1
„Muss ich wirklich diese Kleider tragen?“, fragte Svenja.
„Ja, musst du“, murmelte ich.
Seitdem Svenja hier arbeitete, machte sie nur Probleme. Das war nicht in Ordnung, das war blöd, das ist doof. Nein, putzen mag ich nicht, nein, der Keller ist gruselig, nein, nein, nein. Ich zahlte ihr nur den Mindestlohn, aber es war schlimm genug.
Ich betreibe seit Jahren eine Art Praxis. Ich verkaufe Anhänger, Steine, Kräuter mit verschiedenen Wirkungen, gebe Einzelsitzungen, sage die Zukunft voraus. Und bevor Svenja hier war, war es hart, aber zumindest nicht so nervenaufreibend. Ich hätte sie nicht einstellen sollen, aber ein Freund hat mich geradezu genötigt, ihr eine Chance zu geben. Zum Glück hatte sie noch zwei Monate Probezeit vor sich – falls sich die Lage nicht bessern sollte, würde ich sie eben rauswerfen. Ich nahm mir meinen Beutel Weißhaupt, ging nach draußen, drehte mir eine Zigarette. Rauchen. In zwanzig Minuten öffnete der Laden und es würde nicht lange dauern, bis die ersten Kunden auftauchen würden. Noch ein Augenblick Ruhe … Schritte.
„Wo ist das Wasser?“, fragte Svenja.
„Im Kasten.“
„Nein, der ist leer.“
„Dann haben wir keins mehr“, murmelte ich. Ich öffnete die Augen und drehte mich zu ihr um. „Hol welches im nächsten Laden. “
„Wie soll ich den Kasten tragen?“
„Mit den Händen.“ Ich kramte einen Zwanziger aus meiner Hosentasche und gab ihn ihr.
„Bis später.“
Sie nickte genervt, aber ging ohne eine weitere Diskussion los. Ich drückte die Zigarette aus, betrat wieder den Laden und richtete ein paar Kleinigkeiten, fegte noch einmal durch. Alles musste gut aussehen, wenn die Leute kamen. Das war wichtig. Jeden Tag. Immer.
Um Punkt 9 Uhr kam auch schon die erste Kundin in den Laden gelaufen.
„Laura, du bist ja heute früh. Guten Morgen!“
„Ja, ich fahr zu einer Freundin und wollte unbedingt noch was mitbringen“, sagte die Kundin.
„Ach, was brauchst du denn?“
„Also ...“ Sie seufzte. „Ihr Mann hat Sie verlassen.“
„Oh ...“
„Ja, schon vor einer Woche. Ist auch eigentlich besser so – der Typ war irgendwie … komisch. Der stand auf Füße und ...“
„Erspar' mir die Details.“ Ich grinste.
„Auf jeden Fall bin ich froh, dass er weg ist, aber sie dreht total am Rad. Und ich wollte ihr was zur Entspannung mitbringen.“
„Dachtest du an was Bestimmtes?“
„Ich weiß nicht ...“
„Nun … Wir haben Badeöle aus Tibet bekommen. Ganz neu; warte, ich hab die noch nicht mal ausgepackt.“
Natürlich waren sie ausgepackt; sie standen hinten im Laden. Doch man musste den Leuten eben auch das Gefühl geben, dass sie wirklich etwas Besonderes in den Händen hielten. Ich schritt kurz hinter den Vorhang und holte ein Fläschchen aus dem Regal – ich raschelte noch in einem Karton und kam dann zurück.
Ich legte es ihr in die Hand, damit sie sich selbst ein Bild davon machen konnte. Es war ein violettes Fläschchen, das eine leicht geschwungene Form hatte.
„Oh, das ist wirklich schön. Hast du das nochmal eine Nummer größer?“
„Nein, tut mir leid. Aber riech mal dran … dreh's ruhig auf.“
Während sie an dem Fläschchen roch, hörte ich wie Svenja mitsamt der Kiste zurück in den Laden kam.
„Scheiße ist das schwer“, sagte sie, als sie die Flaschen auf den Boden donnerte. Ich warf ihr einen bösen Blick zu und sie bemerkte, dass wir einen Kunden hatten. Das war wichtig. Eine gute, sichere Atmosphäre. Keine Alltagsprobleme.
„Tut mir leid“, murmelte sie und verstaute die Kiste hinter dem Vorhang.
„Es riecht toll“, sagte Laura und schien sich nicht stören zu lassen.
„Einfach ein paar Tropfen ins Badewasser und dann entspannen. Es hilft wirklich.“ Der Tibetquatsch war zwar gelogen, aber die Wirkung reichte den Leuten ja nicht.
„Was kostet mich das ganze?“
Einen Moment überlegte ich. Für solche Sachen hatte ich keine ausgeschilderten Preise, da musste ich die Kunden immer erst einmal einschätzen.
„25 Euro. Direkt aus Tibet importiert.“
Sie lächelte.
„Perfekt – kannst du's mir so einpacken, dass es mir auf dem Nachhauseweg ...“
Das Telefon klingelte. Dieser unsäglich nervige Melodie; immer noch.
„Svenja, kannst du mal rangehen?“ Sie sollte das längst umstellen. Das war einer der wenigen Gründe, warum ich sie eigentlich hier brauchte – sie hatte Ahnung von Technik. Aber was nützte das, wenn sie sich nicht drum kümmerte.
„Ja[,] Moment.“ Endlich hörte das verdammte Klingeln auf.
Ich wendete mich wieder der Kundin zu. „Natürlich packe ich das ein – Sekunde.“ Ich ging zur Kasse und packte das Öl in eine der bunten Papiertüten. Die Kundin gab mir das Geld passend und verließ dann lächelnd den Laden.
„Das wär' dann die erste Leichtgläubige heute“, sagte Svenja und grinste.
„Das hat nichts mit Leichtgläubigkeit zu tun. Sei nicht immer so herablassend – das hier hilft Leuten.“
Svenja grummelte nur etwas und fing an Ware in ein paar Regale einzuräumen. Sobald sie den Klingelton umgestellt hätte, würde ich sie rauswerfen; es wurde wirklich Zeit.
„Svenja?“, rief ich.
„Ja?“
„Herr Dietrich kommt heute zu einer besonderen Sitzung. Wir schließen heute schon um 12 den Laden.“
„Wer war das nochmal?“
„Krebs im Endstadium.“
Sie antwortete nicht.
„Bereite den Sitzungsraum schon mal vor.“
2
„Markus, wie geht’s dir?“
„Der Arzt sagt, der Krebs ist wieder da. Keine sechs Monate mehr. Keine Ahnung, ich bin ...“
Der Kunde war den Tränen nahe.
„Nach der letzten Behandlung sah alles so gut aus – ich hab sogar wieder einen Urlaub geplant und jetzt ist alles wieder … ach, scheiße“, sagte er.
„Das muss hart sein ... aber Markus, lass den Kopf nicht hängen. Ich hab da sicher noch was. Kannst du mir mehr über deinen Befund sagen?“
„Ich habe mir eine Kopie geben lassen.“
Er zog ein paar Papiere aus seinem Aktenkoffer und reichte sie mir. Ich setzte meine Brille auf und nahm mir alle Zeit der Welt, alles durchzulesen. Je tiefer ich in den Zeilen versank, desto stärker fiel mir etwas auf … Svenja hatte die falschen Räucherstäbchen aufgesetzt – der Lavendelgeruch war viel zu penetrant für eine so lange Sitzung. Ich sah kurz zu ihr; sie nestelte an einem losen Faden an ihrer Bluse herum.
„Das sieht echt nicht gut aus, Markus … Aber!“ Ich hob den Finger, denn er sah aus, als würde er jeden Moment wirklich anfangen zu weinen.
„Brauchen Sie ein Taschentuch, Herr Dietrich?“, fragte Svenja.
„Danke, nein“, flüsterte dieser und wartete gespannt auf das, was ich zu sagen hatte.
„Es gibt noch ein paar Möglichkeiten, aber das ist alles … nicht ganz billig und auch nicht ganz legal. Das Horn von afrikanischen Elefantenbabys ist ...“
„Egal was, Hauptsache es hilft. Was würde mich das kosten?“
Diesen Moment hatte ich den ganzen Morgen über im Kopf durchgespielt.
„Ich … ich mach es kurz und schmerzhaft. Zwanzigtausend.“
Jemand zog scharf Luft ein, aber es war nicht der Kunde. Es war Svenja.
„Ich mach es. Wenn es hilft, mach ich es.“
„Ich weiß nicht, wie lange es tatsächlich hilft, Markus. Nicht, dass du falsche Erwartungen hast. Ein Jahr, vielleicht zehn. Das kann ich dir nicht genau sagen.“
„Völlig egal. Ein Jahr ist eine Ewigkeit. Ich überweis' es dir noch heute. Ich werd' diese verdammte Krebsbehandlung in der Klinik einfach abbrechen; gar nichts hat's mir gebracht, nur dummes Gerede von Ärzten.“
„Ich glaube, Sie sollten das nicht tun“, schaltete sich Svenja ein. „Das hier ...“
„Geh raus“, zischte ich.
3
Der Kunde hatte sich nicht aufs Geschäft eingelassen. Er war kurz darauf gegangen. Svenja hatte alles vermasselt und ich kochte vor Wut.
„Zwanzigtausend“, sagte ich kalt. „Morgen kommst du nicht wieder. Du kommst allgemein nicht wieder. Deine Kündigung kriegst du in den nächsten Tagen per Post.“
„Du hättest ihn umgebracht – er wollte seine Behandlung abbrechen!“
„Das hier ist seine Behandlung. Dadurch überlebt er.“
„Du verdienst daran, dass er stirbt. Du verarschst die Leute und jetzt bringst du sie auch noch um.“
„Ich verarsche niemanden. Durch mich überlebt er.“
„Du glaubst doch nicht wirklich an diesen Quatsch hier?“ Sie schrie jetzt.
Ich schritt näher an sie heran, bis ich ganz nah an ihrem Gesicht war.
„Diese Sachen wirken. So, wie ich es will. Wenn ich nicht wäre, wäre er seit fünf Jahren tot.“
„Das ist nicht seine erste Behandlung, warum kommt er denn jetzt wieder und wieder zu dir, wenn du so magische Heilfähigkeiten hast?“
„Geheilte Patienten kommen nicht wieder. Geheilte Patienten bezahlen mich nicht.“