Die Märchenutopie des Sebastian - Page 3

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überlegt, mein lieber Sebastian, und bin auf eine Idee gestoßen: Ich denke, man muss den Menschen dieser Welt Botschaften schicken, die den Plan, die das Vorhaben realistischer machen. In meinen schlauen Büchern habe ich mich kundig gemacht, wie diese Zaubersprüche aussehen könnten, die die Cogitoianer wachrütteln, die das Selbstbewußtsein des Volkes erneuern.“ Sebastian blickte erstaunt, denn er hatte keinen so überlegten Plan erwartet. Er sprach:
„Nenn mir einen dieser Sprüche, ich will wissen, welche Art von Zauber diese sein sollen, denn ich kenne keinen solchen, der ein ganzes Volk verzaubert. Auch wenn ich ein Überzauberer bin, weiß ich nicht, auf welche Art genialer Macht du dich beziehst. Auch meine schöpferischen Eingebungen sind beschränkt.“
Noch ehe der Zauberer ihm eine Antwort zu geben vermochte, fing der Morgen an zu grauen, und aus den ersten Sonnenstrahlen, die den magischen Berg streiften, entwickelte sich der herrliche Gesang der Vögel.

Sebastian blickte den Zauberer erwartungsvoll an, um seiner Frage willen, doch dieser war, durch das Pfeifen und die beruhigenden Melodien der Natur, eingeschlafen. Acht Stunden vergingen und der Erschaffer des Sebastian im Träume erwachte nicht wieder, es schien, als träumte er vom zukünftigen Leben des Eilandes, es schien, als lächelte er und sei zufrieden ob der Offenbarung, die ihm im Schlafe zuteil wurde. Sebastian, der die ganze Zeit an seiner Seite, auf einem Schemel sitzend, gewacht hatte, konnte kaum den Augenblick des Erwachens, der Aufklärung der Magie erwarten, und so versuchte er, den Meister zu erwecken. Nach mehreren Versuchen schließlich erwachte dieser und seine Augen waren erfüllt von einem Glanze, der auf das Angesicht des kleinen Sebastian strahlte, von einem magischen, fröhlichen, stimmungsvollen Geist. Aufgeregt über sein langes Warten, der Antwort willen, wollte Sebastian natürlich sofort vom schlaftrunkenen Magier das Geheimnis der Botschaften erfahren:
„Wie hast du das gemeint, mit den Botschaften, Zauberer? Wie genau willst du eine Revolte erschaffen? Aufgrund welcher Art von Zaubersprüchen willst du das Land verändern? Nenne mir einen.“, so forderte er ihn auf und blickte ehrfürchtig in seines Lehrers Augen. Der Meister antwortete: „Die Vernünftigen modernisieren die Welt und tun ihr damit Gewalt an, doch der Aufhalt der Gewalt, das Herrliche, es kann nur aus euch selbst kommen.“
Staunend über diese wohlüberlegte Aussage sah Sebastian den Zauberer überrascht an.
„Ja, so kann es geschehen, der Wissende muss daraus eine Lehre ziehen, doch alleine die Lehre, diese Moral, wird nicht genügen. Weißt du noch mehr solche Botschaften der Magie?“, fragte ihn der kleine Schöpfer. „Überhaupt, wenn Du so gute Ideen hast, wozu brauchst Du dann einen Zauberer wie mich, einen idealen Menschen?“
Der Magier antwortete:

„Ich brauche einen Redner, der, nachdem die Botschaften angekommen sind, das Volk letztlich vom Künstlerischen überzeugt, der mit Wortgewalt und Esprit den entscheidenden Schritt begeht und das Paradies der neuen Welt einleitend begrüßt. Ich brauche einen neuen Lenker, der die Werte der Kunst überschaubar macht!“
Stolz blickte Sebastian auf und sprach:
„So soll es geschehen, laß uns die Botschaften der Liebe, des Friedens und der Natur, der Magie also, zu den Menschen bringen, auf dass so schnell wie möglich die Änderung eintritt und die Menschen begreifen, worin ihr ursprünglicher Sinn liegt! Nun liegt es wohl nur noch daran, wie man die Botschaften zu den Bewohnern bringt, ihnen ihren Sinne erklärt! Wie stellst du dir das vor, ehrenwerter Meister?“
„Die einfachste und beste Möglichkeit ist es, die Aufforderungen und Appelle an die Fassaden der Häuser zu schreiben, so dass sie lesbar sind und ewiglich ihren Sinn behalten. Laß uns noch etwas ruhen, Sebastian, und in dieser Nacht die Zaubersprüche an die Wände der Fabriken und Häuser malen, so dass, wie du sagst, die Änderung so schnell als möglich eintreten kann und Cogite einsehen muß, dass mit Vernunft alleine nichts erreicht wurde; dass Geld und Macht im Gegensatz zu Kunst und Kultur, zum Großartigen steht; daß der Cogitoianische Geist nicht länger eine Habgier erlebt, sondern den Urtrieb aller Faszination.“
Nach diesem Gespräch starrten beide wortlos in die Glut des Feuers, voll Euphorie der Sache willen.
Als die Nacht gekommen war, machten sie sich bereit, aus dem ausgebrannten Ofen die Kohlen, mit denen die Ausführung der Bemalung stattfinden sollte. Leise, wortlos, kletterten Sebastian und der Zauberer den Abhang des magischen Felsens hinab ins Tal zur Stadt Cogite. Lange dauerte der Fußmarsch und sie überquerten viele Felder, bis vor ihnen im Schein des Mondlichtes die ersten Fabrikhallen und Schornsteine erschienen. Beide wussten, was zu tun war, und so schrieben sie an die Hallen in großen, rußschwarzen Lettern:

„Der Vernünftige vereinfacht die Welt und tut ihr damit Gewalt an, doch der Aufhalt der Gewalt, das Herrliche, es kann nur aus euch selbst kommen.“
„Die Bösen werden geschlachtet! Die Welt wird gut!
„Haben und sein, das Spiel der Gegensätze, wobei wer ist, was er ist, gewinnen muss.“
„Jedem Neubeginne wohnt ein Zauber inne.“
„Das muß zunächst genügen.“, flüsterte der Zauberer, „Nun gehen wir in die Stadt und nehmen uns die Häuser und den Palast vor!“
Wieder gingen beide wortlos über die Felder, bis sie, in der sternklaren Nacht, die Umrisse Cogites, der Stadt der Vernunft, erkennen konnten. Zum Glück der beiden schliefen die Wachen am Tor und so war der Eintritt in die Stadt ein leichter. In der Stadt selbst gab es ungefähr 100 Häuser, und in der Mitte der kreisförmig angelegten Anlage lag der Palast. Nun trennten sich die Wege der beiden, Sebastian ging linksherum, der Zauberer rechtsherum, bis sie sich wieder treffen wollten.
Als beide alle ihrer zu beschriftenden Häuser mit Ruß geschwärzt hatten, kam der kleine Sebastian als Erster beim Schloße Cogites an. Wenige Augenblicke später, des Alters wegen, zeigte sich auch das nächtliche Antlitz des Zauberers.
Sebastian fragte leise: „Was willst du hierhin schreiben, Meister?“
Der Zauberer antwortete: „Den höchsten aller Zaubersprüche, die mir jemals bewußt waren und sein werden!“
Er fing leise an, die Mauer des Palastes zu beschriften:
„Die Welt muß menschlicher werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Denn: Nur ein Künstler kann den Sinn des Lebens erraten.“
„Wunderbar“, wisperte Sebastian ihm zu, „und was machen wir jetzt?“
Der Zauberer drehte sich leise um und sprach so ruhig er es nur konnte, um die Wachen nicht zu wecken:
„Nun werden wir uns in die Nähe der Stadt in die Felder legen und dort warten, bis zum Morgengrauen, damit wir wissen, ob die Nachrichten ihren Sinn nicht verfehlten.“
Und so machten sich die beiden, der Zauberer und sein Sebastian, auf, um ein Versteck zu finden, das sich eignete, die Nacht ohne Gefahren zu überstehen und so voller Erwartung die Antwort des Volkes zu empfangen.
Der Morgen graute, Sebastian weckte den Zauberer und sie warteten auf den hoffentlich bald entstehenden Tumult, denn dieser würde für sie das Signal sein, in die Stadt zu gehen und die Menschenmassen letztlich aufzuklären, was die rußernen Schriften auf ihren Häusern zu bedeuten hätten.
Tatsächlich hörten sie den bösen Cogite fluchen und die Leute, so konnte man durch das Tor erkennen, waren vor dem Palast zusammengelaufen.
„Wer von euch war das? Wer hat diese Schriften auf die Häuser gebracht?“, rief Cogite, wütend, von seinem Balkon herab zur Menge.
Das Volk rief wie aus einem Munde: „Du wirst uns nicht länger terrorisieren, wir kennen das Spiel der Gegensätze: Wir sind und du hast und das wird sich ändern!“

Wutentbrannt, mit rotem Kopfe stand Cogite auf seinem Balkon und wusste nicht, was er tun sollte, die Menge konnte nicht von seinen Soldaten zur Ruhe gebracht werden, denn diese hatten sich auf die Seite des Volkes gestellt. Einige Cogitoianer versuchten über die Palastmauern zu klettern und den bösen Tyrannen der Vernunft in die Tiefe zu stürzen. Das Volk war dermaßen in Rage, dass es der beiden Zauberer durch das Tor nicht bemerkte.
„Ruhe!“, schrie der Zauberer mehrmals, „Ruhe!“
Die Menschen verstummten und drehten sich zu den beiden um. Nun war Sebastian gefordert und trat in die Mitte der Menge, bis er auf einer erhöhten Position stehenblieb, von der aus ihn alle Cogitoianer hören konnten.
„Hört mich an!“, rief Sebastian zu den Bewohnern der Stadt, „ich und mein Erschaffer, der kluge Zauberer, haben euch diese Nachrichten geschickt, weil wir nicht länger gewillt waren, zuzusehen wie Cogite den Terror der Vernunft ausübt, wie er euch in Fabriken arbeiten läßt, euch zwingt, durch Geld glücklich zu sein. Wir wollen diese Umstände der Vergangenheit überlassen und fortan die Magie, die euch durch den Zauber der Sprüche zukam, ausbauen und aus dieser eine magische Insel machen, die im Einklang mit der Natur lebt, die Freude auf euch Menschen herabbringt, die den Geist, der in ihr wohnt, in neuem Glanze erstrahlen läßt. Ihr sollt Spaß an eurer Arbeit haben, aber nicht an der Fabrik, sondern in Handwerks- und Kunstarbeit. Das Brot soll wieder von einem richtigen Bäcker gebacken, Möbel sollen von Schreinern gefertigt werden, es soll Steinmetze geben, Maler, Bauern. Alle Berufungen, die es geben sollte, um ein Leben auf unserem Planeten zu ermöglichen. Aber die Arbeit selbst soll niemals mehr mit Geld gewürdigt werden, es soll Kunst betrieben werden um der Kunst willen. Damit meine ich, ein Brot soll fortan nicht mehr mit Geld bezahlt werden, sondern mit einem Gedicht, einem Lied gewürdigt werden, ein Pferd mit einem Buch oder einem Bild, das ihr erstellt habt. Ihr sollt zufrieden sein und an euch glauben, zusammenhalten, denn nur ein Künstler, und dies sollt ihr fortan sein, kann den Sinn des Lebens erraten!“
Das Volk jubelte und schrie: „Wir wollen Künstler sein, den Sinn des Lebens erraten.“

„Ich sehe, ihr glaubt und wünscht, was ich sage, so will ich dies Land zu Ehren meines Zauberers, der mich erschuf, der mich Sebastian taufte, den Namen Magus (lateinisch: Zauberer) nennen, denn dies ist uns Zauberern ein heiliges Wort. Fortan soll dieses Land Magus heißen und ihr sollt durch euren Zusammenhalt, den Glauben zur Natur und an den Frieden regiert werden, durch die Macht, die ihr selbst bildet. Cogite soll nun einer von euch sein, er soll nicht sterben, er soll genauso wie ihr ein Magier sein, den ihr mit Wohlwollen aufnehmt in eure Reihen und ihm verzeiht, was er tat. Die Stadt nenne ich nun Bunte Kuh und will euch nun verlassen, in die Berge gehen, doch einmal im Jahr komme ich mit meinem Lehrherren wieder und betrachte mir, was aus euch wird. So sei es.“, sprach er.
Im Jubel der Menge erstrahlte die Sonne über dem Magier, so dass sie wußten, wie weise seine Worte waren.
Aus den terrorisierten Cogitoianern wurden endlich Künstler, die sich einander gern hatten, die zu leben verstanden, so wie es ihnen Sebastian vermittelt hatte. Das Volk blieb nun glücklich, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

Ende

Mein erster größerer Prosatext ... dies sollte die Romantik wiederbringen!

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