Guter Rat

Bild zeigt Theodor Fontane
von Theodor Fontane

An einem Sommermorgen
Da nimm den Wanderstab,
Es fallen deine Sorgen
Wie Nebel von dir ab.

Des Himmels heitere Bläue
Lacht dir ins Herz hinein,
Und schließt, wie Gottes Treue,
Mit seinem Dach dich ein.

Rings Blüten nur und Triebe
Und Halme von Segen schwer,
Dir ist, als zöge die Liebe
Des Weges nebenher.

So heimisch alles klinget
Als wie im Vaterhaus,
Und über die Lerchen schwinget
Die Seele sich hinaus.

Veröffentlicht / Quelle: 
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 7.

Gedichtanalyse

Einleitung

Theodor Fontane, ein zentraler Vertreter des Realismus, thematisiert in seinem Gedicht „Guter Rat“ die heilende Kraft der Natur und die Möglichkeit, durch Wanderungen und Naturerlebnisse innere Ruhe zu finden. Das Gedicht verbindet persönliche Erfahrungen mit universellen Wahrheiten und spricht eine Einladung aus, die Natur als Mittel zur Selbstfindung zu nutzen. Die vorliegende Analyse untersucht das Gedicht inhaltlich, formal und sprachlich. In diesem Kontext werden auch Vergleiche zu anderen Werken Fontanes, wie „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ und „Die Brück' am Tay“, gezogen.


Inhaltliche Analyse

Das Gedicht ist eine Aufforderung zur Wanderung als Weg zur seelischen Erneuerung. Fontane beschreibt, wie Sorgen durch die Begegnung mit der Natur „wie Nebel“ vergehen. Der Himmel und die umgebende Landschaft wirken auf den Wanderer beruhigend und erheben seine Seele. Die Natur wird nicht nur als physischer Raum, sondern auch als spiritueller und emotionaler Rückzugsort dargestellt. Diese Sichtweise ist typisch für die realistische Dichtung Fontanes, der oft das Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur thematisiert.

Im Vergleich dazu hebt Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland eine andere Dimension der Natur hervor: die Großzügigkeit und den Kreislauf des Lebens, symbolisiert durch die Birne. Während die Natur in „Guter Rat“ heilend und beruhigend wirkt, hat sie in „Herr von Ribbeck“ eine soziale und verbindende Funktion.

In Die Brück' am Tay wird die Natur wiederum als eine bedrohliche und zerstörerische Kraft dargestellt. Der Sturm, der die Brücke zerstört, steht im krassen Gegensatz zu der friedlichen und harmonischen Natur in „Guter Rat“. Diese Ambivalenz zeigt Fontanes Fähigkeit, die Natur aus unterschiedlichen Perspektiven darzustellen – mal tröstend, mal unberechenbar.


Formale Analyse

Struktur und Aufbau:
Das Gedicht besteht aus vier Strophen mit jeweils vier Versen, die regelmäßig und symmetrisch aufgebaut sind. Diese formale Strenge verleiht dem Gedicht Ruhe und Harmonie, passend zum Thema der inneren Einkehr.

Reimschema:
Das Reimschema ist durchgängig der Kreuzreim (abab), der dem Gedicht einen leichten und fließenden Charakter gibt. Diese Struktur unterstützt die Idee des Wanderns und der Bewegung durch die Natur.

Metrum und Versmaß:
Das Gedicht ist überwiegend im Jambus verfasst, wobei jeder Vers aus vier Hebungen besteht (vierhebiger Jambus). Diese regelmäßige Metrik erzeugt eine sanfte, wiegende Bewegung, die an das Gehen oder Wandern erinnert.

Beispiel:

  • „An einem Sommermorgen“

Der vierhebige Jambus verleiht dem Gedicht Rhythmus und Balance, wodurch die beruhigende und harmonische Wirkung der Natur auch formal unterstützt wird.


Sprachliche Mittel

Fontane verwendet eine Vielzahl an sprachlichen Mitteln, um die Wirkung der Natur und das innere Erleben des Wanderers darzustellen:

  • Metaphern: Sorgen fallen „wie Nebel“ ab, die Natur wird zur „Treue Gottes“. Diese Bilder verdeutlichen den seelischen Wandel und die spirituelle Dimension des Naturerlebnisses.
  • Personifikation: Die „Bläue“ des Himmels „lacht“ ins Herz, die Liebe „zieht des Weges nebenher“. Diese Mittel beleben die Natur und machen sie zu einem aktiven Begleiter des Wanderers.
  • Synästhesie: Die Beschreibung, dass „alles klinget“, schafft eine Verschmelzung der Sinneswahrnehmungen, die das Gefühl der Geborgenheit und Harmonie verstärken.
  • Vergleich: „Als wie im Vaterhaus“ vergleicht die Heimeligkeit der Natur mit der Geborgenheit eines familiären Zuhauses. Dies unterstreicht die Idee von Heimat und Zugehörigkeit.

Interpretation

Das Gedicht „Guter Rat“ bietet nicht nur einen praktischen Hinweis, sich durch die Natur zu regenerieren, sondern auch eine tiefere, spirituelle Botschaft. Die Natur wird zur Manifestation göttlicher Treue und Liebe, die den Menschen nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich schützt.

Die Verbindung zur Natur, wie sie in „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ dargestellt wird, erweitert das Verständnis von „Guter Rat“. Beide Gedichte zeigen die Natur als zentralen Bestandteil des Lebens, allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten – Heilung versus Gemeinschaft und Weitergabe.

Der Gegensatz zu „Die Brück' am Tay“ macht deutlich, dass Fontane die Natur auch in ihrer zerstörerischen, übermächtigen Dimension wahrnimmt. Während in „Guter Rat“ Trost und Zuversicht dominieren, spiegelt „Die Brück' am Tay“ die dunklen und unberechenbaren Aspekte der Natur wider.


Schluss

Theodor Fontanes Gedicht „Guter Rat“ ist ein prägnantes Beispiel für die Verbindung von realistischen und romantischen Elementen. Durch die klare Struktur, die ruhige Metrik und die einfühlsame Bildsprache vermittelt es eine universelle Botschaft: In der Natur findet der Mensch nicht nur Trost, sondern auch einen Weg zur seelischen Erneuerung.

Gedichtform: 
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