160. Schritt
Weil ich unkontrollierbar bin und seltsam veranlagt, ist es mir geradezu ein Bedürfnis eine ganz bestimmte Sache zu erforschen: die leidenschaftliche Hingabe an die Verworfenheit! Ich denke, wir gehen das am besten gemeinsam an.
Was brauchen wir dafür? Ich plädiere zuerst einmal für einen Glauben, sonst wissen wir ja gar nicht was schlecht ist! Aufmerksam sollten wir die Regeln unserer neuen Gemeinschaft studieren, die sauber ist. Dann wird es Zeit für das Beten!
Nach der Reinigung gehen wir ans Werk. Wir richten den Blick gen Himmel und öffnen unsere Ohren für das Wort! Gesprochen von extra Auserwählten dringt es durch unsere Ohren ein, wäscht das Gehirn und setzt sich schließlich tief in der Seele fest.
Wir beginnen Wiederholungen aufzusagen. Tun wir so, als wüssten wir zu keinem Zeitpunkt was wir eigentlich wollten – dies dürfen wir aber nicht mit einer beginnenden Alzheimer-Krankheit verwechseln, obwohl die Symptome manchmal täuschend ähnlich sind. Denn auf diese Weise erlangen wir die Absolution.
Sollten wir jetzt einmal gemeinsam in den Spiegel schauen, dann werden wir Erfreuliches feststellen: wir werden uns immer ähnlicher! Unsere Gesichtsausdrücke strahlen derart viel Ehrlichkeit nach außen ab, daß wir sie uns selbst schon beinahe nicht mehr abnehmen können.
Irgendwie sehen wir auch leicht angegriffen aus – ein wenig debil. Und ja, da ist noch etwas: Ein Hauch von Verworfenheit hat sich in unserer Physiognomie eingeprägt. Das werden wir, Gott sei Dank, nicht bemerken, wenn uns unsere Übungen alle wirklich gelungen sind. Wenn nicht, dann registrieren wir Schreckliches!
In uns hat sich eine 2. Persönlichkeit etabliert, die wir sofort als „teuflisch“ zu bezeichnen haben, so wir den „Rechten Weg“ nicht verlassen möchten. Jetzt könnten wir beispielsweise anfangen uns zu geiseln! Durch Selbstkasteiung und Kontemplation in alternierender Folge ist diese Anfechtung sicherlich auszutreiben
Wenn nicht, dann können wir uns immer noch selig verbrennen lassen. Die einfachere Methode – sehr zu empfehlen für den naiven Durchschnitt – ist aber das Beichten. Dadurch waschen wir uns immer wieder und immer wieder lupenrein. Das ist doch ein Vorteil!
Der nächste, nicht zu verachtende Vorteil liegt darin, daß wir etwas in uns nicht mehr völlig verleugnen müssen: die leidenschaftliche Hingabe! Ob das nun Verworfenheit an sich bedeutet ist völlig egal! Wir sind wieder handlungsfrei! Wir dürfen den in uns wohnenden Trieben frönen wann immer wir wollen. Nur das Beten dürfen wir halt nicht vergessen!
Bald werden wir sogar feststellen, daß wir weit mehr dürfen als einer, der nur seinen natürlichen Antrieben folgt. Die Kraft in uns, die wir beim „Gutwerden“ angestaut haben, bricht mit einer solchen Gewalt aus uns heraus, daß wir uns viel verzeihen müssten – wären wir nicht geborgen im Schutz unseres Glaubens.
Der Dämon unverbrüchlicher Heiligkeit zeigt uns nunmehr ganz bewusst die Abgründe des Lebens auf, damit wir – ihrer ansichtig geworden – wachsen, an uns selbst und empfangen können, die Segnungen der Erleuchtung, was immer wir tun.
Wenn wir jetzt herzlich lachen müssen, haben wir etwas gelernt, bei unserem Ausflug ins Reich der leidenschaftlichen Hingabe an die Verworfenheit. Uns könnte dann immerhin klar geworden sein, daß die leidenschaftliche Hingabe gar nicht gänzlich verworfen sein muss, solange niemand ernstlich zu Schaden kommt.
Ein „vernünftiges“ Haushalten mit der angeborenen Unvernunft, so werden wir wahrscheinlich dann denken, ist besser als die Unterdrückung natürlicher Impulse, zugunsten eines Heiligenscheins, der sich unheimlich schwer tragen lässt – zumindest nicht ohne Gesichtsverlust!
Wieder erkennen werden wir somit im Spiegel: seltsame Veranlagungen, die den Rahmen menschlicher Logik mit einer Leichtigkeit sprengen, die uns andauernd zum Staunen bringt. Doch dies ist das unverborgene Sein, ohne die Schizophrenie etwas darstellen zu wollen, was wir nicht sind!
Kommentare
Ein wenig debil - ein bisschen senil:
Das Ganze nennt sich dann "zivil"...
LG Axel
genau!
LG Alf