Der Hunger ist keine Tante - Teil 1

Bild von Lena Kelm
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Meist holen mich Erinnerungen an einem besonderen Tag ein. Vielleicht ist es die unerträgliche Hitze und hohe Luftfeuchtigkeit in Berlin, die mich an die trockene Hitze Kasachstans, meine ehemalige Heimat, denken lässt. Ich erinnere mich an einen außergewöhnlichen Ausflug.

Ein glühend heißer Sommertag in der kasachischen Steppe. Den letzten Grashalm versengt die Sonne, die Erde ist gelbbraun und die Luft trocken, man kann frei atmen und bis zum Horizont schauen, in jede Himmelsrichtung über das flache Land, über das der Wind ungehindert fegt. Viel Staub atmen wir ein, oben auf dem alten russischen Lastwagen aus den 50er Jahren. Wind wirbelt Staub vermischt mit Steinchen auf.

Wir, das frischvermählte Paar, mein älterer Bruder Willi, meine Schwägerin Lisa und mein Neffe Wowa (russischer Rufname von Waldemar). Ich habe vor, meinem Mann meine Heimat zu zeigen. Er ist in Sibirien geboren und aufgewachsen, kennt die Steppe nur aus dem Geografie-Unterricht. In der sibirischen Stadt lernten wir uns als Studenten kennen. Im Juli 1969, vor ein paar Wochen, haben wir geheiratet. Es sind unsere Flitterwochen. Für weite Reisen fehlt uns beiden das Geld. Mein Mann Anatoli freut sich auf das Abenteuer. Er ahnt nichts. Und das ist gut so. Noch befinden wir uns auf dem Weg auf diesem alten Lastwagen.

Lisa hat vorsorglich ein Tuch um ihre blonden Haare gebunden. Bald schon legt sich eine Staubschicht über die blonden Haare meines Mannes, Wowas schwarzer Haarschopf und meine braunen Haare dagegen sind grau vor Staub, auch unsere Gesichter und Ohren, doch das macht uns nichts aus. Wir sitzen uns gegenüber auf Holzbänken, lachen viel und hüpfen bei jedem Schlagloch hoch. Wir versuchen uns festzuhalten, doch auf der unebenen Landstraße stuckerte und ruckelte es. Der dreizehnjährige Wowa amüsiert sich köstlich. Manchmal haben wir das Gefühl zu fliegen, in einer kleinen Propellermaschine rücksichtslos der Luftströmung ausgesetzt zu sein. Vom Lastwagen aus haben wir eine wunderbar weite Sicht. Nichts bewegt sich außer uns. Die endlose Landstraße, blauer Himmel und brennende Sonne.

- Fortsetzung folgt -

Interne Verweise

Kommentare

20. Mai 2021

Da bleibt der Leser gern dabei -
Er wartet schon - auf Folge 2!

LG Axel

22. Mai 2021

Das freut mich, danke!
Lieben Gruß, Lena