Es war einmal ein schöner, junger Königssohn, der gerne träumte. Er las, hörte Musik und liebte es, sich zu verkleiden. Als Kind baute er mit seinen Bausteinen Kirchen und Klöster. Sein Vater aber hatte keine Zeit für ihn und wusste nicht, was er mit ihm reden sollte. Er achtete nur darauf, dass sein Sohn streng und tugendhaft erzogen wird. Die Mutter zeigte ihm auf langen Spaziergängen die Natur, nur für die Kunst hatte sie keinen Sinn. Weder der König noch die Königin verstanden es, ihren Sohn an sich zu ziehen und ihm Nähe und Geborgenheit zu schenken. Das Wort Liebe war in diesem Haus tabu und wurde bei Lesungen durch ‚Freundschaft‘ ersetzt.
Als sein Vater stirbt, ist er gerade 18 Jahre alt. So jung noch wird er schon König von Bayern. Doch niemand hat ihn auf seine neue Aufgabe mit all ihrer Verantwortung und Bürde vorbereitet. So lebt er seine Neigungen weiter - nur alles viel prächtiger. Auf dem Dach seiner Münchner Residenz lässt er sich einen herrlichen tropischen Garten bauen, eine fantastische Gegenwelt zum Alltag seiner Untertanen. Schauspieler müssen ihm dort Stücke vortragen. Im königlichen Hoftheater lässt er sich Opern vorspielen als einziger Zuschauer; kein anderer kann ihn mehr stören. Er liebt die Oper - und Musik ist seine Leidenschaft. Er lebt ein Leben, das der Kunst geweiht ist – und Geld darf keine Rolle spielen.
Sein Königreich aber, in dem die industrielle Revolution begonnen hat, ist immer noch bürgerlich. Man erhofft sich Veränderungen vom jungen König. Doch die Menschen werden enttäuscht: er hat andere Pläne. Er baut sich Märchenschlösser und –burgen in den Bergen, befreit von allen Zwängen. Seinen Staat und sein Volk treibt er damit in die Verschuldung. Er erfüllt zwar seine Regierungspflichten, führt sogar Kriege, aber er zieht sich immer mehr von den Menschen zurück. Mehr und mehr will er überhaupt niemanden mehr sehen und lebt ganz allein in seinen Schlössern und in der Natur.
Der ‚Märchenkönig‘, wie man ihn nannte, hatte schon vom Wasser des Lebens getrunken. Er kannte die Schönheit, die Gesundheit, die Lebensfreude, den Frieden, die Natur, den Reichtum. Aber: er hat es nicht mit anderen geteilt. Nur mit einem einzigen Menschen pflegte er ein vertrautes Verhältnis: mit seiner Cousine Sissi von Österreich. Mit deren jüngsten Schwester verlobte er sich. Doch aus der Traumhochzeit wurde nichts: er löste die Verlobung. Auf seinem eigenen Verlobungsball verließ er die Veranstaltung nach einer Stunde, um sich ein Theaterstück anzusehen. Obwohl ihn viele verehrten und liebten: er mochte die Menschen nicht. Er wollte nicht mit ihnen zusammen sein – nur die Lust trieb ihn noch dazu, mit ein paar jungen Männern für kurze Zeit sein Leben zu teilen. Aber länger hielt er es mit keinem aus. So vereinsamte er mehr und mehr, flüchtete sich in Süßigkeiten, in immer neue Bauprojekte und in die Kunst. Er wurde immer unglücklicher und verzweifelter. Nachts hatte er Alpträume, jemand würde in sein Schloss eindringen und ihn umbringen wollen. Er dachte daran, sich in einem See zu ertränken.
Seine Minister wollten nicht länger einen König, der sein Land verschuldete und nichts mehr mit seinem Volk zu tun haben will. So ließen sie ihn heimlich beobachten und ein ärztliches Gutachten erstellen, das ihn für geisteskrank erklärt. Sein Onkel übernahm die Regierung und ließ ihn in einer Nacht auf seinem Schloss festnehmen und in ein Schloss am Starnberger See bringen, das er nicht mehr verlassen durfte. Auf einem Spaziergang im Park lief er vor seinem Arzt davon und rannte in den See. Sein Arzt folgte ihm und es kam zu einem Kampf. Man konnte später nur noch die beiden Leichen bergen.
Ludwig II. (1845-86) baute die Schlösser Herrenchiemsee, Linderhof und das weltberühmte Neuschwanstein, er hasste Kriege, förderte Richard Wagner, produzierte immense Schulden – und starb entmündigt unter umstrittenen Umständen im Starnberger See. Anstatt wie andere Herrscher feudal zur Jagd zu reiten oder den Feldherrn zu geben, plante er lieber neue Bauten, tüftelte an raffinierten Erfindungen und träumte vom Fliegen. Bis heute verehren ihn Anhänger - als Visionär, Technikfreak und „Friedensfürsten“, den 'Märchenkönig'.
Kommentare
Toller Text !
HG Olaf
DANKE!
Dem Märchenkönig fehlte der Realitätssinn, aber er schenkte uns traumhafte Schlösser ...
LG Marie