Fräulein Else - Page 7

Bild zeigt Arthur Schnitzler
von Arthur Schnitzler

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starre. Ich werde mir eine Zigarette anzünden. Wo ist meine Zigarettendose? Oben. Wo nur? Das Veronal habe ich bei der Wäsche. Aber wo habe ich die Dose? Da kommen Cissy und Paul. Ja, sie muß sich endlich umkleiden zum ›Dinner‹, sonst hätten sie noch im Dunkeln weitergespielt. – Sie sehen mich nicht. Was sagt er ihr denn? Warum lacht sie so blitzdumm? Wär' lustig, ihrem Gatten einen anonymen Brief nach Wien zu schreiben. Wäre ich so was imstande? Nie. Wer weiß? Jetzt haben sie mich gesehen. Ich nicke ihnen zu. Sie ärgert sich, daß ich so hübsch aussehe. Wie verlegen sie ist.

»Wie, Else, Sie sind schon fertig zum Diner?« – Warum sagt sie jetzt Diner und nicht Dinner. Nicht einmal konsequent ist sie. – »Wie Sie sehen, Frau Cissy.« – »Du siehst wirklich entzückend aus, Else, ich hätte große Lust, dir den Hof zu machen.« – »Erspar' dir die Mühe, Paul, gib mir lieber eine Zigarette.« – »Aber mit Wonne.« – »Dank' schön. Wie ist das Single ausgefallen?« – »Frau Cissy hat mich dreimal hintereinander geschlagen.« – »Er war nämlich zerstreut. Wissen Sie übrigens, Else, daß morgen der Kronprinz von Griechenland hier ankommt?« – Was kümmert mich der Kronprinz von Griechenland? »So, wirklich?« O Gott, – Dorsday mit Frau Winawer! Sie grüßen. Sie gehen weiter. Ich habe zu höflich zurückgegrüßt. Ja, ganz anders als sonst. O, was bin ich für eine Person. – »Deine Zigarette brennt ja nicht, Else?« – »Also, gib mir noch einmal Feuer. Danke.« – »Ihr Schal ist sehr hübsch, Else, zu dem schwarzen Kleid steht er Ihnen fabelhaft. Übrigens muß ich mich jetzt auch umziehen.« – Sie soll lieber nicht weggehen, ich habe Angst vor Dorsday. – »Und für sieben habe ich mir die Friseurin bestellt, sie ist famos. Im Winter ist sie in Mailand. Also adieu, Else, adieu, Paul.« – »Küss' die Hand, gnädige Frau.« »Adieu, Frau Cissy.« – Fort ist sie. Gut, daß Paul wenigstens da bleibt. »Darf ich mich einen Moment zu dir setzen, Else, oder stör' ich dich in deinen Träumen?« – »Warum in meinen Träumen? Vielleicht in meinen Wirklichkeiten.« Das heißt eigentlich gar nichts. Er soll lieber fortgehen. Ich muß ja doch mit Dorsday sprechen. Dort steht er noch immer mit der unglücklichen Frau Winawer, er langweilt sich, ich seh' es ihm an, er möchte zu mir herüberkommen. – »Gibt es denn solche Wirklichkeiten, in denen du nicht gestört sein willst?« – Was sagt er da? Er soll zum Teufel gehen. Warum lächle ich ihn so kokett an? Ich mein' ihn ja gar nicht. Dorsday schielt herüber. Wo bin ich? Wo bin ich? »Was hast du denn heute, Else?« – »Was soll ich denn haben?« – »Du bist geheimnisvoll, dämonisch, verführerisch.« – »Red' keinen Unsinn, Paul.« »Man könnte geradezu toll werden, wenn man dich ansieht.« – Was fällt ihm denn ein? Wie redet er denn zu mir? Hübsch ist er. Der Rauch meiner Zigarette verfängt sich in seinen Haaren. Aber ich kann ihn jetzt nicht brauchen. – »Du siehst so über mich hinweg. Warum denn, Else?« – Ich antworte gar nichts. Ich kann ihn jetzt nicht brauchen. Ich mache mein unausstehlichstes Gesicht. Nur keine Konversation jetzt. – »Du bist mit deinen Gedanken ganz wo anders.« – »Das dürfte stimmen.« Er ist Luft für mich. Merkt Dorsday, daß ich ihn erwarte? Ich sehe nicht hin, aber ich weiß, daß er hersieht. – »Also, leb' wohl, Else.« – Gott sei Dank. Er küßt mir die Hand. Das tut er sonst nie. »Adieu, Paul.« Wo hab' ich die schmelzende Stimme her? Er geht, der Schwindler. Wahrscheinlich muß er noch etwas abmachen mit Cissy wegen heute Nacht. Wünsche viel Vergnügen. Ich ziehe den Schal um meine Schulter und stehe auf und geh' vors Hotel hinaus. Wird freilich schon etwas kühl sein. Schad', daß ich meinen Mantel – Ah, ich habe ihn ja heute früh in die Portierloge hineingehängt. Ich fühle den Blick von Dorsday auf meinem Nacken, durch den Schal. Frau Winawer geht jetzt hinauf in ihr Zimmer. Wieso weiß ich denn das? Telepathie. »Ich bitte Sie, Herr Portier –« »Fräulein wünschen den Mantel?« – »Ja, bitte.« – »Schon etwas kühl die Abende, Fräulein. Das kommt bei uns so plötzlich.« – »Danke.« Soll ich wirklich vors Hotel? Gewiß, was denn? Jedesfalls zur Türe hin. Jetzt kommt einer nach dem andern. Der Herr mit dem goldenen Zwicker. Der lange Blonde mit der grünen Weste. Alle sehen sie mich an. Hübsch ist diese kleine Genferin. Nein, aus Lausanne ist sie. Es ist eigentlich gar nicht so kühl.

»Guten Abend, Fräulein Else.« Um Gottes willen, er ist es. Ich sage nichts von Papa. Kein Wort. Erst nach dem Essen. Oder ich reise morgen nach Wien. Ich gehe persönlich zu Doktor Fiala. Warum ist mir das nicht gleich eingefallen? Ich wende mich um mit einem Gesicht, als wüßte ich nicht, wer hinter mir steht. »Ah, Herr von Dorsday.« – »Sie wollen noch einen Spaziergang machen, Fräulein Else?« – »Ach, nicht gerade einen Spaziergang, ein bißchen auf und abgehen vor dem Diner.« – »Es ist fast noch eine Stunde bis dahin.« – »Wirklich?« Es ist gar nicht so kühl. Blau sind die Berge. Lustig wär's, wenn er plötzlich um meine Hand anhielte. – »Es gibt doch auf der Welt keinen schöneren Fleck als diesen hier.« – »Finden Sie, Herr von Dorsday? Aber bitte, sagen Sie nicht, daß die Luft hier wie Champagner ist.« – »Nein, Fräulein Else, das sage ich erst von zweitausend Metern an. Und hier stehen wir kaum sechzehnhundertfünfzig über dem Meeresspiegel.« – »Macht das einen solchen Unterschied?« – »Aber selbstverständlich. Waren Sie schon einmal im Engadin?« – »Nein, noch nie. Also dort ist die Luft wirklich wie Champagner?« – »Man könnte es beinah' sagen. Aber Champagner ist nicht mein Lieblingsgetränk. Ich ziehe diese Gegend vor. Schon wegen der wundervollen Wälder.« – Wie langweilig er ist. Merkt er das nicht? Er weiß offenbar nicht recht, was er mit mir reden soll. Mit einer verheirateten Frau wäre es einfacher. Man sagt eine kleine Unanständigkeit und die Konversation geht weiter. »Bleiben

Veröffentlicht / Quelle: 
Gesammelte Werke. Die erzählenden Schriften, 2 Bände, Band 2, Frankfurt a.M. 1961, S. 324-381. Erstdruck: Die Neue Rundschau, XXXV. Jahrgang, 10. Heft, Oktober 1924.

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Interpretation und Zusammenfassung

Arthur Schnitzlers Novelle Fräulein Else (1924) ist ein eindringliches psychologisches Porträt und ein Meilenstein in der Verwendung des inneren Monologs als literarisches Stilmittel. Die Handlung spielt sich überwiegend in der Gedankenwelt der 19-jährigen Else T. ab, einer jungen Frau aus gutbürgerlichem Wiener Milieu, die während eines Aufenthalts in einem italienischen Kurort eine existenzielle Krise durchlebt.

Zusammenfassung

Else erhält von ihrer Mutter einen Brief, in dem sie erfährt, dass ihr Vater, ein finanziell ruinierter Anwalt, dringend 30.000 Gulden benötigt, um einer drohenden Inhaftierung zu entgehen. Else soll den wohlhabenden Kunsthändler Dorsday, der ebenfalls im Kurort verweilt, um das Geld bitten. Dorsday erklärt sich bereit, die Summe zu geben – jedoch unter der Bedingung, dass Else sich ihm nackt zeigt.

Diese Forderung stürzt Else in einen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Erwartungen, familiärer Loyalität und ihrem eigenen moralischen Empfinden. In ihrem inneren Monolog reflektiert sie über ihre Rolle als Frau, ihre Unterwerfung unter patriarchale Machtstrukturen und die sie umgebende Doppelmoral. Zerrissen zwischen Scham, Trotz und Verzweiflung willigt Else schließlich ein, doch die Demütigung und der psychische Druck werden unerträglich. Die Novelle endet tragisch, als Else einen Suizidversuch begeht, indem sie eine Überdosis Veronal nimmt.

Interpretation

Schnitzler thematisiert in Fräulein Else zentrale Motive seiner Werke: die Dekadenz der Wiener Gesellschaft, die Doppelbödigkeit moralischer Normen und die psychologischen Abgründe des Individuums. Durch den inneren Monolog wird der Leser Zeuge von Elses gedanklichem Auf und Ab, ihren Fluchtgedanken, Selbstzweifeln und ihrer inneren Rebellion. Schnitzler schafft eine direkte, intime Verbindung zur Protagonistin und entblößt schonungslos die patriarchalen Machtstrukturen und die Abhängigkeiten, in denen Frauen zu seiner Zeit gefangen waren.

Else ist sowohl Opfer als auch Rebellin: Sie verweigert sich der Männerwelt, die sie auf ihre Sexualität reduziert, und wählt letztlich den Tod als einzigen Ausweg aus ihrer inneren und äußeren Gefangenschaft.

Schnitzlers Bedeutung und andere Werke

Die Novelle steht in einer Reihe mit Schnitzlers weiteren psychologischen Meisterwerken, die häufig die Abgründe der menschlichen Seele und die moralische Dekadenz der Gesellschaft thematisieren. In Leutnant Gustl (1900), einem der ersten Werke, das konsequent den inneren Monolog einsetzt, schildert Schnitzler die zerrissenen Gedanken eines Offiziers, der mit seiner Ehre und dem militärischen Kodex hadert.

Auch die Traumnovelle (1926) – später von Stanley Kubrick als Eyes Wide Shut verfilmt – ist ein weiteres Beispiel für Schnitzlers Faszination für das Zusammenspiel von Traum, Begehren und Realität. Sie thematisiert die Fragilität menschlicher Beziehungen und die Macht unbewusster Triebe. In Casanovas Heimfahrt (1918) wiederum setzt sich Schnitzler mit dem Alter, der Vergänglichkeit und der Nachwirkung eines Lebens voller Hedonismus auseinander.

Fazit

Fräulein Else ist ein literarisches Meisterwerk, das durch seinen innovativen Einsatz des inneren Monologs und seine psychologische Tiefe beeindruckt. Schnitzler gibt der jungen Frau eine Stimme, die ihrer Zeit weit voraus ist, und beleuchtet scharf die Geschlechterrollen und moralischen Konflikte der Gesellschaft seiner Epoche. Wie auch in seinen anderen Werken zeigt sich Schnitzlers außergewöhnliches Talent, die komplexen Verflechtungen von innerer Zerrissenheit, gesellschaftlichem Druck und individueller Freiheit darzustellen.

 

Prosa in Kategorie: 
Thema / Klassifikation: 
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