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Angriff in der Stimme, völlig leer, ohne eine Emotion.
„Bist du nicht zur Arbeit gegangen?“
„Nein, das Büro braucht mich nicht.“
„Bei der Schule war auch niemand.“
Ich stand wieder auf und räumte die Einkäufe ein. Danach ging ich nochmal zur Tür, schloss zweimal ab und ließ den Schlüssel stecken. Ich setzte mich vor den Fernseher, um die Nachrichten zu schauen. Weltweit Ausschreitungen, Bilder von Zerstörung. Wie lange würden sie noch Nachrichten senden? Eine Woche? Zwei? Ich schaltete schnell wieder aus und zog mir meine Schuhe an.
„Wohin willst du schon wieder?“, fragte Linda aus dem Schlafzimmer.
„Zigaretten.“
„Kannst du nicht hierbleiben?“
„Nein.“ Einen Moment wartete ich und sagte dann: „Ich komm gleich wieder.“
Ich schloss auf, schritt hinaus, zog die Tür zu und schloss wieder ab. Auf dem Gang war nichts los. Ich horchte, kein Geräusch. Die Pistole hatte ich noch immer mit. Ich war mir unsicher, ob ich es Linda sagen sollte. Es war ja nicht mal für mich real.
Ich ging zum Fahrstuhl und fuhr herunter. Wie lange würde es noch Strom geben? Vielleicht täuschte ich mich und die Gesellschaft würde bis zum Ende bestehen. Bald hatte sich alles erholt und die Kinder gingen wieder zur Schule, die Eltern zur Arbeit, die jungen Männer und Frauen in ihre Ausbildungen, zu den Universitäten, wir gingen normal einkaufen und sahen dem Ende entgegen und alles blieb so, wie es sein sollte, einfach nur, weil es schon immer so war und bis zum Ende so sein sollte. Eine kleine Irritation und dann irgendwann nichts mehr.
Auf der Straße sah ich Leute umherstreifen; es war viel Betrieb, Autos fuhren, Menschen liefen herum – die Zeit nutzen, wofür auch immer. Ich bog einmal ab und wollte an den nächsten Zigarettenautomat, zu dem ich auch schon gegangen war, als ich früher geraucht hatte, aber diesen hatte irgendwer abgerissen und ausgeräumt. Mein Großvater hatte einmal erzählt, dass dessen Vater, nachdem der Krieg vorbei gewesen war, immer noch Zigaretten gehortet hatte, obwohl er selbst nicht geraucht hatte – Währung in Tagen der Not.
Der nächste Zigarettenautomat war noch intakt und nahm sogar meine Karte an. Ich kaufte Schachtel um Schachtel und stopfte sie in jede Tasche, die ich am Körper hatte.
„He!“, sagte jemand hinter mir etwas lauter. Ich dachte nicht nach, ließ die Schachtel fallen, die ich gerade in der Hand hielt, zog meine Pistole und drehte mich um. Der Jugendliche riss die Augen auf, als er die Pistole sah und stolperte ein paar Schritte zurück. „Sorry, ich ...“ Dann rannte er davon und ich wandte mich wieder dem Automaten zu. So zu handeln, fühlte sich natürlich an, aber irgendwie … das sollte es nicht sein. Ich zitterte nicht und ganz hinten in meinem Kopf machte mir genau das Angst.
Langsam machte ich mich auf den Rückweg zum Plattenbau; ich fühlte mich unverwundbar, es konnte mir nichts mehr passieren. In meinem Augenwinkel schien sich immer wieder etwas zu bewegen und mehr als einmal richtete ich meine Waffe ins Nichts. Ich überlegte, ob ich morgen wieder zur Schule fahren sollte, öffnete die Tür des Hochhauses und stieg die Treppe in den ersten Stock nach oben. Niemand war da, hier und da liefen Fernseher, hinter einer Tür wurde anscheinend gekocht. Irgendwie war alles wie immer, anonym, überschaubar. Ich schloss die Wohnungstür auf und trat ein.
„Ich bin zurück“, sagte ich und hörte wie Linda aus dem Bett aufstand und zu mir kam. Ich schloss gerade die Tür hinter mir, als sie aufschrie. Blitzschnell drehte ich mich um.
„Was ist los?“, fragte ich.
„Warum hast du einen Revolver?“ Verwirrt sah ich zu meiner Hand, in der immer noch meine Pistole lag.
„Eine Pistole, kein Revolver.“
Sie schaute mich entgeistert an.
„Ich war vorhin im Kaufhaus, nachdem ich bei der Schule war und es gab eine Schießerei. Ich …“ Wie war das alles abgelaufen? Ich hatte keine richtige Erinnerung mehr.
„Gib ihn mir, wir schmeißen ihn weg.“
„Nein!“, sagte ich und sah an ihrem Gesicht, dass ich sehr laut gesprochen hatte.
„Was hast du damit vor?“, flüsterte sie.
„Ich werde uns beschützen. Jetzt ist alles in Ordnung.“
Ich schritt auf sie zu und umarmte sie. Es dauerte einige Momente, aber dann entspannte sie sich. „Ich hab Angst, Michael.“
„Ich auch“, log ich. Es war nicht mehr viel Zeit, aber wir waren sicher. Uns konnte nichts mehr passieren.
2
Wir hatten uns hingelegt und gefickt und irgendwann war die Nacht vorbei. Ich ging die nächsten Tage nicht los, verließ gar nicht erst das Haus. Linda lag die meiste Zeit im Bett und ich kümmerte mich um den Haushalt oder las etwas. Ich wollte von da draußen nichts wissen. Erst am Sonntag stellte ich wieder den Wecker. Vielleicht hatte sich alles über das Wochenende erholt. Mechanisch stand ich auf, machte mir einen Kaffee und fuhr los. Auf den Straßen war viel los, Leute fuhren mit vollgepackten Wagen durch die Gegend – gab es irgendeinen Ort, der noch sicher war? Ein Evakuierungsprogramm? Auf dem Beifahrersitz lag die Pistole und wartete. Als ich auf das Schulgelände bog, war immer noch niemand da. Ich hielt auf dem Parkplatz, nahm die Waffe und ging zu der Vordertür, so wie ich es auch am Tag zuvor gemacht hatte. Abgeschlossen, immer noch. Mit ein paar gezielten Schlägen mit dem Griff auf das Glas der Tür, verschaffte ich mir Zutritt und steuerte auf den Süßigkeitenautomaten zu. Zwei Schlägen später war auch diese Scheibe zerbrochen. Jedes bisschen Essen würde uns Zeit verschaffen. Dreimal ging ich rein und raus, jedes Mal vollgepackt mit Süßigkeiten, Chips und Getränkedosen und warf alles in den Kofferraum. Im Lehrerzimmer fand ich auch noch ein paar Reste, die Kollegen hiergelassen hatten; angefangene Süßigkeitenpackungen, eine Packung Kekse und etwas Zwieback. Es war seltsam, durch die Flure zu gehen und zu wissen, dass dieser Besuch wahrscheinlich der letzte sein würde. Als ich alles verstaut hatte, ging ich nochmal zurück in die Klassenzimmer, in denen ich ein Jahr unterrichtet hatte. Ein paar Jahre Studium, ein elendiges Referendariat. Nichts hat einen Wert, wenn die Gesellschaft nicht mehr existiert.
Es machte mich nicht traurig hier zu sein, es war irritierend bedeutungslos. Alle Eltern und Lehrer hatten kollektiv entschieden: Hier muss niemand wieder hin.
Ich fuhr zurück. Viel Verkehr. Entfernt