Reihung von Wiederholungen

Bild von Kate Moskau
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Gedankenfern liege ich in deinem Bett, in deinem Zimmer, in deiner Stadt und starre auf ein Poster mit einem abstrakten Abbild von Dali.
„Abstrakt“, denke ich: abstrakte Kunst, abstrakte Begriffe, abstrakte Beziehungen, abstrakte Gedanken, abstraktes Wunschdenken, dass dieses abstrakte Poster irgendwann unser Poster sein wird, in unserer Stadt, in unserem Zimmer und ich es irgendwann von unserem Bett aus betrachten werde und diese abstrakten Gedanken sich von der Ungewissheit in eine absolute Wahrhaftigkeit entwickeln, sodass ich weiß, dass wir es wissen.
Abstrakte Beziehungen, denke ich weiter - konstruierte Lügen, die ich meiner Familie sorgfältig erzähle, gleichzeitig zwei einander ausschließende Ansichten vertrete, zu wissen, dass sie widersprüchlich sind; an beide zu glauben; an die Unmöglichkeit der Beziehung zu glauben; dies zu vergessen und ins Gedächtnis zu rufen, dass die abstrakte Wahrnehmung dieser Beziehung nicht die der Meinen entspricht. Ich habe eine konkrete Vorstellung von unserer Beziehung, unserer Stadt, unserem Zimmer und unserem Bett. Ich sehe es so klar vor mir, wie das abstrakte Abbild von Dali auf das ich starre, während du dich in deinem Badezimmer, in deiner Wohnung, für deine Stadt, für mich zurecht machst.

Gedankenfern liege ich nachts neben dir in deinem Bett, in deinem Zimmer und wache auf.
Abstrakte Bilder meiner Träume bringen mich dazu, nach dir zu suchen, nach deiner Nähe, nach deiner Meinung, nach deinem Körper, nach deinem Fuß, nach der Berührung mit der wir gemeinsam eingeschlafen sind. Ich sehne mich danach aufs Neue. Ich erwische in der Dunkelheit eine Stelle deines Körpers; wer schläft kann nicht lieben schießt es mir durch den Kopf, doch die Filterung und Deutung des Erlebten hat bis morgen Zeit. Du bemerkst meine Berührung und ziehst mich an dich ran; wer schläft ist rein und zweifelsfrei, du liebst mich bedingungslos wenn du schläfst, dafür liebe ich dich umso mehr, auch im Schlaf; ich schlafe wieder ein.

Gedankenfern stehe ich neben dir wie gelähmt und weine.
Ich weine aus Wut, aus Angst und aus Liebe, weil ich dir in diesem Moment viel zu viele schöne Worte, Erinnerungen und Gefühle nahe legen möchte, doch wir sind zu stur, starr und skeptisch. Ich weine aus Verzweiflung; meine Logik gegen deine Logik werden ins Feld geführt, wir müssen unsere eigene Moral ablehnen und die des Anderen für sich in Anspruch nehmen; an die Unmöglichkeit, dass eine gemeinsame Zukunft existiert, zu glauben und daran, dass diese Person die Richtige für seine eigene sei. Wir werden im Ausklang aus Liebe das vergessen, was vergessen werden muss, um es sich dann wieder ins Gedächtnis zu rufen, wenn es aus Verzweiflung wieder gebraucht wird, und es dann gleich wieder vergessen, weil wir uns sehen, weil wir uns hören, weil wir uns riechen, weil wir uns fühlen, weil wir uns schmecken, weil wir uns lieben.

Gedankenfern sitze ich im Zug und höre mir zwangsweise die lauten Gedanken, Meinungen und Verurteilungen der Menschen an.
Ich sehe ihre Mimik, ihre Gestik und ihr Verhalten; schweife ab und vermisse dich. Wieso vermisse ich dich, wenn ich zu dir fahre? Die Bahn verspätet sich um 17 Minuten; die Zahl lässt das Adrenalin durch mein Körper gleiten und beschleunigt meinen Herzschlag, und ich muss schmunzeln; denke dabei an dich und vermisse dich, doch die Tatsache weitere 17 Minuten auf dich zu verzichten stellen mich vor die Wahl, mich entweder 17 Minuten in Wut und Rage über das Universum aufzuregen oder 17 Minuten dich zu vermissen; ich lese das Buch welches wir uns gekauft haben, und vermisse dich; warum lesen wir es nicht gemeinsam bei schwachem Licht?; 17 Minuten, und ich vermisse dich. Ich denke an die einsamen Stunden in meinem Bett, in meinem Zimmer, in meiner Stadt und vermisse dich. Nur noch 5 Minuten; diese Zahl hat keine Bedeutung für mich, weder Adrenalin, noch ein Herzschlag, nur Minuten, eine Zeiteinheit, die wir Menschen definiert haben, damit ich den Zeitraum von 60 Sekunden stumm für mich abzählen kann, wie lange ich dich noch vermissen darf; 60 Sekunden, ein immaterieller Zeitraum, der Platz für abstrakte Gedanken und Bedürfnisse schafft; ich schweife ab und vermisse dich.

Gedankenfern stehe ich vor deiner Haustür und gehe die Treppen hoch, zu deiner Wohnung, in dein Zimmer, in dein Bett; in deinen Armen erblicke ich das Poster von Dali und fühle mich vollkommen geborgen, denn du vermittelst mir das Gefühl durch deine Liebe zu mir in einer abstrakten Ausformung - du hast angefangen zu schnurren.

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