Loblied auf eine tolle Frau

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von Heide Nöchel (noé)

Ich habe schon etliche Loblieder auf meine Oma Thea gesungen. Diese Frau hat noch wesentlich mehr verdient.

Ich hatte ein Riesenglück, gerade sie zur Oma zu haben, die Nonkonformistin mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein, das sie mit breitem Kreuz und durchgedrücktem Rücken ohne Respekt vor irgendwelchen Amtsträgern oder auch nur -inhabern in jeder Situation vertrat.
Dabei war sie eine zwar schmale Frau, aber von einer enormen Zähigkeit und Durchsetzungskraft und mit einem beispiellosen Kampfeswillen. Ihr machte niemand etwas vor, nicht mit Gesülze, nicht mit „guten Worten“, nicht mit sofort entlarvten „faulen Versprechungen“.
Sie lehrte mich, zweimal hinzusehen, auch dreimal, wenn nötig, alles zu hinterfragen, nichts so hinzunehmen, wie „es“ vorgegeben war, weil jeder „es“ so machte. Wenn es „jeder“ so machte, warum dann auch noch sie? Gab es vielleicht noch andere Ansätze? Was wollte der Mensch mit den vielen Worten und dem offenen Honigglas? Du bekommst NICHTS geschenkt, heutzutage. Jeder, der etwas „freiwillig“ gibt, will eine Gegenleistung dafür, und wenn er dir trommelt und pfeift, es sei „gratis“. Bleibt nur noch rauszufinden, für welchen seiner Zwecke er dich einspannen will.

Tatsache ist, dass meine Mutter und ihre Schwiegermutter „nicht miteinander konnten“. Schließlich ist ja meine Mutter schnellstmöglich dort ausgezogen, nach dem viel zu frühen Tod ihres Mannes, meines Vaters. Von Stund an galt Oma Thea bei ihr als „Ziege“, als „Biest“, mit dem „man“ halt besser nichts mehr zu tun haben sollte („Du wirst ihr wahres Gesicht schon noch kennenlernen …“).

Da war ich allerdings ganz anderer Meinung. Vielleicht weil ich ihrem Sohn so sehr ähnlich sah, vielleicht aber auch aus reiner Zärtlichkeit hatte meine Oma mich besonders ins Herz geschlossen. Ich hatte jeden Stein im Brett bei ihr, sie ging ohne Vorhaltungen auch in die Seile für mich und legte sich sogar mit dreimal so großen Bauarbeitern an, wenn es um mein Wohl ging, es gibt da eine eindrucksvolle Episode. Zuerst mal kam ich, dann vielleicht auch noch jemand anderer. Bei ihr war ich immer „Mäuschen“, wie alt ich auch in Wirklichkeit wurde. Jeden Tag nach der Schule musste ich mir einfach meine tägliche Dosis Lebensmut bei ihr abholen, sonst hätte ich wohl meine „andere“ Kindheit nicht so gut und womöglich (je nach Sichtweise) unbeschadet überstanden, wo ich immer nur der „Gragel“ und „Plotsch“ war, nicht sehr feine Umschreibungen für absolut ungeschickte Menschen mit einem extrem niedrigen Intelligenzquotienten, unnütze Atemluftverbaucher.

Natürlich passte es dem anderen Teil der Familie gar nicht ins Konzept, wie herzlich miteinander verbunden Oma Thea und ich waren. Sie war meine einzige, ehrliche und verlässliche Freundin in der gesamten Kinder- und Jugendlichenzeit und hat auch ungewöhnliche Aktionen gestartet, etwa Liebesbriefe für mich in Empfang genommen und mir weitergeleitet, als quasi Dessert nach dem Mittagessen mit einem Schmunzeln aus der Schürzentasche gezaubert. Sie nahm mich als Einzige so, wie ich war, als eigenständigen Menschen mit einem Recht auf eine eigene Meinung und dem Recht, diese auch zu vertreten und durchzusetzen.

Dem anderen Teil der Familie, die ganz gegensätzlich gepolt war, war das natürlich ein Dorn im Auge. Sie versuchten stets, mich „wieder gleich“ zu machen, angepasst, ich sag mal „duckmäuserisch“, auch mit drakonischen Mitteln.

Zu spät, was die Liebe ins Herz gesenkt hat, ist dort fest verankert.

Sollte es mir gelungen sein, mich auch nur in etwa dem Vorbild meiner geliebten und lebensklugen Großmutter anzunähern, wäre ich sehr stolz. Besonders aber darauf, gerade sie von meinem ansonsten eher „bescheidenen“ Schicksal als wegweisenden Leuchtturm mit auf meinen Lebensweg bekommen zu haben.

© noé/2018

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