Marktszene

Bild von Dieter J Baumgart
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     In Pézenas, dem „Versailles des Languedoc“, hatten wir ihn zum erstenmal gesehen. In der malerischen Innenstadt, auf den Treppen zur Kathedrale saß er und formte seine kleinen Biedermeier-Bouquets aus Trockenblumen und Gräsern, neben ihm auf einer großen Decke vier Hunde, die gelangweilt in die Gegend schauten. Das war wohl vor vier Jahren im Sommer, und wir erstanden einen Strauß. Wir kamen ins Gespräch, und auch bei späteren Besuchen, die meist den vielen dort vertretenen Antiquariaten dienten, trafen wir ihn und wechselten ein paar Worte.
     Jetzt, im Winter, entdecke ich ihn zufällig auf dem Wochenmarkt in unserer Kreisstadt. In der Platanenallee vor dem alten Bahnhof steht er zwischen den Blumenhändlern und bietet seine Gebinde an. Diesmal sind es drei Hunde, die auf ihrer Decke liegen und vermutlich von wärmeren Tagen in Pézenas träumen. Dahinter, auf einer Parkbank, lagert weiteres Material, daneben lehnt ein Fahrrad-Oldtimer mit Gepäckträgern vorn und hinten, sein zweirädriger „Lkw“.
     Meine Frau ist schon zu den Obst- und Gemüsehändlern vorausgegangen, während ich stehenbleibe, um ein paar Worte zu wechseln. Das Interesse der Vorbeigehenden hält sich in Grenzen, meint er, aber in Pézenas der Markt, die Händler stehen dicht an dicht, da ist kein Platz, und an der Kathedrale ist es still, keine Touristen. Bei dem kalten Wind geht nur raus, wer etwas zu besorgen hat. 
     Die Hunde heben zustimmend den Kopf – denke ich – aber dann machen sich zwei von ihnen zielsicher auf den Weg. Und neugierig geworden, eilt auch der dritte und Jüngste hinterher.
     „Nanu, was haben die denn vor“, frage ich.
     „Ach, die werden eine Hündin oben am Café entdeckt haben“, meint er und schaut hinterher.
     Aber die Rüden sind wohl so von der Hündin fasziniert, daß mit ihrer Rückkehr vorerst nicht zu rechnen ist, und ihr Herrchen wird zu recht etwas unruhig. Also schlage ich ihm vor, sich doch lieber auf die Suche nach den drei Ausreißern zu machen, ich würde so lange seinen Standplatz hüten.
     Nach einigem Zögern willigt er auch ein, denn von den Hunden verliert sich bald jede Spur. Da bin ich also unversehens Herr über drei fertig gebundene Trockenblumensträuße, etwas Material, eine große Hundedecke und ein Fahrrad älterer Bauart. Und ich kann nicht sagen, daß ich mir in diesem Ensemble als Fremdkörper vorkomme; in meinem winterlichen Outfit und mit dem zugewachsenen Gesicht passe ich wohl auch ganz gut in die Dekoration.
     Fünf Minuten und mehr vergehen, vom Herrchen und seinen drei Hunden keine Spur. Eine junge Frau kommt des Weges, vorbei an den Topfblumen und Bäumchen der Händler steuert sie gezielt auf mich und meine Sträuße zu.
     „Bonjour“, lächle ich sie freundlich an, „vous êtes intéressée?
     „Oui, oui!“, strahlt sie zurück.
     Sie betrachtet die verbliebenen drei Sträuße, und ich bitte sie, einen auszuwählen, aber das will sie mir überlassen. Also schlage ich den vor, der mir am besten gefällt, und sie ist einverstanden. Der Preis ist mir noch von früher in Erinnerung und ich nenne ihn ungefragt. Fünf Euro, das ist sicher kein Schnäppchen, dafür gibt’s auch zwei Tassen grand crème. Ich bemerke, daß die junge Frau auch ganz kurz zu zögern scheint. Aber ich biete schließlich keine Allerweltsware an. Und vielleicht, so hoffe ich wenigstens, habe ich auch ein paar  Sympathiepunkte bei ihr. Und im übrigen: Zwei Tassen Kaffee sind gewiß schneller vergessen als so ein kunstvoll gebundenes Kleinod. Mir ist das also überhaupt nicht peinlich.
Meine Gedanken weilen bei dem alten Herrn und ich intensiviere mein gewinnendes Lächeln  –  mit Erfolg.
     Keine zwei Minuten später erscheinen die drei Hunde wieder auf der Bildfläche und auch ihr Herrchen naht. Ich empfange ihn mit dem Fünf-Euro-Schein in der Hand:
     „Voilà, ich habe einen Strauß verkauft. Fünf Euro, nicht wahr?“
     Er strahlt, mag es erst gar nicht glauben. „Wer war das?“
     „Dahinten geht sie“, freue ich mich mit ihm.
     Doch da war sie schon verschwunden.