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Der Abenteurer und Globetrotter Horatio W. Marmorstein, funkelnden Auges und sprühender Lippe, erzählte im Gentlemen´s Club von seinen Erlebnissen, die ihn rund um den Planeten geführt hatten, von Kanada bis Madagaskar, von Norwegen bis Südafrika, von England bis nach Hawaii. Marmorstein, auf die Frage nach der bizarrsten Kampfsportart, die er je gesehen habe:
„Ich beobachtete ein Historical Medieval Battle, einer ‘Vollkontakt’-Sportart, die in Ritterrüstungen und mit historischen Waffen wie Streitäxten, Langschwertern und Keulen betrieben wird. Die haben da tatsächlich aufeinander eingedroschen, ich fasste es nicht. Fiel einer, schied er aus. Bis der letzte übrig war, wurde mit all den Äxten, Schwertern und Keulen munter auf den Gegner eingewirkt. Das war schon recht bizarr. In Serbien sah ich dieses Spektakel. Es wird in tumbem Deutsch so genannt: Der historisch gerüstete Vollkontakt. In Smederevo gab es Beulen satt, Hämatome und mehrere Knochenbrüche. Ich war angeekelt fasziniert. Doch die bizarrste aller Performances erlebte ich in Atakpamé, der fünftgrößten Stadt Togos. Hier in Afrika gibt es eine große Stelzentradition. Ich war zum ‘Stelzenfest’ geladen. Seit Februar 2005 findet in dieser Stadt alljährlich das Stelzenfest statt. Die längsten Stelzen messen dabei an die fünf Meter, meine Herren! Bitte imaginieren Sie jetzt...“
Der Globetrotter nahm einen Schluck eines erlesenen Brandys, dann fuhr er fort:
„Der Mittelpunkt des Stelzenfestes in Atakpamé ist der „Baate-Stelzenkampf“. Also, warum Baate? Die haben im Februar letztes Jahr den Kampf für sich entschieden, daher erhält der Stelzenkampf immer den Namen des Sieger-Stammes. Gewinnt ein Fon, so wird im nächsten Jahr der Fon-Stelzenkampf ausgerufen. So etwas sah ich mein Lebtag niemals zuvor. Und ich bereiste ja die ganze Welt, werte Anwesende. Bin mit meinen 73 Lebensjahren wirklich auf jedem Kontinent unterwegs gewesen, mir fehlt nur noch die Antarktis zur Abrundung. Das Abenteuer gehe ich im nächsten Jahr an.“ Ein verhaltenes Raunen im Rund der etwa zwölf Herren, mit Zigarre, ohne jeden Mundschutz, den extra abgemessenen Sesseleinstand von 2 m dabei penibel einhaltend. Der Bedienstete im Gentlemen´s Club, Hayden M. Schnetzel, trug den obligatorischen Mund- und Nasen-Schutz allerdings. Er glitt nahezu geräuschlos zwischen den Sesseln hin und her, das einzig geschäftige Treiben im ansonsten ehrwürdig stillen Rauchsalon des Clubs. Und der Abenteurer hub nun erneut an:
„Die Baate sind eine Ethnie, auch Ifé genannt, dort in Atakpamé, das gleichzeitig das Zentrum ihres Siedlungsgebietes bildet. Geographisch liegt Atakpamé exakt 161 km nördlich der Hauptstadt Lomé am westlichen Rand der Atakora-Gebirgskette in einer Höhe von 250 m ü. NN. Rund 100.000 Einwohner hat die Stadt. Doch am Stelzentag finden sich hier sicherlich 300.000 oder mehr Menschen ein.
Zudem ist Atakpamé Verwaltungssitz der umliegenden Präfektur Ogou.
Und genau dort messen sich die Baate im Stelzenkampf. Dieses Schauspiel durfte ich mir nicht entgehen lassen. Da kämpften Kotokoli gegen Ifé, Akposso gegen die Fon, ein Spektakel der besonderen Güte. Nie zuvor hatte ich einem Stelzenkampf beigewohnt, meine Herren, nie! Gleich nachdem ich am Flughafen Akpaka gelandet war, begab ich mich zur Kathedrale Notre-Dame de la Trinité in Atakpamé, übrigens Bischofssitz des seit 1964 bestehenden Bistums Atakpamé, wo ich dann, noch ohne überhaupt in meinem Hotel eingecheckt zu haben, übergangslos in die Festivität vor der Kathedrale eingeführt wurde, als Ehrengast. Ich war, wie sagt man so schön, auf den letzten Drücker, gerade noch rechtzeitig, gekommen. Denn prompt ging es los. Unter tosendem Beifall.
Die 12 Kämpfer hielten Einzug. Auf 3,60 m hohen Stelzen, tippelnden Schrittes, jeder grotesk geschminkt, mit einem Anzug aus Federn bekleidet, einer Art Vogelkopf auf dem Haupt, und langen bunten Hussen an den Stelzen. Der Stelzenholm war unten mit einer Pufferkappe aus griffigem Gummi mit halbkugeliger Kontur und zudem mit konzentrischen Rillen überzogen. Die Kämpfer konnten auf den eingefederten und durch die bunten Hussen unsichtbaren Stelzen sogar hüpfen, manche bis zu einem halben Meter hoch, sie konnten tanzen und sich auf nur einer Stelze fortbewegen. Es sind wahre Stelzenkünstler, diese kampferprobten Recken aus Togo.
Farbenprächtig die Kostümierung der Ifé, dieses Volk wird auch Ana, Ana-lfe, Baate oder Atakpame genannt, die sich in einer merkwürdig fremden Sprache, sehr guttural und für mich recht gewöhnungsbedürftig, wilde Aufforderungen zuriefen. Neben Ewe, Kabiye und den verschiedenen Kwa- und Gur-Sprachen wird auch die Amtssprache Französisch in Togo gesprochen. Dazu kommen noch die „Togo-Restsprachen“, wie etwa das Akebu und einige weitere. Ich beherrsche einige Dialekte der Kwa- und auch der Gur-Sprachen, spreche ausgezeichnet Französisch und ein wenig Kabiye, aber diese Sprache, nein, die verstand ich nicht einmal im Ansatz. Die Ifé sprechen Ife, das ist eine yoruboide Sprache. Mir völlig unbekannt. Erinnert an Khoisan. Nun, als Khoisan-Sprachen werden die Sprachen im südlichen Afrika (Südafrika, Namibia, Angola und Botswana) sowie zudem in Tansania bezeichnet, deren Phoneminventar Klicklaute enthält, nur zu Ihrer Information, die werten Herren, rein zur Information.“
Der Erzähler genoss ein wenig die bewundernden Blicke der beleibten älteren Herren im Rund, alles sehr betuchte Bankiers und millionenschwere Geschäftsleute aus den besten Vierteln dieser Stadt. Marmorstein wusste darum, dass er beneidet wurde um all die Erlebnisse, um all die vielen Eindrücke und Abenteuer. Die meisten aber wollte der Drang zum Abenteuer nicht überkommen. Es war ihnen viel zu stressig und auch deutlich zu gefährlich, solch ein Leben. Wo sich dieser H. Marmorstein überall herum trieb... Da würde ihn sicherlich eines Tages eine böse Seuche heimsuchen oder ein Giftpfeil eines Eingeborenen. Vielleicht würde er auch von einem Krokodil gefressen, schlimmer noch, von einem Kannibalen verspeist werden. Ob ein Flugzeugabsturz in den Anden oder das Verdursten in der Wüste Namib, die hohen Herren fühlten sich sehr wohl genau dort, wohin sie das Schicksal verschlagen hatte, in diese Metropole und letztlich genau in diesen erlesenen Gentlemen´s Club. Nein nein, mochte Herr Marmorstein stellvertretend für den Gentlemen´s Club doch die Welt bereisen. Die hohen Herren profitierten von seinen Erzählungen, man muss ja nicht selbst nach zum Beispiel Togo reisen. Man lässt sich davon bei einem guten Brandy und einer edlen Zigarre aus Nicaragua oder Honduras berichten. Übrigens, dieser Club:
Hier konnte man nämlich nur dann ein >Member< werden, wenn sich drei bewährte Herren für die Anwärter, die man Seleniten (Mondmenschen) nannte, wohlwollend einzusetzen bereit waren. Die hernach drei zu durchlaufenden „Initiierungs-Phasen“ des Anwärters konnten, im dann besten