Es war zur Winterzeit, als die neuen Mitarbeiter in die Abteilung kamen. Wir sind hier in einem Großraumbüro, insgesamt 20 Leute. Richtig klischeehaft wie man sich das eben vorstellt, mit einem Nebenraum um sich Kaffee in rauen Mengen zu kippen und alles weitere. Und ja, wir müssen auch Zettel mit unseren Namen auf das mitgebrachte Essen im Kühlschrank kleben, und nein, niemand hält sich dran.
Es waren insgesamt drei neue Kollegen, weil im selben Jahr drei in Rente gegangen waren. Kunigunde, Dieter und Lena.
Die neuen drei waren Markus, ein stämmiger Mann, der sich in der Raucherpause immer direkt drei Kippen reinzog, Melanie, die häufiger Donuts oder Muffins mitbrachte, wodurch sie schnell bei allen beliebt wurde und Rüdiger, ein stiller, untersetzter Typ, der sich immer ein bisschen zu sehr rausputzte, aber auch nett zu sein schien.
Es gibt bei uns regelrechte Rituale mit denen die neuen in die Mitte aufgenommen werden. Man gibt ihnen etwas extra Arbeit, isst von ihrem Essen, verstellt Sachen auf ihrem Schreibtisch, benutzt ihren Mülleimer statt den eigenen und lässt ab und zu den ein oder anderen Spruch los. So läuft]das halt. Ist ja nichts schlimmes, da musste schließlich jeder von uns durch und ganz ehrlich, bisher hatte es keinem geschadet.
Es war gerade der 12.12.2014, als wir schon anfingen etwas von der Weihnachtsdekoration im Büro aufzuhängen, so wie jedes Jahr. Immer derselbe alte Schmuck.
Rüdiger hatte eigenen Schmuck von zu Hause mitgebracht, filigrane Figuren, geschnitzt mit äußerster Präzision. Sie machten sich wirklich gut und ließen die Weihnachtskugeln, mit ihrer allmählich abblätternden Farbe blass und hässlich erscheinen. Das ging so weit, dass man die ganzen Weihnachtskugeln kurzerhand komplett abhängte, einfach nur damit diese kleinen, bemalten Figuren stattdessen dort hängen konnten.
Ich fragte ihn wo er diese Figuren gekauft habe. „Ich mache sie selbst“, sagte er mit einem kleinen Grinsen. „Wie lang brauchst du dafür im Schnitt?“ „Mit Vorbereitung, so drei oder vier Stunden – allerdings mache ich ja dann direkt mehrere am Stück hintereinander, sich reinzufinden kostet immer etwas Zeit.“
Kurz vor der Mittagspause fiel mir auf, dass ich kein Geld hatte, um mir in der Kantine irgendetwas zu holen und da ich keine Lust hatte mir von irgendwem Geld zu leihen, ging ich zum Schreibtisch von Rüdiger und griff mir seine Lunchbox. Er war gerade weg, wohl auf Toilette oder so, dass ich sie unbemerkt aufmachte und gierig in ein Sandwich biss. Das Sandwich war ziemlich gut, mit unglaublich zartem Fleisch. Dazu gab es Trauben und noch ein paar Nüsse, die auch wunderbar waren.
Er kam von der Toilette zurück und sah mich überrascht an, dass ich sein Essen verzehrte, aber war nicht wütend oder ähnliches. „Was ist das? Machst du dir jeden Morgen so aufwendiges Essen für die Arbeit?“
„Ja, wenn ich genug Zeit habe. Das sind Walnüsse aus der Umgebung, Trauben aus Spanien, Toast mit Bauchfleisch, das ist ja bekanntermaßen das Beste, und etwas Soße, wirklich nichts Besonderes“ „Es ist köstlich.“ „Gute Zutaten machen viel aus. Kannst du bitte aufhören mein Essen zu essen?“ „Neu ist neu“, sagte ich und lächelte verschmitzt und er nickte, verstand, dass ich es nicht böse meinte, sondern es einfach zu den Regeln gehörte. Am nächsten Tag sollte es mit den anderen Abteilungen Kaffee und Kuchen geben und es würden sicher 60 Leute anwesend sein. Es war der letzte Tag vor dem Weihnachtsurlaub. An diesem Tag veranstaltete die Firma jedes Jahr eine kleine Feier unten in der großen Halle. Bei Kaffee und Kuchen unterhielten sich die Leute und es gab einiges an Gesprächsstoff.
Irgendwann leerte sich der Kaffee und es wurde gefragt, ob jemand die Kaffeepulverbox aus der Abteilung holen könnte. Rüdiger meldete sich und ich meinte, dass ich mitgehen würde, da ich sowieso noch auf Toilette musste.
Wir stiegen die Treppen nach oben und redeten über nichts Spezielles. Ich fragte ihn, ob er sich langsam eingearbeitet hatte, solche Sachen eben.
Ich ging dann etwas schneller los, denn ich musste dringend zur Toilette, während er gemächlich in die Küche schritt.
Nachdem das erledigt war, ging ich hinüber zur Küche und sah wie er sich nach dem Kaffeepulver streckte. Wie gesagt, er war nicht der größte. Doch dann fiel mir etwas auf. Sein Hemd war etwas verrutscht und man konnte einen Teil seines Bauches erkennen an dem grobe Stiche zu sehen waren und teilweise Stücke herausgeschnitten schienen – es wirkte seltsam formlos, als würden Knochen an den Stellen ebenfalls fehlen. Ich sah ihn ungläubig an, fragte, was ihm denn passiert sei.
Er lächelte mir zu und sagte: „Ich sagte doch, das Fleisch vom Bauch ist das Beste.“
Kollegenschwein
von Daniel G. Spieker
Prosa in Kategorie:
Thema / Klassifikation:
Video:
Hörbuchversion von Kollegenschwein
Noch mehr von der Persönlichkeit → Daniel G. Spieker