Franka und Freya

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Ich kam von der Unibibliothek, es war so gegen ein Uhr am Nachmittag. Es war ein heißer, schwüler Tag, das weiß ich noch. Ich öffnete die Tür zu meinem bescheidenen Studentenzimmer, und ich sah es sofort. Das Blinken. Das Blinken der roten Digitalanzeige meines frisch erworbenen Anrufbeantworters. Die Maschine lag auf dem Boden, weißes Plastik auf grauem Linoleum. Jemand hatte mich angerufen. Eine Nachricht hinterlassen. Für mich. Ich bückte mich und drückte auf den Knopf zum Abspielen.
„Hallo Julian, hier ist Franka. Ich will gleich ins Freibad und wollte wissen, ob du vielleicht Lust hast, mitzukommen. Ruf mich doch an, ich bin noch bis ein Uhr hier. Vielleicht bis später, ciao.“
Ich verspürte ein wohliges Kribbeln unter der Haut. Franka. Zweiundzwanzig Jahre alt, dunkelbraunes Haar, ein Gesicht wie Romy Schneider und ein zierlicher, fester Körper. Franka. Ich stellte sie mir im Bikini vor. Dreiecke aus weißem Stoff, zusammengehalten von dünnen, weißen Schnüren. Franka. Ich stellte mir vor, wie sie auf der Wiese lag. Die Hände aufgestützt, ein Bein angewinkelt, mit Sonnenbrille. Ich stellte mir ihren Jadebusen unter dem Stoff vor, die zarten Knospen darunter. Franka. Ich dachte an ihre feine, samtene Haut, die ich einmal wie zufällig berührt und die mich sofort elektrisiert hatte.

Franka.

Als ich versuchte, zurück zu rufen, ging niemand dran. Es war zu spät. Ich war zu spät.

*

„Das heutige Schönheitsideal ist, vereinfacht formuliert, ein gerader, weißer Strich“, begann Frau Weber. „Dagegen gibt es erst einmal nichts einzuwenden. Die Klarheit, die Strenge, die Ordnung eines weißen Striches...“
Sie machte eine rhetorische Pause und warf einen vielsagenden Blick in die Runde.
„Nun,...wem’s gefällt. Aber sie sind nicht hier, um Striche auf Papier zu bringen. Was mich und sie hoffentlich auch interessiert, das sind die Kurven, die Formen, die Farben, und ja, auch die Brüche. Das Glatte, das Rauhe, das Schroffe, das Runde und das Zusammenspiel, die Komposition dieser unterschiedlichen Texturen. Die Kunst im Allgemeinen und die Aktmalerei im Besonderen finden das Schöne im vermeintlich Hässlichen, das Spannende im vermeintlich Langweiligen. Man sagt, es gäbe nichts Unerotischeres als einen FKK-Strand und meint damit den unverhüllten Körper. Ich aber sage: Jeder Mensch ist schön und wir können diese Schönheit akzentuieren. Wenn wir nur wollen.“

Ich, Johannes und ein anderer, männlicher Kursteilnehmer warfen uns verstohlen ein paar Blicke zu. Nach dieser Einleitung erwarteten wir, überspitzt formuliert, wohl alle einen unförmigen, wenig ansehnlichen Körper, den es abzumalen galt. Stattdessen kam aber eine attraktive Mittvierzigerin in den Raum, mit wallenden, schwarzen Locken, einem sinnlich-fülligen Mund und grün-braunen Augen. Sie hatte ein leicht maskulines Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem ausgeprägten Kinn. Sie trug einen weißen Bademantel aus Seide und ging erhobenen Hauptes mit eleganten Schritten auf das Podest zu. Als sie dort stand, ging Frau Weber auf sie zu und hob die Hände. Das Modell nahm ihren Bademantel ab und reichte ihn Frau Weber. Als unsere Lehrerin zur Seite trat, war es, als ginge ein Raunen durch den Raum. In Wirklichkeit aber sagte keiner einen Ton. Es war ein stilles Raunen.

Das Modell stand vor uns, groß und erhaben. Sie blickte zur Seite und nach oben, ihre Arme hingen herunter. Sie hatte leicht muskulöse, lange Beine, ein relativ breites und sehr rundes Becken, eine schmaler werdende, aber nicht unbedingt schmale Taille. Sie hatte eine gerade Schulter und ihre ganze Haut war hell und pigmentfrei. Eine natürliche Schönheit, wie ich fand. Insgesamt wirkte sie wie eine griechische Göttin, geschaffen dafür, in Stein oder Marmor gemeißelt zu werden. Darüber hinaus hatte sie einen großen, runden Busen, der in der Mitte zwei perfekt geformte, kleine konzentrische Kreise aufwies. Ein formvollendeter, üppiger Busen. Aber, und das war der Grund des stillen Raunens: Es war ein einzelner Busen. Ihr fehlte eine Brust.

*

Franka war das Ziel meiner Begierde. Wenn ich in die Übersetzungskurse für Spanisch ging, versuchte ich immer, möglichst nah oder direkt neben ihr zu sitzen. Gefühlt trug sie jedes Mal ein neues Outfit und jedes davon beflügelte meine Phantasie. Franka zeigte immer Haut, nie so viel, dass es billig wirkte, doch immer genug, dass es sexy war. Die Farbtöne ihrer Kleidung waren meist gedeckt. Ein beiger oder schwarzer Rock, der etwas über ihren Knien endete, dazu meist ein weißes Top aus gestärktem Leinen, dünne Träger. Gelegentlich blitzte ihre weiße Unterwäsche hervor.
In der ersten Seminarsitzung hatte ich all meinen Mut zusammen genommen und sie gefragt, ob der Platz neben ihr noch frei wäre. Sie hatte lächelnd bejaht und dann waren wir zwanglos ins Gespräch gekommen. Sie roch sehr gut, und ich glaubte, es sei ihr eigener Geruch, kein Parfüm.
Während der Seminarsitzung merkte ich, dass mein Spanisch weit besser war als Ihres. Und sie merkte es ebenso.
„Hey, du kannst ja schon alles“, sagte sie und schaute mich dabei herausfordernd an. Ich errötete leicht, sagte aber nichts.
Am Ende der Seminarsitzung stand sie auf und legte ein weißes Blatt Papier mit einer Nummer auf meinen Platz.
„Ich bin Franka“, sagte sie lässig. „Kannst mich gerne mal anrufen.“

Als ich das Seminar verließ, waren meine Beine wie Pudding. Dass ein so hübsches Mädchen mir von sich aus ihre Nummer gab, das war mir noch nie passiert. Ich fühlte mich wie Casanova, und für den Rest des Tages lief ich über den Campus mit der Überzeugung, jede Frau haben zu können.

*

Nach der Sitzung ging ich noch mit Johannes etwas trinken. In der Bar bestellten wir uns beide ein Guinness und rauchten Zigarillos. Zunächst sagten wir beide nichts und genossen den Alkohol, den Tabak und die Atmosphäre.
„Eine schöne Frau“, sagte Johannes schließlich.
Ich nickte.
„Wunderschön!“
„Eine glatte 10“, fuhr er fort und sah mich verschmitzt an. „Minus 1, natürlich!“
Schweigen.
„Es gibt doch bestimmt Prothesen aus Silikon, oder so“, bemerkte Johannes schließlich.

Ich erwiderte nichts darauf. Ich fühlte mich seltsam angegriffen durch diesen unbedachten Kommentar. Da war diese wunderschöne Frau und trotzdem dachte Johannes daran, wie man mit dem vermeintlichen Makel umgehen könne. Ich war, im Großen und Ganzen, schlicht irritiert. Ich hatte den Anblick dieser Frau sehr genossen, in ihrem Gesicht, in ihren Augen, hatte ich eine solche weibliche Kraft und Bestimmtheit

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