Völlig unvermittelt sprach mich da mein direkter Nachbar im Zoo an. Er trug einen weichen Filzhut mit breiter Krempe, Fedora genannt, und eine pechschwarze Maske mit grellgelbem Smiley darauf. „Wenn Sie nun also ein Kranich wären, werter Herr, wie würden Sie Ihren Tag zu gestalten suchen?“ Ein wenig verwirrt registrierte ich, dass wir dabei beide auf das Meerschweinchen-Gehege schauten.
„Sollte ich mein Leben als Kranich zu fristen haben, so gälte mein Hauptaugenmerk sicherlich dem Einsammeln von Würmern und Insekten aller Art, mein Herr.“
„Einen Kleinsäuger sicherlich nicht verschmähend, stimmt´s?“ „Auf gar keinen Fall!“
Dieser bizarre Smiley machte mich nervös. Unter der Maske tanzte der Mund dieses Herrn einen grotesken Tanz. Was wollte der Mann von mir? „Nun, wir sollten uns die Geparden ansehen, was meinen Sie, die Geparden?“ „Aber ich kenne Sie doch gar nicht, guter Mann...“ „Die Mitreisenden im Zug oder in der Straßenbahn kennen Sie doch auch nicht namentlich, richtig? Dennoch aber pflegen Sie unbekümmert mit all diesen Menschen zu reisen. Völlig unbefangen.“ Der perfekte Abstand von 1,50 m blieb gewahrt. Ich sah lediglich 2 Mütter, die eng bei ihren Kindern standen. Sonst aber wahrte jeder den Sicherheitsabstand hier im Städtischen Zoo. Auch alle hier gesichteten Angestellten trugen Maske. Tadelloses Verhalten.
Dieser Mann machte mich nervös. Zugegeben, schon immer hatte ich mit dem leicht verwegenen Gedanken gespielt, mir einen Fedora zuzulegen. Ich habe leider rein gar kein Hut-Gesicht. Mir stehen Beanies, möglicherweise auch ein Bandana oder so ein stylischer Morf, aber ein Hut? Und ich hatte vom Stetson bis hin zum Trachtenhut so gut wie alles auf dem Kopf, in hunderten von Hut-Läden. Nichts stand mir, da konnte das Verkaufspersonal noch so zahnend um mich bemüht sein, einen Hut-Kopf habe ich nun einmal nicht, noch weniger ein Hut-Gesicht.
„Also, was ist nun... Geparden?“ „Wenn wir wenigstens miteinander bekannt wären, mein Herr. Wenn ich doch nur wüsste, mit wem ich es hier zu tun habe...“ „Keinerlei Problematik. Ich darf mich vorstellen: Mein Name ist Engel. Ich arbeite in einem sehr großen Call-Center und bin dort für die Musikauswahl bezüglich der Warteschleifen-Tracks zuständig. Jeden Tag arbeite ich mit großer Sorgfalt dafür, dass sich unsere Anrufer sehr wohl fühlen. Sie können mich auch gerne beim Vornamen nennen, der ist nämlich Gard. Mich nennen alle Gard.“
„Gard? Ein etwas ungewöhnlicher Männervorname. Habe ich bis dato noch niemals gehört. Also gut, dann Gard. Ich heiße Benjamin, werde aber Ben gerufen.“ „Schön, bester Ben, dann wollen wir uns doch einmal den Geparden zuwenden.“ Wirklich keine Ahnung, warum er ausgerechnet dorthin wollte. Dazu mussten wir den Zoo beinahe komplett durchqueren, denn wir standen fast am Eingang, bei den vielen Meerschweinchen. Doch ging ich mit. Warum auch nicht? Gard wollte mir die sicher sehr interessanten Geparden zeigen. Vielleicht war er ja ein Fachmann für diese Raubkatzen. Dann würde er mir einiges zu erzählen wissen. Daher ging ich, guter Dinge, mit ihm. Er schritt rasch aus. Unterwegs kamen wir ins Plaudern.
Wir sprachen über die Palingenese, die Reinkarnation. Gard war vollkommen davon überzeugt, dass sich die Seele nach dem Tod, den er Exkarnation nannte, in anderen empfindenden Wesen manifestiert. Je nach Karma könne das Fortbestehen als Käfer oder Wüstenrennmaus durchaus sinnvoll sein, um einen Kreis zu schließen, vielleicht auch eine weitere wertvolle Lektion erteilt zu bekommen. So kann man wieder und wieder geboren werden – bis zur endgültigen Erlösung (Moksha) durch das Aufgehen in der Weltseele (Brahman). Bis dahin könne man durchaus, bei miserabler Leistung in Sachen Karma zeit eines wiederholten Lebens hundertfach wiedergeboren werden und müsse so den immer gleichen Kreis erneut durchlaufen, sehr zum Verdruss des Schöpfers. Ich verstand Gard so, dass ein höherer Level nur selten bei Reinkarnation erreicht wird. Der Mensch begeht die immer gleichen Fehler, in beständiger Abfolge, stets aufs Neue, obschon die unbewusste Ebene ohne Ende Warnungen aussendet.
„Ein Kranich-Leben ist dann wohl eher als etwas höherwertig einzustufen?“ frug ich, an den Erstkontakt zu Herrn Engel denkend. „Aber ja, ein Kranich? Das hat schon was, ohne Zweifel. Aber denken Sie nicht, lieber Ben, dass eine Ameise ein völlig unwertes Leben führt. Selbst ein Schwein fordert Respekt ein. Bei Ihnen, tja, guter Mann, bei Ihnen allerdings...“ Er sprach nicht weiter, sah mich nur bedeutungsvoll an. „Was ist mit mir? Was?“ „Sie haben im nächsten Leben ein Geparden-Dasein vor sich, fast 17 Jahre lang, in freier Wildbahn allerdings, nicht in einem Zoo. Daher wollte ich Ihnen diese Raubkatzen zeigen. Sie sollten sich daran gewöhnen. Die schon bald nach Ihrem Ableben beginnende Phase wird Sie nach Afrika führen. Genau dort werden Sie Antilopen und Gazellen jagen. Ein aufregendes Leben im Jagdverbund, immer auf der Hut vor Wilderern und Jagdgesellschaften. Sie sind allerdings vom Glück begünstigt. Als fast 17jähriger Greis sterben Sie einen sehr friedvollen Tod...“ „Als Gepard.“ „Richtig, als Gepard. Meines Wissens ist hernach noch nichts weiter für Sie geplant worden.“
Ich sah Herrn Engel entgeistert an. „Und woher wissen Sie all das?“ „Nun, wenn Sie 1 und 1 zusammengezählt hätten, wüssten Sie längst, wer ich wirklich bin. Ein Gard Engel stellt sich bei Ihnen vor. Und Sie argwöhnen nicht einmal am Rande, dass es sich dabei um Ihren höchstpersönlichen Schutzengel handeln könnte? Nein?“ „Das wäre mir nicht im Traum eingefallen, lieber Gard. Schutzengel stellen sich in der Regel nicht bei uns Menschen vor.“
„Das ist richtig. Ich habe eine Ausnahmegenehmigung erhalten. In Ihrem Fall sollte die direkte Warnung, mitten hinein ins gelebte Leben, durchaus Sinn ergeben. Ihr Konto, tja, Sie wissen schon, das Karma-Konto, ist nahezu ausgeglichen. Bis zum bereits erwähnten Geparden ist alles geplant und wird auch so stattfinden. Aber die Zeit danach ist völlig offen. Es kommt auf Sie an. Auf Sie ganz persönlich. Meinem Boss missfällt die Aussicht, Sie nach den fast 17 Jahren als Gepard als Mikrobe im Methusalem-Zellen-Status Jahrmillionen überdauern sehen zu müssen, in Bernstein eingeschlossen. Sie schalten Ihren Stoffwechsel zwar auf Sparflamme, führen aber kontinuierlich Reparaturen an Ihrer DNA durch. Mehr Aktivität ist nicht zu erwarten.“
Das beunruhigte mich in nicht unerheblichem Maße. „Als Mi-Mi-Mikrobe soll ich mein Leben fristen? Gleich nach dem Geparden? Das ist doch ungerecht!“ „Ja eben, daher soll ich Sie ja auch zum Gegensteuern in diesem Leben bewegen. Fastfood, Alkohol, der Gang zu den Prostituierten, Glücksspiele, Müßiggang und all die vielen Flüche den ganzen Tag über, mein Chef meinte: Wenn der Typ nicht gegensteuert, kann er gern als Mikrobe leben, über viele Jahrmillionen. Lass dich bei ihm blicken (und das meinte der Boss wortwörtlich, denn in der Regel sind wir unsichtbar) und sprich ihn darauf an. Er soll die Kurve kriegen... Sonst...“ Gard ließ den Satz offen. Ich wusste aber Bescheid: Sonst darf ich als Mikrobe im Bernstein versauern, träge an meiner DNA arbeiten und sanfte Stoffwechselaktivität einleiten. Ich werde winzige Mengen Kohlendioxid produzieren und den Tag, äußerst inaktiv, verstreichen lassen. Viele Millionen Jahre lang. Wollte ich das? Nein, das wollte ich auf gar keinen Fall. „Mein lieber Schutzengel Gard“, sprach ich keck. „Gern möchte ich mein Leben wieder auf die Reihe bekommen. Und zwar dergestalt, dass Ihr Big Boss zufrieden ist. Meiner Treu, ich werde auf Teufel komm raus gut und brav sein, ich werde....“
Doch da wurde ich unterbrochen. Zwei Weißkittel nahten mit raschen Schritten und griffen sich Gard Engel. „Haben wir dich endlich, Bürschlein“, raunzte der eine, und legte meinem Schutzengel eine Zwangsjacke an, führte ihn ab. Ihn, der strampelnd und wild um sich tretend über die Schulter rief: „Gehen Sie in sich, Benjamin, gehen Sie in sich. Ändern Sie Ihr Leben... Sie enden sonst als Einzeller! Höööören Sieeee!“
Ich stand vor der Geparden-Anlage. Der immer leiser werdende Gard Engel wurde gerade abgeführt, und ich fand mich wieder in meinem belang- und trostlosen, erbärmlichen Leben, das so rein gar nichts an Höhepunkten oder kleinen Wundern barg. Ach, die Geparden, sie sahen deprimiert aus, lustlos. Ich würde mir einen Burger holen und dann auf die Pferderennbahn gehen. Vielleicht, wer weiß, hatte ich ja heute endlich einmal Glück. Ich rief dem offensichtlichen Boss der Truppe noch zu: „Mach´s gut, wir sehen uns dann...“ und schritt hoffnungsfroh dem Ausgang zu. Der Gepard würdigte mich nicht einmal eines Blickes. Drauf gepfiffen. In Afrika dürfte es dann weniger träge Gesellen geben.
Kommentare
'nen SCHMUTZ-Engel hätt ich im Hause -
Ich glaube, der heißt Bertha ...
LG Axel
Spannend geschrieben, mit Spannung gelesen!
Liebe noé,
vielen Dank, leider verspätet, für Deine nette Nachricht.
Ein frohes neues Jahr wünsche ich Dir! Du kannst dem
Autor manch schönen Tag bescheren, wenn sonst nix
weiter im Backofen duftet.
Gruß von Garfield
Hallo Garfield, hast du deinen Rück-Kommentar "kupiert"? Warum? Der eine Teil mit dem "Sarkasmus" in manchen meiner Texte fehlt mir direkt (grins). Und meine Texte scheinst du ja ziemlich zu studieren, wenn du sogar bis 2016 zurückgehst ("Olf"), wie kann man nur so schmeicheln ... tsss,tsss,tsss (nochmal grins). ((Hätt's es ja aber auch "Liken" können ...))
Irgendwo ehrt mich das ja auch, vielen Dank dafür und auch dir ein möglichst freudvolles Neues Jahr (und deinen Alter-Egos ebenso)!!!
Die Lektüre hat mir Freude bereitet. Vielen Dank dafür.
Gruß von Gherkin (Alles Gute im Neuen Jahr!)