Ich war in der traurigsten Stadt Deutschlands. Ich darf aber nicht sagen wie die heißt. Sonst werden die Leute dort noch viel trauriger. Was ich aber verraten darf: sie liegt im Osten. Und ist, dies darf ich der Wahrheit halber auch sagen, noch viel, viel grauer als nur östlich. Dort ist alles grau. Die Häuser. Die Bäume. Auch die Büsche. Und die Rosen. Sogar die roten. Da hat niemand einen Buntspecht. Allerhöchsten einen Grauen Star. Und sie haben im Ort nur einen einzigen Verein. Die Grauen Panther. Und 365 mal im Jahr ist dort Volkstrauertag. Nicht im Kalender. Aber in den Gesichtern. Da lacht keiner. Und wenn, dann nur im Keller. Was aber gar nicht möglich ist. Denn die Keller sind ja alle rappelvoll. Voll mit Depressiven. Weil, die dürfen dort nicht auf die Straße. Damit sie die nur Traurigen nicht noch trauriger machen. Kennt man ja. Ein fauler Apfel verdirbt die ganze Kiste. Angehörige schütten dreimal täglich Karikaturen und DVDs mit Filmen mit Otto Walkes in die Kellerlöcher. Nutzt aber nix. Bleiben alles Weinkeller. Und sie haben nur eine einzige Einkaufsstraße. In dieser habe ich Schaufenster gesehen, da schauten mehr Augen heraus als hinein. Und dies waren keine Tierläden! Da gibt es auch nur Dinge des täglichen Bedarfs. Graubrot. Und Graupen. Und Schwarzbier. Helles trinken sie dort nicht. Dies würde nicht zur Stimmung passen, hat man mir gesagt. Meine Frau und ich wollten dort essen gehen. Die haben dort zwei Gaststätten. Eine heißt “Zum Gefrierbrand”. Und die andere “Schmeißfliege”. In beiden gibt es Regionales. Trauerklöße. Sauerbraten. Und Tote Oma. Sie hatten auch mal einen Chinesen im Ort. Der hat aber nach einem Vierteljahr Harakiri verübt. Mit einem Kochlöffel. Die Einheimischen hätten ihn so “tlaulig” gemacht. Und der Döner-Imbiss hat auch im Sommer geschlossen. Weil sich zum wiederholten Male Kunden in den Spieß gestürzt hatten. Wir haben uns dann was aus dem Supermarkt geholt. Saure Drops. Und Sauerkrautsaft. Mehr gab's da ja nicht. Ich habe der Kassiererin noch einen schönen Tag gewünscht. Da hat sie angefangen zu weinen. Dann kam der Verkaufsleiter. Nun habe ich dort Hausverbot. Wegen angeblicher emotionaler Grausamkeit. Ich wüsste doch schließlich, in was für einem Teil Deutschlands sie wohne. Am Stadtrand haben sie einen Baumarkt. Der verkauft nur Stricke. Hat aber täglich 24 Stunden auf. Sogar sonntags. Eine Ausnahmeregelung. Wegen des großen Kundenandrangs. Und in den Bekleidungsgeschäften gibt es da nur schwarze Wäsche. Aber nicht der Erotik wegen. Dort fickt nämlich Niemand aus Spaß. Da machen sie es nur, damit sie irgendwann jemanden haben, der ihre alte Kleidung aufträgt. Die Kleiderspende nimmt die nämlich nicht. Wegen der Salzkruste auf Brust und Kragen. Wegen der vielen Heulerei. Und da gibt es auch nirgendwo ein Kinderlachen. Die Kinder sind alle ganz still und leise. Meistens hocken sie nur am Rande der Friedhofsstraße und zählen die Beerdigungen. Und ihre einzigen Spielzeuge sind eine überfahrene Katze und ein Ball ohne Luft. Die Mädchen heißen alle Heulsuse. Und die Jungen alle Citalopram. Bis zur 4.Klasse gehen sie alle gemeinsam in eine Schule. Danach gehen sie arbeiten. Irgendwas. Seiler. Oder Psychotherapeut. Jedenfalls was, was im Ort eine Zukunft hat. Um den Ort herum wurden früher überall Erze abgebaut. Kupfer. Und Silber. Seit der Wende aber nur noch Arbeitsplätze. Jetzt stehen da nur noch große Halden. Alles Dreck. Den holen sich die Einwohner eimerweise. Um es sich zu Hause etwas gemütlich zu machen. Ist halt Tradition. Großvater hat im Dreck gewühlt. Vater hat im Dreck gewühlt. Nur Sohnemann muss nun aufs Amt. Weil sich es nicht mehr lohnen würde. Das mit dem Kupfer. Und dem Silber. Haben die aus dem Westen gesagt. Von wegen blühende Landschaften! Dort wächst überhaupt nichts mehr. Angeblich wegen irgendwelcher im Bergbau verwendeter Chemikalien. Da wachsen nur noch Akne. Und Neurodermitis. Deswegen kratzen sich dort alle ständig. Juckt die aus dem Westen aber nicht. Die Litfaßsäulen waren alle von oben bis unten mit Traueranzeigen gepflastert. Aber die Leute darauf waren noch gar nicht tot. Die wären es nur gerne. Wegen dem Ort. Im Osten. Dessen Name ich nicht nennen darf.
Im Osten (Oder: Stadt ohne Namen)
von Lothar Peppel
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- Prosakategorie und Thema: Reiseberichte
Kommentare
Lothar, du bist ein Urvieh, dein Witz ist kostbarköstlich, o Pardon, köstlich (k)linkt östlich.
Aber wenn auf dem restaurierten Markt eines solchen Ortes ein Einkaufsgeschäft noch nicht wieder verlassen ist und zur Miete ohne Maklerprovision angeboten wird, befindet sich mit Sicherheit darin ein Beerdigungsinstitutchen oder o.g.
Makler.
Das allerdings ist traurig...sonderlich, weil ich den Ort kenne, er heißt Fastjederort und blickt oft auf 900 Jahre reiche und fleißerfüllte Geschichte zurück.
LG Uwe
PS: Aber deine Schreibe hat Klasse und ich hab gelacht, nicht, dass du denkst, mein Comment sei mit Vorwurf grau eingefärbt.
Danke. Naja. Wir wollen nicht vergessen, dass auch Grau eine Farbe ist!
LG LP
Was endlich mal ein Irrtum deinerseitig ist, hihi! Zum Glück, so kurz vor Ende des Jahres.
LG U.
Sehr gut sarkastisch hast Du's beschrieben.
Mein Lachen ist im Hals stecken geblieben.
(wann immer man alle Farben zusammen mischt, entsteht Grau, es ist sehr also sehr wohl ein Farbe, sozusagen die Farbe der Farben …)
LG Marie
Marie, hihi
und hihi gemeint,
ungrau gesignt!
Danke!
(Grau ist eine sogenannte unbunte Farbe. Also sowas wie ein unpolitischer Mensch. Gibt's an sich auch nicht. Egal. Wir haben andere Probleme. Lila. Zum Beispiel.)