Henry - Page 3

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von Alexander Zeram

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sofort Platz und legte ihren Sicherheitsgurt an. Auch Geoffrey schien jetzt ein wenig ernüchtert und so versuchte er, die beiden Schnallen des Gurtes ineinander zu schieben. Er war zu betrunken und mühte sich vergebens ab.

"Wart', ich helf' dir!", rief ich ihm zu, sprang auch schon aus meinem Sessel auf und war bei ihm. Hastig drückte ich die Schnallen ineinander, befahl ihm, sich nicht mehr zu rühren und wollte mich jetzt endlich selbst absichern.

Eben hatte ich meinen Sessel erreicht, da war es mir, als empfing ich einen brutalen Tritt in den Rücken. Ich machte einen Satz nach vorne und landete hart gegen die Türe des Cockpits. Mit schmerzender Schulter blieb ich auf dem Boden liegen und presste die Zähne aufeinander, um den stechenden Schmerz zu überwinden.

"Joseph ... warum landen sie nicht? - Irgendwo ... ist doch gleich!", schrie ich in meiner Verzweiflung - und bedachte gar nicht, ob der Pilot mich überhaupt hören konnte. Aber ich vermochte jetzt aus einem der Fenster erste Felsen zu erkennen, auch ein paar Baumwipfel schossen vorüber und ich war daher sicher, dass Joseph zur Landung ansetzte.

"Joseph?" Ich hielt die Luft an, denn dieses Tempo schien mir erschreckend hoch für eine Notlandung.

Der Lärm um uns herum war betäubend - ein anhaltendes Brausen, Krachen und tiefes Pfeifen ... plötzlich schlugen wir hart auf.

Im nächsten Moment gab es eine Rauchwolke, die mir die Sicht nahm und dann fühlte ich eine unbestimmbare Kraft, die mich durch die Türe ins Cockpit hineindrücken wollte. Das Flugzeug stellte sich auf und mir kam es vor, als rollte es einen Abhang hinunter. Ich bekam ein Bein des nächsten Sessels zu fassen und klammerte mich an diesen festgeschraubten Gegenstand. Trotzdem wirbelte mein ganzer Leib unkontrolliert herum. In der linken Wade verspürte ich einen grauenvollen Schmerz, auch im Nacken hatte mich wahrscheinlich etwas erwischt.

Mit einem Mal wurde es ruhig!

Ich blieb auf den flauschigen Teppich gepresst liegen und wartete einige Sekunden lang, denn ich fürchtete, dass dieser Höllentanz von Neuem beginnen würde. Als sich dann immer noch nichts regte, raffte ich mich ein wenig auf und wagte es, die Augen zu öffnen.

Als Erstes fiel mir ein meterbreiter Riss in der Decke auf, durch den dichte Rauchschwaden entwichen, die sich im Flugzeug angesammelt hatten. Erst jetzt konnte ich halbwegs sicher sein, dass wir 'gelandet' waren und ich erhob mich vollständig.

Mein Entsetzen über den Anblick, der sich mir bot, zwang mich fast wieder zu Boden.

Fassungslos starrte ich den enthaupteten Körper meines Bruders an. Eingequetscht in Trümmer des Wracks, in dem auch ich mich noch befand - über und über blutbesudelt ... von einem, wohl durch den Druck bei der Landung aufgesprungenen Teil der Verstrebung des Passagierraumes ... geköpft!

Ich wandte mich ab und trat blindlings einen Schritt zur Seite. Schon verlor ich den Boden unter den Füssen und stürzte ins Leere. Doch der Fall war zum Glück sehr kurz und ich schlug weniger hart auf felsigem Boden auf, als ich befürchtet hatte. Über mir ragte die zerfetzte Silhouette des Flugzeugwracks in den strahlend blauen Himmel ... die ganze Seite fehlte dem Rumpf und von den Tragflächen war auch nichts mehr zu sehen. Ein kurzer Gedanke daran, dass ich lebte, ließ mich aufatmen, aber dann sah ich nochmals meinen Bruder vor mir, erinnerte mich des erschütternden Anblicks seines zerquetschten und enthaupteten Körpers und meine nächste Sorge war jetzt Helen, der ich vielleicht noch helfen konnte. Sie saß zitternd und heulend noch immer in ihrem Sessel. Ich war sofort bei ihr, löste den Gurt und schleppte sie ins Freie. Wie ich sie trug, bemerkte ich ihre blutende Schulter, und als ich sie in einiger Entfernung von der Maschine auf den Boden legte, fasste ich versehentlich in blutendes Fleisch. Ihr rechter Oberschenkel sah schlimm aus. Jetzt musste ich Joseph finden - vielleicht lebte auch er noch. Doch meine Sorge erübrigte sich rasch, denn wie ich auf das Wrack zueilte, sah ich schon die Flammen aus dem zerrissenen Cockpit schlagen. Ich hielt einen Moment lang inne - und dieses Zögern rettete mir wohl für dieses Mal mein Leben. Ein Zischen und dann eine Stichflamme, die den vorderen Teil der Maschine wie ein Katapult vom Rumpf davon schleuderte.

Es blieb nur Helen!

2. Kapitel: E r l e b e n

Neben mir liegt Helen - den Blick zum Himmel gerichtet, die Brust krampfhaft hebend und senkend. Ihre linke Schulter ist zerquetscht, blutet stark und auch am Kopf sickert Blut durch die verklebten Haare. Ihr rechtes Bein ... es ist nur noch ein Stumpen davon übrig geblieben. Bei der Explosion des Wracks ist sie von einem durch die Luft geschleuderten Teil des zerberstenden Rumpfes der Maschine getroffen worden.

Meine Habe besteht aus Helens Handtasche, in der sich Kopf-, Zahn- und Halsschmerztabletten finden - ferner Schminkutensilien, ein seidenes Taschentuch, Pass, Führerschein, Kreditkarten, eine Brieftasche mit einigen weiteren persönlichen Papieren und etwas Papiergeld, ein Portemonnaie mit etwas Kleingeld und ein Schlüsselbund. In meiner 'Brusttasche habe ich nochmals ein kleines Taschentuch, außerdem einen Kugelschreiber, Füllfederhalter und einen ziemlich vollgeschriebenen Notizblock. Was sonst noch beim Abflug mein gewesen ist oder mir zur Verfügung gestanden hat, wird jetzt wohl in dem rauchenden Haufen Blech oder aus was immer diese Überreste des Flugzeuges bestehen mögen, liegen.

Ich habe weder einen Verbandskasten ... mein Hemd! - Ich muss es ablegen, zerreißen und Helens blutenden Beinstumpf damit verbinden! ... aber nein, das Hemd würde sich nur rasch vollsaugen und das Bein wäre somit nicht verbunden. Es hätte keinen Sinn!

"Henry ... ", höre ich Helens raue, gegen die Ohnmacht ankämpfende Stimme und ich streichle ihre Stirne. Was kann ich für sie tun? Ist es nicht grausam, dass ich sie nicht erlösen kann? Sie muss sterben -darüber besteht für mich kein Zweifel mehr. Wenn es nicht die Verletzungen an der zerquetschten Schulter sind, dann wird ihr der Blutverlust die Lebenskraft rauben.

Ich horche von Zeit zu Zeit auf die Geräusche um mich herum, aber bis auf das dumpfe Brodeln unendlicher Stille ist nichts zu vernehmen. Ab und zu kommt ein Knacken vom Wrack oder ein leises Zischen ... die letzten Todeszuckungen unseres Privatjets. Keine Hilfe naht!- Man weiß noch nicht,

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