Zug Moskwa - Berlin (Teil 2)

Bild von Lena Kelm
Bibliothek

Ich suchte mein Abteil, es befand sich am Ende des Wagens - und kam aus dem Staunen nicht heraus. Alle Abteile waren leer. Im letzten saß ein schwarzer Mann, sein Schlafplatz war unten, meiner darüber. Ich geriet in Panik. Mit einem Mann, dem ersten Schwarzen in meinem Leben, sollte ich ganz allein eine Nacht im Abteil verbringen? Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Der Mann, ein nigerianischer Student, begriff sofort meine Verblüffung und bot mir galant an, in einem anderen Abteil zu schlafen, das ließe sich bei dem leeren Zug leicht machen. „Wenn Sie aber nichts dagegen haben, möchte ich der Gesellschaft wegen noch hierbleiben.“ Mir passte es nicht, ich wollte aber nicht unhöflich sein, wo er doch so entgegenkommend war. Wenn er nur keine Annäherungsversuche unternähme, schlugen die Alarmglocken in mir, verwarf den Gedanken sofort, nebenan waren ja die starken Beschützer in Uniform.
Da erschien auch schon einer, bot Tee und eine Kleinigkeit zum Abendbrot an. Mein Nachbar erkundigte sich nach dem Restaurant und ging. „Bitte ein Glas Tee und ein Päckchen Zwieback.“ Fast entschuldigend fügte ich hinzu: „Ich mag Moskauer Zwieback.“ Der Schaffner grinste, ich verstand nicht weshalb.
Nach ein paar Minuten kamen beide in mein Abteil, einer mit heißen Schwarztee, der andere mit Zwieback. Der eine kassierte ab, der andere blieb stehen und fragte: „Na, wo geht’s denn hin, nach Berlin? – „Aha, nicht Berlin, nach Mecklenburg also!“ Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Woher kommst du, was machst du?“, fragte der andere. „Ach, Lehrerin in Kasachstan! Na, Lehrerin aus Kasachstan, was für Geschenke bringst du deinen Verwandten mit?“ Ich begann aufzuzählen und erntete spöttisches Gelächter. Worüber lachten sie? Ich hatte mir solche Mühe bei der Auswahl der Geschenke gegeben. Da ich mindestens zehn Familien eine Freude bereiten wollte, hatte ich eine Menge Holzlöffel, Keramikvasen, Kristallschalen, Weingläser mit Goldrand, zwei Wodka-Flaschen (mehr war nicht erlaubt) und Kaffeebüchsen bei mir. Der lösliche Kaffee stimmte die Männer sarkastisch. „Den Kaffee hättest du in Kasachstan lassen können, den trinken die nicht.“ – „Meine Eltern nahmen 1973 Bohnenkaffee mit, da gab es noch billigen. Jetzt gibt es keinen Bohnenkaffee mehr in den Supermärkten.“, widersprach ich. Ursache war ein politischer Konflikt, in Russland wuchs kein Kaffee. Echten Kaffee gab es nur durch Beziehungen, unbezahlbar für einfache Menschen. Ein Pfund kostete ein Viertel meines Monatslohnes, ich besaß keine Beziehungen. Erst später verstand ich mehr, als mein Ehemann, der bei der Wirtschaftspolizei tätig war, Fälle von Korruption andeutete. Er regte sich fürchterlich darüber auf, dass die Staatsanwaltschaft an die „Großen“ der Branche nichts heranlässt. Aber zurück zur Reise.
Um die Atmosphäre aufzulockern, erzählte ich einen Schulwitz. Ein schwarzer Junge schreibt an seinen neuen russischen Brieffreund: „Ich bin schwarz, meine Eltern sind schwarz, sie trinken schwarzen Kaffee und tragen keine Kleider“ Worauf der russische Schüler antwortet: „Ich bin weiß, meine Eltern sind weiß, mein Vater trinkt weißen Wodka und meine Mutter sagt, würde er schwarzen Kaffee trinken, müssten wir auch nackt herumlaufen.“ Faszinierend wie Menschen humorvoll auf unangenehme Sachen reagierten. Der Galgenhumor half zu überleben. Meine Gesprächspartner fanden den Witz weniger amüsant. Das Problem kannten sie nicht, bestimmt tranken sie deutschen Kaffee. Sie waren oft in Berlin, besaßen Beziehungen und Schmiergeld.

Prosa in Kategorie: