Komische Wirklichkeiten (Die Intelligenzpille)

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von Alf Glocker

Sie ist noch nicht lange auf dem Markt, hat aber bereits die heißesten Diskussionen entfacht, denn „Fachleute“ aus allen Lagern streiten sich über ihre zweifellos vorhandenen Wirkungen. Der eine Vorteil sei, so sagen die selbsternannten Systempragmatiker, daß man nach Einnahme des „Medikaments“ wesentlich schneller addieren, subtrahieren und abstrahieren könne – rein mathematisch und rein rechnerisch betrachtet, versteht sich. Der andere Vorteil aber bestehe darin, meinen wiederum die selbsternannten Systempragmatiker, im Gegensatz zu den Moralskeptikern, daß man nicht mehr gewillt sei etwas zu hinterfragen ...

Wenn da einer etwas verkauft, an dem er, vor dem Pillenkonsum, noch runde 100 Millionen verdiente, nach der Intelligenzpille seinen Umsatz aber auf 1 Milliarde steigern konnte, da sei es – so die Systempragmatiker – völlig pervers sich zu erkundigen um welche Ware es sich überhaupt handle. Die Moralskeptiker wenden hingegen ein, daß dies süchtig machen könne und zumindest für Kinder unter 95 verboten gehöre. Gerade eben die Ignoranz, tieferen Zusammenhängen gegenüber, verleite doch zu dem womöglichen Fehlschluss es könne sich nicht um eine Intelligenzpille, sondern vielmehr um eine Verblödungsdroge handeln.

Selbstverständlich begrüßt aber gerade die freie Wirtschaft die, durch die Pille entstandene, ungeheure Zunahme von hochqualifizierten Fachkräften, auf die in Zukunft bald nicht mehr verzichtet werden könne. Der Hinweis auf die Ausschaltung des Gewissens wird dabei als völlig unpassend und absolut unqualifiziert, abgewiesen, nein, sogar verlacht, da „Gewissen“ ein Ding sei, dessen Handhabung, oder in diesem Fall vielleicht besser „Betreuung“ ebenfalls wieder Spezialisten überlassen werden müsse, die eine Ausbildung dafür vorweisen können. Wenn diese ebenfalls über die Intelligenzpille verfügen, fällt es ihnen sogar noch leichter solche Entgleisungen entsprechend zu coachen, oder zu behandeln, wie andere ernste seelische Schwierigkeiten auch.

Intelligenz sei, so betont neuerdings sogar der Minister für Bildung und andere soziale Fragen, nur vollkommen wertfrei, und deshalb nicht an irgendwelche Vorgaben - wie etwa eine besondere Art von Humanität - geheftet, eine Stütze der Gesellschaft. Das heißt: wenn sie der Mehrheit gefällt! Und nichts gefällt der Mehrheit mehr als der persönliche Erfolg einzelner - besonders dann, wenn sie die einzelnen sind?! Was überhaupt wäre denn bitteschön noch humaner als der Erfolg?! Wer ihn sein eigen nennt, der darf mit Fug und Recht, mit Dings und Bums behaupten, daß er über eine ausgeglichene Persönlichkeit verfügt – oder sie über ihn ... wie auch immer. Die Intelligenzpille ist jedenfalls auch glänzend geeignet selbst in solchen Belangen für Klarheit zu sorgen.

Endlich, ich betone „ENDLICH“ lässt sich ein Phänomen wie die Intelligenz an etwas festmachen: an der Leistungsfähigkeit, an nichts anderem als der Leistungsfähigkeit eines Gehirns in Sachen „Schneller rechnen“, „Besser kalkulieren“, „Kompetenter durchsetzen“ und selbstverständlich auch „Konsequenter ignorieren“. Was was bringt bringt was und was nichts bringt bringt nur Ärger, sonst nichts. Und was man sich unter „Bringen“ vorzustellen hat, ist nach Einnahme der Pille auch klar: handfeste Ergebnisse, nicht irgendwelche Gefühlsduseleien, die sich, am Ende aller Bestrebsamkeiten, doch wieder nur als vergebliche Liebesmüh herausgestellt haben.

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