Die Anmache

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Erstes Kapitel aus der Erzählung Tabu

„Dieser Mensch saß wortlos am Tisch. Wir Banker aus dem Westen interessierten uns nicht für ihn. Er war einer von vielen. Ich wollte den Deal machen, fertig. Wenn ich damals gewusst hätte, was einmal aus ihm werden würde ...“ Robert Rost hielt kurz inne. „Für ihn müssen wir Wesen aus einer anderen Welt gewesen sein. Bogatin besaß in der Perestrojka noch kein Imperium. Er hatte nur sich selbst, vielleicht Talent, das Gespür für den rechten Augenblick und ein paar nützliche Kontakte. Später heißt es dann: Er hat sein Schicksal in die Hände genommen, seine Zukunft verändert. Wie auch immer, die Sache kam in Gang, er riss sie an sich und hat seither die Zügel nicht mehr aus der Hand gegeben. Beunruhigt?“

     „Eigentlich nicht“, meinte Albrecht Spiser, an den Rost seine Worte gerichtet hatte, „Gewissheit werde ich haben, wenn ich ihm gegenübertrete.“ Spiser hatte Rost um eine Einführung bei Bogatin gebeten. Rost arbeitete seit mehr als zwanzig Jahren in Russland, er hatte mit Bogatin Erdölgeschäfte abgewickelt. Heute war Bogatin ein Oligarch und ließ keinen mehr an sich ran. Nur auf Rosts besonderes Ersuchen hin hatte Bogatin in ein Essen mit Spiser eingewilligt, in der nächsten Woche, vor Ort. Warum Rost das für Spiser tat? Wohl der alten Tage wegen im kleinen Dorf.

     „Du hast nur die eine Chance, Dich zu verkaufen.“ „Ich weiß“, antwortete Spiser. Bogatin wollte nichts von Spiser. Es war Spiser, der an Bogatins Vermögen ran wollte. Es lag an Spiser, eine Vertrauensbasis zu schaffen, worauf sich alles weitere entwickeln konnte - die ein paar Milliarden Dollar schwere Beziehung. Spiser kannte die Anmache nach allen Regeln der Schweizer Bankierskunst. Nicht ganz zu unrecht sagte man von den Schweizern, das Intimste in ihrem Leben sei das liebe Geld. Über alles würden sie sprechen, nur nicht über die eigenen Geldangelegenheiten. Das hieß aber nicht, dass sie nicht an Geld dachten, wenn sie von anderem sprachen.

     „Sprich einfach von dir“, sprach Rost die Stille hinein, „nicht von Euren Produkten, sprich über allgemeine Themen.“ „Ich weiß“, erwiderte Spiser wieder „ich weiß zum Beispiel, wo Bogatin seine Skiferien verbringt und ein Ferienhaus besitzt. Das hat der bankinterne Nachrichtendienst zu Tage gefördert. Wo seine finanziellen Problemzonen liegen könnten, das sagt mir mein persönliches Radar. Weißt du, ich möchte eigentlich gar nicht viel sprechen, sondern ihm zuhören, lernen, ihn zu verstehen.“

     „Spar dir die Romantik für später. Sei konkret, dann fängt er von selbst an, aus der Schule zu plaudern. Bieg' die Wahrheit wenn nötig ein bisschen zurecht, Du weißt schon. Du, ich muss auflegen. Dann also alles Gute. Melde Dich, wenn es vorbei ist.“ Rost beendete das Telefonat. Die Wahrheit zurechtbiegen. Warum nicht, solange man es glaubhaft verkaufen konnte? Solange es Profit brachte und Spaß machte. Nur nicht erwischen lassen, in bester christlicher Tradition, das elfte Gebot in harmonischer Übereinstimmung mit dem Aktionärsnutzen.

     War sich Spiser bewusst, wenn er Unwahrheiten von sich gab? Ja, Helene hatte er belogen, gestern Samstag beim Abendessen, bevor er die Nacht mit ihr verbrachte. Er hatte ihr versichert, sich von seiner Frau zu trennen. Wusste er es nicht besser? Zwar liebte Spiser seine Frau nicht mehr heiß und leidenschaftlich, so wie zu Beginn. Aber würde er sie deshalb verlassen? Mit Helene konnte ja das Gleiche passieren, sobald sich die Verliebtheit verflüchtigte. Allein der Glaube an die Liebe konnte ihm Gewissheit geben. Doch daran fehlte es ihm. Spiser hatte jeden Glauben verloren, am meisten und zuerst den Glauben an sich selbst.

     Spiser versuchte sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren. Bogatin war zur rechten Zeit am richtigen Ort gewesen. Als die Privatisierungswelle Russland traf, schlug Bogatin zu. Er erstand billig ein Stück Land hier, liquidierte dort eine Firma und übertrug die Lizenzrechte auf seine eigene Gesellschaft. Nicht mittels Kauf, sondern durch Aneignung. Danach verkaufte er teuer, mit Vorliebe an Ausländer. Er war schnell und bereit und konnte seine kleine Arche ins Trockene bringen. Spiser machte sich nichts vor. Dieser potentielle Kunde war weder Dummkopf noch Nobelpreisträger, weder Schwerverbrecher noch Chorknabe. Es ging um handfeste Interessen, um riesige Vermögenswerte, egal ob erarbeitet oder erschwindelt, die es abzusichern galt. Dafür brauchte er Leute wie Spiser, Verbindungen ins Ausland und das Schweizer Bankgeheimnis.

     Es war spät am Abend. Spiser hatte alle Reisearrangements getroffen für übermorgen. Doch zuvor hieß es, einer alten Bürgerpflicht nachzukommen. Er legte sich schlafen.

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