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Lass es Dir gesagt sein: Die waren damals schon recht froh überhaupt einen Mann für sie zu finden, der zudem nicht unvermögend war.‘
‚Du irrst Dich, wir heirateten aus reiner Liebe!‘
‚Ach Sindbad, Du bist zu gut für diese Welt! Aber zum Geschäft: Ich kenne nur drei Praxen mit offenen Sprechzeiten und bei denen Kassenpatienten überhaupt eine Chance haben. In zweien davon kann ich mich nicht sehen lassen, da diese nachtragenden Vögel wohl noch sauer über die Placebos sind, die ich ihnen als verschreibungspflichtige Medikamente schwarz vertickte; die dritte kann ich Dir wirklich nicht empfehlen! Wir fahren jetzt zuerst zu Dr. Kasim, der behandelt alle Patienten gleich!‘
Wie ihr sicher nachvollziehen könnt, geduldigste aller Märchenfreunde, reisten der eheleidgeprüfte Sindbad und sein verständnisvoller Verwandten durch die stürmischen Wogen des schaurigen Innenstadtverkehrs, wobei des großen Dulders hohe Kunst der Bedienung des Navis und die geschickte Ausnutzung sich bietender Lücken durch den listigen Lampenverkäufers die Gefährten schnell zur ersehnten Destination führten. Angekommen geleitete der treue Aladdin den Verletzten zum Aufzug, um ihn seinem Schicksal mit Hilfe kostengünstiger Gehhilfen entgegengehen zu lassen. Im zweiten Stock angekommen, betrat der über manche Meere des Ungemachs Vielgereiste die Praxis des gerechten Arztes und humpelte beherzt zur Anmeldung.
‚Hallo, mein Name ist Sindbad Albahhar! Ich möchte …‘
‚Ihre Nummer, bitte!‘
Eine recht eindrucksvolle Dame, geschmückt mit einem unübersehbaren Namensschild auf dem die Inschrift ‚Frau Vogel-Rock‘ prangte, sah den unaufdringlichen Frage-steller mit der hungrigen Strenge eines sadistischen Schulmeisters aus früheren Zeiten an, der gedachte, einen seiner Zöglinge so richtig mit der Rute zu züchtigen.
‚Welche Nummer denn?‘
Ein Funkeln beutegieriger Zufriedenheit erstrahlte in den Augen des Vogels Rock.
‚Schon wieder so ein Hypochonder, der hier in die Praxis gespült wird und denkt, er könne sich vordrängeln. Wir haben hier Leute mit gezogenen Nummern, die schon seit fünf Uhr in der Frühe vor unserer Praxis warteten und noch nicht drangekommen sind. Sie sollten sich was schämen!‘
‚Ich habe aber einen gebrochenen Fuß!‘
‚Ach tatsächlich? Wir haben hier unheilbare Dauergäste, die haben immer vor besonders harten Arbeitseinsätzen furchtbare Phantomschmerzen! Jammern Sie also nicht herum! Warum können die sich 100 Nummern auf Vorrat besorgen und Sie nicht? Basta, ohne Nummer läuft hier nichts?‘
Der erfahrene Umschiffer so mancher gewaltigen Klippe begriff, dass er sich in das unvermeidlich Vermeidbare fügen musste.
‚Werte Dame, wo bekomme ich denn ihre Nummern?‘
Ein triumphierendes Grinsen umspielte den Mundwinkler der gewaltig gnadenlosen Kreatur.
‚Wo er die Nummern herbekommt, fragt er? Einerseits ist das geheim und dann sind die uns sowieso vor einem Jahr ausgegangen. Sie Simulant sollten sich aber jetzt entfernen oder soll ich Sie persönlich hinausbefördern? Das wäre mir übrigens ein Vergnügen!‘
Von den letzten Worten der numerologisch ordnungsliebenden Patientenbetreuerin zutiefst überzeugt, zog Sindbad es vor, so geschwind wie ihn aufgrund seines Handicaps möglich war, die ungastlichen Gestade zu verlassen.
So, oh diskriminierteste aller diskriminierten Märchenliebhaber, schleppte sich der doch ein wenig deprimierte Nummernlose zu Aladdin und seinem getreuen Dschinn, um dem wundersam verwunderten Lampenverkäufer seine Abenteuer mit dem Vogel Rock zu berichten.
‚Da hast Du aber Glück gehabt! Frau Vogel-Rock war früher Schlamm-Catcherin und vor ihrer Operation Rausschmeißer in der ‚Eier Bar‘. Die muss noch in guter Stimmung gewesen sein, sonst hätte das Ungeheuer Dir mindestens noch den anderen Fuß gebrochen. Tut mir echt leid lieber Cousin, das mit den Nummern gab es zu meiner Zeit noch nicht. Ich könnte Dir eine besorgen, aber dafür müsste ich meine Connections nutzen und das wird dann einige Tage dauern!‘
‚Sorry Aladdin, aber darauf verzichte ich lieber. Können wir nicht zur zweiten Praxis fahren und kannst Du mir nicht noch etwas von den guten Schmerztabletten verabreichen, die Du mir vor der Fahrt gegeben hast?‘
‚Guter Stoff, was? Schade, dass die in Absurdistan verboten sind. Ich bedaure guter Vetter, noch eine Ladung und Du bist so bedröhnt wie ein Selbstmordattentäter vor dem großen Knall.‘
‚Ooops, aber ich kann die Schmerzen schon aushalten. Können wir jetzt fahren?‘
‚Also gut! Der nächste auf der Liste ist Dr. Ifrit, zumindest behandelt der auch gesetzlich Versicherte, wenn die in seinen Augen ernsthaft erkrankt sind. Hast Du eigentlich ein Smartphone?‘
‚Nicht mehr! Das musste ich versetzen, um Schahrasads Schulden bei der örtlichen Spielhalle zu begleichen! Warum fragst Du?‘
‚Das bei Dr. Ifrit kann dauern, werter Vetter. Ich habe noch einige ‚Deals‘ zu erledigen und muss dringend meine Lampen polieren. Hier hast Du eines von meinen guten Prepaids. Da sind noch fünf Euro drauf, das sollte reichen. Rufe mich einfach an, wenn du fertig bist oder die Sprechstundenhilfe am Nachmittag die Uhrzeit verkündet.‘
‚Warum das denn?‘
‚Mein lieber Sindbad, das wirst Du schon merken! Aber genug geschwatzt, auf geht’s!‘
‚In einer Beziehung hast Du recht gehabt, mein lieber Aladdin.‘
Der umtriebige Geschäftsmann sah den leidgeprüften Verwandten fragend an.
‚Bei Dr. Kasim werden wirklich alle Patienten gleich beschissen behandelt!‘
Also, geehrtes Publikum, reisten unsere Helden schnell wie der Wüstenwind durch den stillen Ozean des Post-Rush-Hour-Verkehrs zum anderen Ende der Stadt, um in einem heruntergekommenen Viertel mit dem diskreten Charme einer Dauerbaustelle vor einem überraschend soliden Plattenbau zu halten. Diesmal geleitete Aladdin den großen Dulder in den zweiten Stock, da dummerweise kein Fahrstuhl vorhanden war und sich des Heilers Praxis eine Etage höher befand. Aus den beschriebenen, misslungenen ‚Schwarzhandelsbeziehungen‘ zu Dr. Ifrit verließ der geschäftstüchtige Lampenverkäufer zu seinem größten Bedauern seinen Cousin, der sich wie eine Dhau mit schwerer Schlagseite in die überraschend modern eingerichtete Praxis schleppte. Dort erwartete ihn eine junge Dame – dem unspektakulären Namensschildchen nach eine Frau B. Krause – am Empfang, die sich sehr angeregt mit einer Kollegin über ihre wochenendlichen, alkoholschwangeren Abenteuer in allerlei freizeitgestaltenden Betrieben der Stadt unterhielt. Nach einer guten Viertelstunde endlich fand der geduldige Dulder zerstreute Beachtung.
‚Ja bitte?‘
‚Einen guten Tag wünsche ich. Mein Name ist Sindbad A …‘
Hier, geneigteste aller geneigten Zuhörer, erzählte der mächtige Seefahrer der sieben Meere des Ungemachs der sichtbar unaufmerksam gelangweilten Sprechstundenhilfe die wundersamen Umstände seines Missgeschicks. Die wiederum ließ ihn reden und bedachte ihn am Ende mit einem sarkastischen Lächeln.
‚Wie interessant! Wie sind Sie denn versichert: Privat oder Kasse?‘
‚Ich bin gesetzlich krankenversichert.‘
Mit einem genervten Seufzen des Überdrusses wandte sich die gastronomieerfahrene Frau Krause ihrer Kollegin zu.
‚Das diese alten, weißen Männer sich immer so wichtigmachen wollen! Schrecklich diese Typen und dann noch solche Klimaschädlinge!‘
Ihr solltet
Ein angenehmes Wochenende wünscht
JU
Kommentare
Frau Krause scheint kein Flaschen-Geist,
Da GEIST (s)ehr selten sie beweist ...
LG Axel
Haha, erfrischend -
der Geist in der Flasche macht aus allen Flaschen Helden - auch mich gelegentlich...
LG Alf
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