16. Schritt
Der Wahnsinn spricht mich an und ich sage zu ihm: „Du bist aber nicht sehr ansprechend! Was willst du denn von mir?“ Er aber meint nur: „ich habe gehört, daß du nach mir suchst – hier bin ich!“
„Wo?“ frage ich.
„Du hast mich gesehen“, antwortet er, „gestern in der Glotze!“ Hattest du nicht das Gefühl, daß mit den Nachrichten etwas nicht gestimmt hat?“
„Doch, alles“, sage ich wahrheitsgemäß.
„Das ist doch der Wahnsinn!“ meint der Wahnsinn.
„Genau, aber was soll ich jetzt unternehmen?“ entgegne ich ihm verstört, ich bin schwach, ich kann nicht viel machen. Ich bin einfach nicht raffiniert genug, und ist Übermacht ist enorm!“
„Das ist doch der Wahnsinn!“ wiederholt der Wahnsinn und ich fühle mich veranlasst zu fragen: „Was ist Wahnsinn? Daß etwas nicht gestimmt hat, oder, daß ich nicht viel machen kann, weil ich es einfach nicht drauf habe?“
Die Antwort ist verblüffend: „Daß du dir darüber Gedanken machst, das ist der Wahnsinn!“
Ich rotiere innerlich: „Aber, das macht mich noch ganz verrückt, dieses unselige Treiben, dieser Missbrauch der Seelen! Das ist der Wahnsinn!“
Das ist der Wahnsinn!“ echot der Wahnsinn.
„Ja, es ist der Wahnsinn, daß die Übermacht der Unsinnigkeiten so groß ist!“ schreie ich!
„Nein, es ist der Wahnsinn, daß du das erkennst!“ urteilt der Wahnsinn.
Gleich werde ich wahnsinnig: „Der Wahnsinn liegt also im Erkennen und nicht im Missbrauch?!“
„Genau! So ist das Leben – es war schon immer der Wahnsinn - wenn du jedoch nicht mehr an diesem Wahnsinn beteiligt bist, weil du ihn als solchen erkannt hast, dann bist du wahnsinnig geworden!“
„Das ist doch der Wahnsinn!“
„Lass dir lieber mal von den Wahnsinnigen erklären“, führt der Wahnsinn aus, „was kein Wahnsinn ist, keiner sein darf, weil der Wahnsinn sonst nicht mehr funktioniert…dann wirst du einsehen, daß du schon längst selber wahnsinnig geworden bist“.
„Du machst mich wahnsinnig!“
Der Wahnsinn bleibt jedoch unbeirrbar: „Wen ich nicht anspreche, wer mich nicht ansprechend findet und sich deshalb aus allem Wahnsinn vornehm raushält, der lädt die gesamte Verantwortung der Welt – die eigentlich nur Wahnsinnige tragen können – auf seine eigenen, schwachen Schultern. Es ist wahnsinnig dies (er)tragen zu wollen!“
Ich bin verzweifelt! „Soll ich denn lieber den Wahnsinn noch unterstützen, indem ich mich, mit allem was er anrichtet identifiziere? Das ist doch der Wahnsinn!“
„Ich bin die Wahrheit und das Leben!“ belehrt mich der Wahnsinn.
Und ich füge, stur wie ich bin, hinzu: Und ich werde wahnsinnig, während ich verfolge, was der Wahnsinn mit allem um mich herum anstellt. Er bezieht ein, er bildet aus, er gibt mir zu denken und er beschleunigt, bei allen Wahnsinnigen das Vergessen, außer bei mir, der ich doch angeblich der Wahnsinnigste unter den Wahnsinnigen bin. Er lenkt die Weltgeschichte und er verführt uns, von Wahnsinn zu Wahnsinn zu eilen, nur um ein Ergebnis zu erreichen, das kein Vernünftiger voraussehen möchte. Und wenn er es doch tut, dann wird er von Wahnsinnigen für verrückt erklärt. Das ist doch der Wahnsinn!“
Mein Redeschwall verhallt scheppernd in der Luft. Ich komme mir irgendwie komisch vor! Doch da passiert etwas Überraschendes: „Bleib wie du bist!“ schärft mir der Wahnsinn ein, „Dann erfüllst du schon, ganz automatisch, dein Soll! Dabei muss es dir völlig egal sein, was herauskommt. Alles wird wahnsinnig gut!“
Als ich das höre drängt es mich, etwas Betäubendes zu mir zu nehmen…Alkohol, Marihuana, Sex, eine Religion, die Hoffnung auf eine verrückte Wissenschaft – die Gentechnik zum Beispiel – einfach was ich gerade kriegen kann.
Im Abschlaffen vernehme ich noch wie sich meine beiden inneren Konfliktparteien (das Gewissen und die Vernunft) gegenseitig anschreien: „Das ist doch der Wahnsinn!“
©Alf Glocker