Du fährst jemanden besuchen. Einen entfernten Verwandten, vielleicht einen alten Freund, eine kurze Bekanntschaft? Ein Anruf, man sollte sich wieder treffen. Du hast zwar ein Gesicht vor Augen, aber es ist mehr schwammig als wirklich real, Erinnerungsbruchstücke kannst du kaum zusammensetzen. Zumindest ist ein Termin ausgemacht und du machst dich auf, um eilig dort hinzufahren. Es regnet und blitzt in weiter Ferne, aber du machst dir keine Sorgen, denn du bist sicher in deinem Auto.
Es ist nicht leicht das Haus zu finden, die Beschreibung der Strecke ist mehr schlecht als recht, du verfährst dich häufig und so kommt es, dass du viel zu spät in der Stadt oder in dem Dorf angelangt bist, als dass es noch richtig wäre jemanden zu besuchen. Du schläfst in einem kleinen Zimmer, was du für die Nacht noch anmieten konntest. Wärst du einige Minuten später erschienen, wäre für die Nacht abgeschlossen gewesen. Ein wenig Glück hast du. Das Zimmer ist nicht nach deinem Geschmack, aber es lässt sich aushalten, zumindest für eine Nacht. Irgendwie ist es unangenehm, der Grund weshalb du herkommst scheint dir irrelevant, insbesondere weil die Fahrt so lang war. Jemanden zu besuchen, den du nur schwer in deinen Erinnerungen zusammenschustern kannst, hat dir eine lange Reise aufgebürdet.
Du schläfst lange, stehst mittags auf. Unten an der Rezeption fragst du nach dem Namen, denn du mehrmals aussprechen musst, da er immer wieder falsch zu sein scheint. Jedes Mal nickt der Mann hinter der Theke und beschreibt dir den gleichen Weg. Es ist ein wenig abseits, aber dank der Beschreibung findest du das Haus.
Du zitterst, es ist kälter als vorhin. Das Haus ist verfallen, wirkt irreal, als wäre es nachträglich eingefügt worden, wie auf einer Fotomontage. Müde klopfst du an, niemand ist da. Die Tür ist angelehnt und du trittst ein, doch hier scheint schon lange niemand mehr gelebt zu haben, doch trotzdem wirkt es ordentlich.
Du fährst zurück nach Hause, die Fahrt geht schneller. Du bist wieder in deiner Wohnung. Es ist staubig geworden und das Sonnenlicht wird anders als sonst im Fensterglas gebrochen. Du räumst etwas auf, auch wenn du niemanden erwartest. Machst dich zurecht, kämmst dir die Haare und lächelst. Noch schnell telefonierst du, bevor du schließlich gehst, irgendetwas ist zu tun. Als du den Raum verlässt, lässt du die Tür aber einen Spalt offen. Im Flur kannst du noch hören, dass jemand an deine Tür klopft und eintritt.
Einkehr
von Daniel G. Spieker
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Hörbuchversion von Einkehr
Noch mehr von der Persönlichkeit → Daniel G. Spieker