts fahrenden Lastkähnen auf dem damals doch ziemlich verunreinigten Rhein. Wir fuhren eine gute Strecke mit und ließen uns dann von ihm wieder zurücktreiben.
Nicht zu vergessen das "Rumschleichen" vor einer Sackgasse genannt "Hinter dem Bahndamm", in der sich Frauen befanden und Männer aller Altersklassen rein- und rausgingen.

Wir trennten uns von Erich. Er fuhr zurück nach Homberg, Gullan und ich wollten einen Spaziergang bis zum Schlossturm am Rheinufer machen, wo wir uns mit Helmut verabredet hatten. Auf dem Weg zum Oberbilker Markt kamen wir an der Josefskirche vorbei. In dieser empfing ich meine "Erste heilige Kommunion", hier wurden Schwester Aura getraut und der Begräbnisgottesdienst für meinen Vater und meiner Mutter abgehalten. Wir gingen hinein, es ist eine schöne Kirche. Ich zeigte Gullan, wo ich während des Gottesdienstes immer stand (die Messen waren immer gut besucht). Während meiner Schulzeit besuchte ich regelmäßig den Gottesdienst. Die Männer rechts, Frauen und Mädchen links. Mein Kopf drehte sich des öfteren nach links. Ich zeigte ihr auch den Beichtstuhl, in dem ich für den Pastor Vieten meine Sünden beichtete, u. a., dass ich Fallobst auf dem damals nicht bebauten Nachbargrundstück von Bäckermeister Voss gestohlen hatte. Schlimmere Sachen fielen mir im Beichtstuhl selten ein, merkwürdig. Wir zündeten zwei Kerzen an und saßen eine Weile auf einer Bank.

Der Oberbilker Markt und die Kölner Straße hatten sich mächtig verändert. Die neuen Gebäude kannte ich schon aus dem Internet. Wir wanderten die Kölner Straße Richtung Innenstadt bis zum erhalten gebliebenen - aber jetzt leeren - Bürogebäude meines ersten Arbeitgebers "Paul Kahle Rohrleitungsbau". Es ist wohl denkmalgeschützt, denn alle Fertigungshallen und die anderen Schwerindustrien, die es hier während meiner Lehrzeit (1960-63) gab, sind durch schöne Wohn- und Bürogebäude ersetzt. In mir kam ein stark nostalgisches Gefühl auf:
Ich stelle mich auf die Treppe zum Eingang, grüße durch das Fenster zum Pförtner und danke mit einem Winken, als sich durch seinen Knopfdruck die Tür öffnet. Ich gehe die Treppe hoch, biege rechts ab, vorbei an der "Kasse", wo man am Ende des Monats sein Gehalt abholte. Durch einen Gang komme in den neuen Anbau für die technische Abteilung unter der Leitung von Oberingenieur Nagel. Ich grüße durch die Verglasung seines Zimmers, gehe zu meinem Reißbrett ganz hinten links in dem großen Raum. Alle Kollegen, auch ich, tragen ein weißes Hemd mit Manschettenknöpfen und Krawatte. Mein Blick geht auf den starken Verkehr auf der Kölner Straße. Ausnahmsweise ist ein Radio eingeschaltet. Es ist Ende Oktober 1962. Die Kuba-Krise ist auf ihrem Höhepunkt. Ein Atomkrieg zwischen USA und der Sowjetunion scheint unvermeidbar...
"Willi", ruft meine Frau, "Helmut wartet in der Altstadt auf uns!"

Ich "wachte auf" und spürte gleich darauf ein deutliches Hungergefühl. Wir marschierten weiter. In der Altstadt wollten wir eine richtige Düsseldorfer-Altstadt-Bratwurst essen (hier gibt es die besten Metzger- und Bäckereien in Düsseldorf, sagen viele), bevor wir gemeinsam mit Helmut zum ersten Mal die nun verkehrsfreie Rheinuferallee abschreiten. Wir durchquerten eine der tristen Unterführungen des Bahndamms, der Oberbilk so effektiv von der Innenstadt trennt. Der Marsch bis zur Altstadt war anstrengend weil relativ uninteressant. Als wir dann endlich dort waren, wurde es besser. Es war kurz vor drei Uhr und nicht so viel los. Schräg gegenüber vom Uerige, dem Kult-Bierlokal der Altstadt, bekamen wir endlich die ersehnte Bratwurst mit Brötchen und Cola. Wir hatten es etwas eilig. Treffpunkt mit Helmut ist 15 Uhr und der ist immer pünktlich.
Auf dem Weg zum alten Schlossturm am Rheinufer klingelte das Handy. Helmut fragte, wo wir bleiben. Einige Minuten später trafen wir uns. Er stand an der Kaimauer und sprach mit einem ihm bekannten Oberbilker von afrikanischer Herkunft, ein netter Typ mit schwarzbrauner Hautfarbe.
Als wir am Morgen Homberg verließen, war es ein bisschen kühl aber blauer Himmel. Ich war übermütig und nahm keine Jacke mit. Jetzt war der Himmel ziemlich bewölkt und der kühle Wind blies durch mein rotes T-Shirt. Sogar Helmut hatte eine Jacke an. Aber jetzt los zu unserem allerersten Spaziergang entlang der berühmten Rheinuferallee mit dem Fernsehturm als Landmarke immer vor uns. Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, als diese Straße noch eine Hauptverkehrsstraße war. Diese führt jetzt einige Meter tiefer durch einen Tunnel. Die Hausbesitzer hier haben durch diese Baumaßnahme der Stadt das große Los gezogen.

Vor der Kniebrücke beginnt ein Grünstreifen, der sich bis zum Landtagsgebäude hin ständig verbreitert. Bald darauf passierten wir den Fernsehturm. (Jedes Mal wenn ich einen Fernsehturm sehe, denke ich mit Freude an Auckland in Neuseeland 2010, wo ich - mit einem Seil gesichert - auf einer 190 m hohen, einen Meter breiten und geländerlosen Plattform einmal herumging und anschließend mich von dieser herabfallen ließ, (siehe Reisebericht "AU 2010 06 Walk and Jump in Auckland, NZ" auf www.literatpro.de/willi-grigor unter "Prosa")
Von einer hügeligen Wiese bewunderten wir das "Stadttor", ein spezielles Glasgebäude, das u.a. Sitz des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten ist. Im Zusammenhang mit der noch nicht abgeschlossenen Umstrukturierung des Düsseldorfer Hafens in einen modernen und attraktiven Büro- und Dienstleistungsstandort wurde dieser ca. ein Kilometer lange Rheinuferbereich enorm "veredelt". In einem etwas verkleinerten Maßstab kann man ihn mit der neuen HafenCity in Hamburg vergleichen, die wir im Mai 2011 bewundert haben.

Damit war der größte Teil des Spaziergangs beendet. Wir riefen Tante Marika und Onkel Leo an und sagten, dass wir jetzt bald bei ihnen sind. Auf dem Weg zu ihrer Wohnung auf der Binterimstraße zeigte uns Helmut das Büro der Speditionsfirma, wo er früher gearbeitet hat und erzählte uns einige Erinnerungen.

Nach dem Besuch bei Onkel und Lieblingstante begleitete uns Helmut zum Hauptbahnhof. Wir hatten einige Minuten Zeit und sahen uns etwas in der Halle um. Gullan und ich hatten ihn nach dem Umbau noch nicht gesehen. Eine imponierende Veränderung verglichen mit früher. Meine Düsseldorfer Erinnerungen beginnen hier, als wir (ich mit meiner Mutter und meinen Geschwistern, Erich mit seiner Mutter und seinen Geschwistern mit lächerlich wenig Gepäck) am 21. Dezember 1951 den Zug verließen und den Fußmarsch zur Flügelstraße 54 antraten.

Damit war unser kurzer aber intensiver Düsseldorfbesuch abgeschlossen. Morgen werden wir den ganzen Tag bei Erich in Homburg sein. Dann steigt die große Wiedersehensfeier mit Günter "Peppo" Kohnen und anderen Freunden aus den alten Oberbilker Tagen.
Übermorgen kommt Helmut und wir fahren mit ihm nach Dinkelsbühl, zu Tante und Lieblingsonkel sowie - und vor allem - meinem Kindheitsdorf Segringen.
Wir stiegen in die S-Bahn nach Ratingen-Ost. Vorher hatten wir Erich telefonisch informiert, er wird uns dort abholen.

© Willi Grigor, 2012 (Rev. 2017)

An einen Düsseldorfer Stadtteil

Mein unterschätztes Oberbilk,
du warst mal mein zu Haus.
In Konkurrenz zu Segringen*)
sahst du so gut nicht aus.

Sie war nicht leicht die Umstellzeit,
der Unterschied zu krass.
Nach Jahren erst war ich bereit,
hatt' bei und mit dir Spaß.

Als junger Mann verließ ich dich,
die Jugendliebe auch.
Ein neues Land umgarnte mich,
ich nichts zu reuen brauch.

Du wirst, mein liebes Oberbilk,
in meinem Herz stets sein.
Du lachst mich an, schau ich zurück
nach Düsseldorf am Rhein.

*) Das bayrische Bauerndorf bei Dinkelsbühl, wo ich 1945-51 eine schöne Kindheit verbrachte.

© Willi Grigor, 2012 (Rev. 2017)

Siehe auch:
literatpro.de/prosa/070916/ein-freund-uwe-seeler-heino-und-ich
literatpro.de/prosa/010317/de-1958-gefaehrlicher-spass-im-rhein
literatpro.de/prosa/120117/de-die-vier-dora-die-bierzeitung-und-deren-auswirkungen

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