Der lockere Abend

Bild zeigt Alf Glocker
von Alf Glocker

Heute haben wir Gäste. Ganz einfache, ehrlich arbeitende Leute, die man nicht weiter belasten darf, weil sie es nicht verdient haben, sich neben dem Job auch noch andere Sorgen machen zu müssen! Gewöhnliches Wahlvolk also – brav und angepasst. Man ist gekommen um sich zu entspannen, sich in unkomplizierten Gesprächen einfach frei zu unterhalten.

Es werden Weißwurst, Brezeln und verschiedene Käsesorten gereicht… Die Gesprächsthemen müssen – so habe ich in einigen vorherigen Treffen erfahren – vorsichtig gewählt und dürfen quasi nur in wohlsortierten Häppchen gereicht werden. Alles was mit Sex (inklusive sexueller Orientierung) zu tun hat, oder mit Politik ist absolut tabu! In diesen Bereichen habe ich handfeste Ressentiments und möchte daher, zwecks eigenem Seelenfrieden, logisch bestätigt werden. Das ist hochgradig egoistisch, wie ich mittlerweile weiß!

Vor meinen unvorsichtigen Äußerungen muss ich mich sehr in Acht nehmen, denn ich passe meist nicht darauf auf, wie ein Mensch veranlagt, respektive ausgerichtet ist. Und die anwesenden Personen sind eng an den Mainstream der allerbreitesten Massen angepasst. Zu ihnen sollte ich folglich nichts sagen, was „man nicht sagen darf“. Es heißt: insgesamt sehr auf der Hut sein – selbstverständlich auch was Witze anbetrifft.

Wenn es die Situation dringend erfordert, dann darf natürlich auch ein Witz erzählt (=zum Besten gegeben) werden, aber dann ist es gut, wenn er quasi schon etwas älter, vorher praktisch getestet und von der Öffentlichkeit bereits einmal als witzig bezeichnet worden ist. Ebenso verhält es sich mit der Kritik an allem anderen – wie beispielsweise dem Parlament. Überhaupt genießen sämtliche Amtspersonen, bei den hier Anwesenden, ein besonderes Ansehen.

Was sie tun ist weitestgehend als berechtigt, zumindest aber als notwendig zu bezeichnen! ( Ich will ja nicht ungehobelt über die Stränge schlagen!) Und das reicht von der allgemeinen staatlichen Gesetzgebung bis hin, zum kommunalen Bebauungsplan. Keiner ist ein Umstürzler oder gar Protestant gegen das Arrivierte. Es sind durchweg anständige Menschen, die vor allem dafür gehalten werden wollen. Da ist es nicht ganz einfach etwas zu vertreten – ein Kretin wie ich kann leicht von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen stolpern.

Das heißt natürlich nicht, daß gar keine Kritik erwähnt werden kann. Man ist lediglich angehalten sie humorvoll zu präsentieren. So ist es beispielsweise verpönt zu sagen: „Die Stadt sägt einen Park nach dem anderen kurz und klein, weil sie immer mehr dem Ausbau der Verkehrswege nachkommt, und ebenso geht man bei uns mit den Gärten um, es werden immer mehr, aus reiner Gewinnsucht zugebaut und die Böden großflächig für Parkplätze versiegelt. Nein! Das geht nicht! Schließlich sind es lauter aufrechte Bürger, die da irgendwo auch ihre Vorteile darin sehen, egal welchem Glauben, oder welcher Veranlagung sie frönen. Und dementsprechend wollen sie auch eben behandelt werden!

Demzufolge ist der richtige Wortlaut in Sachen Baumaßnahmen: „Wir können doch froh sein, daß die Schrebergartenanlage in der Sowiesostraße einem riesigen Wohnblock weichen muss – dann lässt man wenigstens das flache Land unberührt. Das klingt zwar kritisch, hat aber auch wieder etwas Tröstliches. Die Regierung bleibt am besten gleich ganz außen vor, denn sie besteht vorwiegend aus „Fachleuten“, von deren Handwerk wir nichts verstehen. Sie verstehen von unserem ja auch nichts. Am besten fange ich also schon mal mit dem Grübeln an.

Ich komme, gewissenhaft wie ich eben zwischendurch bin, nicht ganz umhin mir Sorgen um mein zu erwartendes Sozialverhalten zu machen. Doch, anscheinend habe ich Glück – niemand hat Lust mich zu reizen. Heute weichen alle geschickt sämtlichen Verfänglichkeiten aus und reden vorsichtshalber zuerst einmal über den letzten Urlaub, dann aber sofort übers Essen.

Unser Besuch ist zwar einigermaßen robust, gleichzeitig aber spürbar sensibel – er hat einerseits gar keinen Sinn für aufrührerisch-philosophische Gedanken, aber er weiß andererseits ganz gut was einem anspruchsvollen Genießer mundet. Und wer wäre nicht für Tricks und Tipps in Sachen Kochkunst und Gastronomie zu begeistern?! Der gediegene Small Talk wird angestrebt und er beginnt sogleich…

Die Bäckereifachverkäuferin Jutta leitet ihn ein.“ Diese Weißwürste sind ausgezeichnet. Erst kürzlich habe ich aber noch bessere gegessen. Da gibt es eine Scheune mit eher unbequemen Bierbänken, im Hof der Landmetzgerei Knödel. Dafür gab es jedoch Produkte direkt aus dem Schlachtkessel. Das Schwein war gerade eben erst getötet und ganz frisch verarbeitet worden. Das hat wirklich phantastisch geschmeckt!“

Ich verschlucke mich fast an meiner „uralten“ Weißwurst, da ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich mich jetzt vielleicht nicht doch lieber über das höchstwahrscheinlich von höheren Stellen manipulierte Wahlverhalten der Bundesbürger unterhalten würde. Ich denke – obwohl ich auch öfter mal gerne Fleischprodukte zu mir nehme – an die martialische Prozedur mit dem armen Schwein und ich meine, ich wollte nicht unbedingt hautnah mit vor Ort sein, wenn „es“ geschieht. Ich bin ja manchmal schonungslos offen, aber die eine oder andere Ausrede brauche ich auch noch zu meinem leichtfertigen Überleben. Allen Anfechtungen zum Trotz nehme ich mich ernsthaft zusammen und schweige. Das sind warmherzige Mitmenschen, halte ich mir vor. Die denken sich nichts dabei!

Wolf Niemann, der Maschinenbau-Ingenieur, führt begeistert aus: „Ja, da war ich auch schon einmal, und ich kann nur bestätigen was die Jutta gesagt hat…vorzüglich, ganz vorzüglich! Dabei fällt mir aber auch gleich das Essen im Fünfsternehotel „Ausguck“ am Sonn’see ein. Ich hatte blutigen Tafelspitz und draußen hatten wir damals 35 Grad im Schatten. Ich habe mir umgehend die Salmonellen geholt. Stellt euch vor, ich war vom vielen Stuhlgang total wund und bereits so schwach, daß ich für die 7 Meter vom Bett zur Toilette, auf allen Vieren eine halbe Stunde gebraucht habe.

Diesmal würge ich hörbar. Irgendwie kann ich die Bescherung imaginär riechen und ich wünsche mir, man hätte, anstatt der Salmonellen plus Stuhlgang, eine völlig unterbelichtete Bundestagsdebatte erwähnt. In diesem Augenblick schaut mich der Erzähler neugierig an. Ich raffe mich künstlich auf, ringe um Haltung, wobei ich, glaube ich, noch ein säuerliches Lächeln zuwege bringe und nicke ihm anerkennend zu, dann wird mir aber trotzdem rechtschaffen schlecht, als ich noch mit anhören muss, daß sich die Salmonellen-Attacke, durch Schüttelkrämpfe, wie Malaria angefühlt habe. Eine Gänsehaut bekomme ich überflüssigerweise auch noch. Das erinnert mich an meine Abneigung religiösem Extremismus gegenüber. Ich verschlucke mich und muss laut husten.

Als ich mich wieder halbwegs gefangen habe, fängt Charly, der Koch an zu dozieren, man müsse beispielsweise schmierigen Speck – wenn man sich nicht so ganz sicher sei – vor dem Hineinwürfeln in ein entsprechendes Gericht, Bohneneintopf zum Beispiel – anbraten, um einer etwaigen unerwünschten Erkrankung vorzubeugen.

Ich rolle mit den Augen und stelle meinen Teller schüchtern beiseite. Ich überlege kurz, ob ich jetzt vielleicht doch einen Fauxpas begehen und erzählen soll, daß ich das fast genauso eklig finde wie einen Mann zu küssen. Dann leuchtet mir ein, das könnte eventuell unhöflich oder hochgradig diskriminierend sein. Deshalb nehme ich mich wieder zusammen und höre mir den interessanten Bericht von Max, dem Gärtner an, der gestern im Fernsehen einen Bericht über Papua New Guinea gesehen hatte. „Man kann, eingehender betrachtet, eigentlich alles essen“, klärt er die Übrigen auf, „die Ureinwohner dort, `impfen` zum Beispiel Bäume mit den Eiern einer bestimmten Insektenart, die sie reifen lassen, um dann später die dick aufgeblähten Maden zu ernten. Sie seien sehr eiweißreich und schmeckten süß und gut, behauptet er! Vorlieben seien eben Gewohnheitssache!

Ich fühle mich nun wieder blass werden, nachdem mir vor kurzem noch eher die Schamröte, wegen der beinahe bewusst beabsichtigten Themaverfehlung, ins Gesicht zu steigen drohte. Doch da höre ich schon den nächsten Beitrag zu unsrer „gepflegten Unterhaltung“. Er kommt von Robert, dem Steinmetz und Sardinien-Fan. Auf Sardinien gibt es, oder vielmehr gab es, räumt er ein, den Brauch einen mit Würmern angereicherten Weichkäse zu verzehren. Da „lebt“ der Brotaufstrich förmlich auf, kann ich euch sagen! Ich habe das einmal probiert und festgestellt: es ist vorzüglich!

Der Rest bleibt mir erspart! Ich verabschiede mich jetzt freundlich mit dem Hinweis auf eine heftig anrollende Migräne, die mich 1. zwänge etwas gegen sie einzunehmen und mich 2. sofort zurückzuziehen, um in einem dunklen Zimmer völlig abzuschalten. Wieder falle ich unangenehm auf, befürchte ich, konnte ich doch erneut am ernsten Gespräch Erwachsener nicht adäquat teilnehmen. In diesem Fall ist mir meine Inkompetenz richtiggehend peinlich. Allen Bedenken zum Trotz habe ich das Gefühl, mich schleunigst aus der Affäre retten zu müssen.

Diesmal werde ich sogar nicht einmal ausgelacht. Nein, ich werde, völlig unerwartet, zu meinem großen Glück, freundschaftlich, wie auch mitfühlend entlassen. Und darüber bin ich heilfroh, denn sonst hätte ich womöglich noch das menschenverachtende Regime in China, bzw. den Ukraine-Krieg angesprochen – und dann wären mir wieder alle böse gewesen, weil es mir einfach nicht gelingen könne, im Rahmen einer harmlosen Zusammenkunft, unangenehme Themen auszusparen.

©Alf Glocker

Veröffentlicht / Quelle: 
Auf anderen Webseiten
Prosa in Kategorie: 
Thema / Klassifikation: