Archibald Douglas

Bild zeigt Theodor Fontane
von Theodor Fontane

»Ich hab' es getragen sieben Jahr,
und ich kann es nicht tragen mehr,
wo immer die Welt am schönsten war,
da war sie öd' und leer.

Ich will hintreten vor sein Gesicht
in dieser Knechtsgestalt,
er kann meine Bitte versagen nicht,
ich bin ja worden alt,

Und trüg' er noch den alten Groll,
frisch wie am ersten Tag,
so komme, was da kommen soll,
und komme, was da mag.«

Graf Douglas sprichts. Am Weg ein Stein
lud ihn zu harter Ruh',
er sah in Wald und Feld hinein,
die Augen fielen ihm zu.

Er trug einen Harnisch, rostig und schwer,
darüber ein Pilgerkleid, -
da horch, vom Waldrand scholl es her
wie von Hörnern und Jagdgeleit.

Und Kies und Staub aufwirbelte dicht,
herjagte Meut' und Mann,
und ehe der Graf sich aufgericht't,
waren Roß und Reiter heran.

König Jakob saß auf hohem Roß,
Graf Douglas grüßte tief,
dem König das Blut in die Wange schoß,
der Douglas aber rief:

»König Jakob, schaue mich gnädig an
und höre mich in Geduld,
was meine Brüder dir angetan,
es war nicht meine Schuld.

Denk nicht an den alten Douglas-Neid,
der trotzig dich bekriegt,
denk lieber an deine Kinderzeit,
wo ich dich auf den Knieen gewiegt.

Denk lieber zurück an Stirling-Schloß,
wo ich Spielzeug dir geschnitzt,
dich gehoben auf deines Vaters Roß
und Pfeile dir zugespitzt.

Denk lieber zurück an Linlithgow,
an den See und den Vogelherd,
wo ich dich fischen und jagen froh
und schwimmen und springen gelehrt.

O denk an alles, was einsten war,
und sänftige deinen Sinn,
ich hab' es gebüßet sieben Jahr,
daß ich ein Douglas bin.«

»Ich seh' dich nicht, Graf Archibald,
ich hör' deine Stimme nicht,
mir ist, als ob ein Rauschen im Wald
von alten Zeiten spricht.

Mir klingt das Rauschen süß und traut,
ich lausch' ihm immer noch,
dazwischen aber klingt es laut:
Er ist ein Douglas doch.

Ich seh dich nicht, ich höre dich nicht,
das ist alles, was ich kann,
ein Douglas vor meinem Angesicht
wär' ein verlorener Mann.«

König Jakob gab seinem Roß den Sporn,
bergan ging jetzt sein Ritt,
Graf Douglas faßte den Zügel vorn
und hielt mit dem Könige Schritt.

Der Weg war steil, und die Sonne stach,
und sein Panzerhemd war schwer;
doch ob er schier zusammenbrach,
er lief doch nebenher.

»König Jakob, ich war dein Seneschall,
ich will es nicht fürder sein,
ich will nur warten dein Roß im Stall
und ihm schütten die Körner ein.

Ich will ihm selber machen die Streu
und es tränken mit eigner Hand,
nur laß mich atmen wieder aufs neu
die Luft im Vaterland.

Und willst du nicht, so hab' einen Mut,
und ich will es danken dir,
und zieh dein Schwert und triff mich gut
und laß mich sterben hier.«

König Jakob sprang herab vom Pferd,
hell leuchtete sein Gesicht,
aus der Scheide zog er sein breites Schwert,
aber fallen ließ er es nicht.

»Nimm's hin, nimm's hin und trag es neu,
und bewache mir meine Ruh',
der ist in tiefster Seele treu,
wer die Heimat liebt wie du.

Zu Roß, wir reiten nach Linlithgow,
und du reitest an meiner Seit',
da wollen wir fischen und jagen froh
als wie in alter Zeit.«

Veröffentlicht / Quelle: 
Fontane, Theodor: „Archibald Douglas“. In: Argo. Album für Kunst und Dichtung, herausgegeben von Friedrich Eggers, Theodor Hosemann und Franz Kugler, S. 14–15. Breslau: Trewendt & Granier, 1857. Druck: Eduard Haenel.

Analyse

1. Einleitung

Theodor Fontanes Ballade „Archibald Douglas“, erstmals 1854 veröffentlicht, gehört zu den bekanntesten Werken des Dichters. Sie verhandelt zentrale Themen wie Loyalität, Ehre, Schuld und Gerechtigkeit. Fontane greift in diesem Gedicht ein historisches Ereignis aus der schottischen Geschichte auf und bearbeitet es literarisch, wobei er ein tragisches Schicksal und die damit verbundene moralische Frage in den Vordergrund rückt.


2. Inhaltliche Analyse

Das Gedicht erzählt die tragische Geschichte von Archibald Douglas, einem schottischen Adligen, der während eines Turniers auf Anordnung des Königs einen tödlichen Fehler begeht. Er lässt seinen Bruder, der den König beleidigt hat, hinrichten. Trotz seiner Treue zum König wird Douglas selbst Opfer politischer Intrigen und Verrat, als der König ihn schließlich aus Angst und Misstrauen hinrichten lässt.

Handlung in Kürze:

  • Archibald Douglas handelt loyal gegenüber seinem König und führt dessen Befehl aus.
  • Er tötet seinen eigenen Bruder und opfert seine persönliche Integrität für die Loyalität zur Krone.
  • Trotz seines Gehorsams und seiner Ehre wird er vom König getäuscht und getötet.
  • Das Gedicht endet in einer düsteren Reflexion über die Natur von Macht, Verrat und persönlicher Schuld.

3. Formale Analyse

Gedichtform und Aufbau

„Archibald Douglas“ ist eine klassische Ballade, die durch ihren epischen Charakter und die dramatische Handlung gekennzeichnet ist. Die Ballade besteht aus mehreren Strophen mit regelmäßigem Reimschema und einem durchgängigen, erzählerischen Ton.

  • Reimschema: Das Gedicht folgt einem durchgängigen Kreuzreim (ABAB).
  • Metrum: Es verwendet den vierhebigen Jambus, der durch seine gleichmäßige Betonung die Dramatik der Handlung unterstreicht.
  • Strophenstruktur: Die Strophen sind meist aus vier oder acht Versen aufgebaut, was der Ballade ein gleichmäßiges und fließendes Tempo verleiht.

Sprache und Stil

  • Bildhafte Sprache: Fontane verwendet zahlreiche Metaphern und Symbole, um die düstere Atmosphäre und die Tragik zu verdeutlichen. Besonders die Motive von Blut, Schwert und Krone stehen im Mittelpunkt.
  • Pathos und Dramatik: Die Sprache ist von einer erhabenen, fast pathetischen Tonalität geprägt, die die Tragik von Archibalds Schicksal unterstreicht.
  • Dialoge: In einigen Passagen treten Figuren durch direkte Reden hervor, was die Spannung erhöht und die Handlung lebendig macht.

4. Thematische Analyse

Loyalität und Verrat

Das zentrale Thema des Gedichts ist die Frage der Loyalität: Archibald Douglas stellt seine Treue zum König über familiäre Bindungen und persönliche Moral. Doch der König verrät ihn, was die Ambivalenz von Macht und Gehorsam deutlich macht. Die Ballade wirft damit eine grundlegende moralische Frage auf: Ist es gerechtfertigt, blind zu gehorchen, wenn die eigene Ehre und moralische Überzeugung auf dem Spiel stehen?

Schuld und Gerechtigkeit

Archibalds Handeln ist von Schuld geprägt: Der Mord an seinem Bruder wird zwar als loyaler Akt dargestellt, doch zugleich lässt Fontane erkennen, dass diese Tat Archibalds Untergang besiegelt. Die vermeintliche Gerechtigkeit, die durch den Gehorsam erreicht werden soll, schlägt ins Gegenteil um.

Macht und Willkür

Der König als zentrale Figur verkörpert die Willkür der Macht. Er nutzt Archibalds Loyalität aus, um seine eigene Position zu sichern, und verrät ihn schließlich aus Angst vor dessen Stärke. Fontane zeichnet ein Bild von Macht, das von Misstrauen, Intrigen und Egoismus geprägt ist.


5. Historischer und literarischer Kontext

Historischer Bezug

Fontane bezieht sich auf die historische Figur des Archibald Douglas, der im 14. Jahrhundert lebte. Die tatsächlichen Ereignisse sind stark literarisiert, doch Fontane greift die Konflikte der schottischen Adelsfamilien und die Spannungen zwischen Loyalität und Macht in einer idealisierten Form auf.

Fontanes Balladentradition

Das Gedicht gehört zu Fontanes klassischen Balladen und steht in einer Reihe mit anderen Werken wie John Maynard und Die Brück’ am Tay. Fontane greift häufig historische Stoffe auf, die er mit universellen moralischen und gesellschaftlichen Fragen verknüpft. Die Kombination aus erzählerischer Dichte, dramatischer Handlung und moralischer Reflexion ist typisch für seine Balladendichtung.


6. Interpretation und Bedeutung

„Archibald Douglas“ zeigt, wie Loyalität und Ehre im Spannungsfeld von Macht und Moral zu tragischen Konsequenzen führen können. Fontane stellt die Frage nach der Rechtfertigung blinden Gehorsams und zeichnet ein düsteres Bild von Machtverhältnissen. Das Gedicht bleibt in seiner Thematik zeitlos, da es universelle menschliche Konflikte aufgreift: die Spannung zwischen Pflicht und Gewissen, zwischen Loyalität und Selbstachtung.


7. Schlussgedanken

Mit „Archibald Douglas“ schafft Theodor Fontane eine Ballade von großer emotionaler und moralischer Tiefe. Das Werk verbindet historische Erzählung mit universellen Fragen nach Schuld, Ehre und Macht. Durch die klassische Balladenform und die dramatische Handlung bleibt es eines der bedeutendsten Werke Fontanes und ein herausragendes Beispiel für seine Fähigkeit, menschliche Konflikte literarisch zu gestalten.

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