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Mensch, – Und um welchen Betrag handelt es sich denn eigentlich, Fräulein Else?« – Warum lächelt er denn? Er findet es schlimm und er lächelt. Was meint er mit seinem Lächeln? Daß es gleichgültig ist wieviel? Und wenn er Nein sagt! Ich bring' mich um, wenn er Nein sagt. Also, ich soll die Summe nennen. »Wie, Herr von Dorsday, ich habe noch nicht gesagt, wieviel? Eine Million.« Warum sag' ich das? Es ist doch jetzt nicht der Moment zum Spassen? Aber wenn ich ihm dann sage, um wieviel weniger es in Wirklichkeit ist, wird er sich freuen. Wie er die Augen aufreißt? Hält er es am Ende wirklich für möglich, daß ihn der Papa um eine Million – »Entschuldigen Sie, Herr von Dorsday, daß ich in diesem Augenblick scherze. Es ist mir wahrhaftig nicht scherzhaft zumute.« – Ja, ja, drück' die Knie nur an, du darfst es dir ja erlauben. »Es handelt sich natürlich nicht um eine Million, es handelt sich im ganzen um dreißigtausend Gulden, Herr von Dorsday, die bis übermorgen Mittag um zwölf Uhr in den Händen des Herrn Doktor Fiala sein müssen. Ja. Mama schreibt mir, daß Papa alle möglichen Versuche gemacht hat, aber wie gesagt, die Verwandten, die in Betracht kämen, befinden sich nicht in Wien.« – O, Gott, wie ich mich erniedrige. – »Sonst wäre es dem Papa natürlich nicht eingefallen, sich an Sie zu wenden, Herr von Dorsday, respektive mich zu bitten –« – Warum schweigt er? Warum bewegt er keine Miene? Warum sagt er nicht Ja? Wo ist das Scheckbuch und die Füllfeder? Er wird doch um Himmels willen nicht Nein sagen? Soll ich mich auf die Knie vor ihm werfen? O Gott! O Gott –
»Am fünften sagten Sie, Fräulein Else?« – Gott sei Dank, er spricht. »Jawohl übermorgen, Herr von Dorsday, um zwölf Uhr mittags. Es wäre also nötig – ich glaube, brieflich ließe sich das kaum mehr erledigen.« – »Natürlich nicht, Fräulein Else, das müßten wir wohl auf telegraphischem Wege« – ›Wir‹, das ist gut, das ist sehr gut. – »Nun, das wäre das wenigste. Wieviel sagten Sie, Else?« – Aber er hat es ja gehört, warum quält er mich denn? »Dreißigtausend, Herr von Dorsday. Eigentlich eine lächerliche Summe.« Warum habe ich das gesagt? Wie dumm. Aber er lächelt. Dummes Mädel, denkt er. Er lächelt ganz liebenswürdig. Papa ist gerettet. Er hätte ihm auch fünfzigtausend geliehen, und wir hätten uns allerlei anschaffen können. Ich hätte mir neue Hemden gekauft. Wie gemein ich bin. So wird man. – »Nicht ganz so lächerlich, liebes Kind« – Warum sagt er ›liebes Kind‹? Ist das gut oder schlecht? – »wie Sie sich das vorstellen. Auch dreißigtausend Gulden wollen verdient sein.« – »Entschuldigen Sie, Herr von Dorsday, nicht so habe ich es gemeint. Ich dachte nur, wie traurig es ist, daß Papa wegen einer solchen Summe, wegen einer solchen Bagatelle« – Ach Gott, ich verhasple mich ja schon wieder. »Sie können sich gar nicht denken, Herr von Dorsday, – wenn Sie auch einen gewissen Einblick in unsere Verhältnisse haben, wie furchtbar es für mich und besonders für Mama ist« – Er stellt den einen Fuß auf die Bank. Soll das elegant sein – oder was? – »O, ich kann mir schon denken, liebe Else.« – Wie seine Stimme klingt, ganz anders, merkwürdig. – »Und ich habe mir selbst schon manchesmal gedacht: schade, schade um diesen genialen Menschen.« – Warum sagt er ›schade‹? Will er das Geld nicht hergeben? Nein, er meint es nur im allgemeinen. Warum sagt er nicht endlich Ja? Oder nimmt er das als selbstverständlich an? Wie er mich ansieht! Warum spricht er nicht weiter? Ah, weil die zwei Ungarinnen vorbeigehen. Nun steht er wenigstens wieder anständig da, nicht mehr mit dem Fuß auf der Bank. Die Krawatte ist zu grell für einen älteren Herrn. Sucht ihm die seine Geliebte aus? Nichts besonders Feines ›unter uns‹, schreibt Mama. Dreißigtausend Gulden! Aber ich lächle ihn ja an. Warum lächle ich denn? O, ich bin feig. – »Und wenn man wenigstens annehmen dürfte, mein liebes Fräulein Else, daß mit dieser Summe wirklich etwas getan wäre? Aber – Sie sind doch ein so kluges Geschöpf, Else, was wären diese dreißigtausend Gulden? Ein Tropfen auf einen heißen Stein.« – Um Gottes willen, er will das Geld nicht hergeben? Ich darf kein so erschrockenes Gesicht machen. Alles steht auf dem Spiel. Jetzt muß ich etwas Vernünftiges sagen und energisch. »O nein, Herr von Dorsday, diesmal wäre es kein Tropfen auf einen heißen Stein. Der Prozeß Erbesheimer steht bevor, vergessen Sie das nicht, Herr von Dorsday, und der ist schon heute so gut wie gewonnen. Sie hatten ja selbst diese Empfindung, Herr von Dorsday. Und Papa hat auch noch andere Prozesse. Und außerdem habe ich die Absicht, Sie dürfen nicht lachen, Herr von Dorsday, mit Papa zu sprechen, sehr ernsthaft. Er hält etwas auf mich. Ich darf sagen, wenn jemand einen gewissen Einfluß auf ihn zu nehmen imstande ist, so bin es noch am ehesten ich« – »Sie sind ja ein rührendes, ein entzückendes Geschöpf, Fräulein Else.« – Seine Stimme klingt schon wieder. Wie zuwider ist mir das, wenn es so zu klingen anfängt bei den Männern. Auch bei Fred mag ich es nicht. – »Ein entzückendes Geschöpf in der Tat.« – Warum sagt er ›in der Tat‹? Das ist abgeschmackt. Das sagt man doch nur im Burgtheater. – »Aber so gern ich Ihren Optimismus teilen möchte – wenn der Karren einmal so verfahren ist.« – »Das ist er nicht, Herr von Dorsday. Wenn ich an Papa nicht glauben würde, wenn ich nicht ganz überzeugt wäre, daß diese dreißigtausend Gulden« – Ich weiß nicht, was ich weiter sagen soll. Ich kann ihn doch nicht geradezu anbetteln. Er überlegt. Offenbar. Vielleicht weiß er die Adresse von Fiala nicht? Unsinn. Die Situation ist unmöglich. Ich sitze da wie eine arme Sünderin. Er steht vor mir und bohrt mir das Monokel in die Stirn und schweigt. Ich werde jetzt aufstehen, das ist das beste. Ich lasse mich nicht so behandeln. Papa soll sich
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Interpretation und Zusammenfassung
Arthur Schnitzlers Novelle Fräulein Else (1924) ist ein eindringliches psychologisches Porträt und ein Meilenstein in der Verwendung des inneren Monologs als literarisches Stilmittel. Die Handlung spielt sich überwiegend in der Gedankenwelt der 19-jährigen Else T. ab, einer jungen Frau aus gutbürgerlichem Wiener Milieu, die während eines Aufenthalts in einem italienischen Kurort eine existenzielle Krise durchlebt.
Zusammenfassung
Else erhält von ihrer Mutter einen Brief, in dem sie erfährt, dass ihr Vater, ein finanziell ruinierter Anwalt, dringend 30.000 Gulden benötigt, um einer drohenden Inhaftierung zu entgehen. Else soll den wohlhabenden Kunsthändler Dorsday, der ebenfalls im Kurort verweilt, um das Geld bitten. Dorsday erklärt sich bereit, die Summe zu geben – jedoch unter der Bedingung, dass Else sich ihm nackt zeigt.
Diese Forderung stürzt Else in einen Konflikt zwischen gesellschaftlichen Erwartungen, familiärer Loyalität und ihrem eigenen moralischen Empfinden. In ihrem inneren Monolog reflektiert sie über ihre Rolle als Frau, ihre Unterwerfung unter patriarchale Machtstrukturen und die sie umgebende Doppelmoral. Zerrissen zwischen Scham, Trotz und Verzweiflung willigt Else schließlich ein, doch die Demütigung und der psychische Druck werden unerträglich. Die Novelle endet tragisch, als Else einen Suizidversuch begeht, indem sie eine Überdosis Veronal nimmt.
Interpretation
Schnitzler thematisiert in Fräulein Else zentrale Motive seiner Werke: die Dekadenz der Wiener Gesellschaft, die Doppelbödigkeit moralischer Normen und die psychologischen Abgründe des Individuums. Durch den inneren Monolog wird der Leser Zeuge von Elses gedanklichem Auf und Ab, ihren Fluchtgedanken, Selbstzweifeln und ihrer inneren Rebellion. Schnitzler schafft eine direkte, intime Verbindung zur Protagonistin und entblößt schonungslos die patriarchalen Machtstrukturen und die Abhängigkeiten, in denen Frauen zu seiner Zeit gefangen waren.
Else ist sowohl Opfer als auch Rebellin: Sie verweigert sich der Männerwelt, die sie auf ihre Sexualität reduziert, und wählt letztlich den Tod als einzigen Ausweg aus ihrer inneren und äußeren Gefangenschaft.
Schnitzlers Bedeutung und andere Werke
Die Novelle steht in einer Reihe mit Schnitzlers weiteren psychologischen Meisterwerken, die häufig die Abgründe der menschlichen Seele und die moralische Dekadenz der Gesellschaft thematisieren. In Leutnant Gustl (1900), einem der ersten Werke, das konsequent den inneren Monolog einsetzt, schildert Schnitzler die zerrissenen Gedanken eines Offiziers, der mit seiner Ehre und dem militärischen Kodex hadert.
Auch die Traumnovelle (1926) – später von Stanley Kubrick als Eyes Wide Shut verfilmt – ist ein weiteres Beispiel für Schnitzlers Faszination für das Zusammenspiel von Traum, Begehren und Realität. Sie thematisiert die Fragilität menschlicher Beziehungen und die Macht unbewusster Triebe. In Casanovas Heimfahrt (1918) wiederum setzt sich Schnitzler mit dem Alter, der Vergänglichkeit und der Nachwirkung eines Lebens voller Hedonismus auseinander.
Fazit
Fräulein Else ist ein literarisches Meisterwerk, das durch seinen innovativen Einsatz des inneren Monologs und seine psychologische Tiefe beeindruckt. Schnitzler gibt der jungen Frau eine Stimme, die ihrer Zeit weit voraus ist, und beleuchtet scharf die Geschlechterrollen und moralischen Konflikte der Gesellschaft seiner Epoche. Wie auch in seinen anderen Werken zeigt sich Schnitzlers außergewöhnliches Talent, die komplexen Verflechtungen von innerer Zerrissenheit, gesellschaftlichem Druck und individueller Freiheit darzustellen.